Auch wenn Oleksandr Arkavenko aus der Ukraine kommt, kennt er die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten genau. Denn in dem Theater, in dem er in der Heimat als Schauspieler arbeitete, wurde auch das berühmte Märchen der Brüder Grimm aufgeführt – und der 31-Jährige spielte den Hund. In acht Jahren kamen für ihn mehr als 50 Rollen zusammen, darunter in Stücken von Shakespeare oder Jean Anouilh. Im Theater lernte der Schauspieler auch seine heutige Frau Maryna kennen, die dort als Regieassistentin arbeitete. Ihre gemeinsame Tochter ist inzwischen zehn Jahre alt.
Doch vor mehr als einem Jahr war keine Zeit mehr fürs Schauspiel. Als Russland die Ukraine angriff, entschied sich die Familie innerhalb eines Tages, ins Auto zu steigen und zu flüchten. Dabei nahmen sie noch eine Freundin und deren beider Kinder mit. Sie fuhren nach Bremen, weil hier ein Freund von Freunden wohnt. Bei einer deutschen Familie kamen sie unter – anfangs mit zwei anderen Familien. „Sie haben uns von Anfang bei allem geholfen. Zuerst war es sehr schwer, weil wir kein Deutsch konnten und keine Freunde hatten“, erinnert sich der 31-Jährige.
Sie wollen noch mehr Deutsch lernen
Das alles berichtet Oleksandr Arkavenko auf Deutsch. Im Juli begann für ihn und seine Frau der Kurs. Die B1-Prüfung legen sie in diesem Monat ab. Nachdem ihre Tochter in Förderstunden Deutsch lernte, nimmt sie nun am normalen Unterricht in ihrer Klasse teil und hat dort bereits neue Freunde gefunden. „Sie spricht besser Deutsch als wir“, freut sich Oleksandr Arkavenko. Doch arbeiten wollten sie auch und gingen ins Jobcenter. Dort machte man sie auf ein Angebot bei der Bremer Aufbau-Bank (BAB) aufmerksam. „Wir haben es probiert, jetzt arbeiten wir hier“, ergänzt er. Die Arbeitsstelle teilt er sich mit seiner Frau. Bei der BAB bereiten sie die Räumlichkeiten für die Veranstaltungen vor, sortieren die Post, füllen Papier und Getränke nach und arbeiten dabei im Starthaus. „Wir sind allen sehr dankbar. Für uns ist das eine große Chance.“
BAB-Geschäftsführer Ralf Stapp lobt Arkavenkos und ihre große Motivation: „Wenn sie einen Arbeitsauftrag erledigt haben, kommen sie von selbst und fragen ‚Fertig, was jetzt?‘ Wir hoffen, auf diese Weise andere Arbeitgeber zu motivieren, unserem Beispiel zu folgen.“ Seitens der Förderbank sei es ein Beitrag zur Integration, damit Arkavenkos ihre Sprachkenntnisse im Alltag weiterentwickeln können. „Und unseren Beschäftigten wollen wir damit auch einen positiven Impuls geben“, sagt Stapp.
Sprachhilfe für einen albanischen Unternehmensgründer
Im Alltag konnten die beiden Ukrainer auch schon helfen: Ein albanischer Student hatte in der Ukraine studiert, und der überlegt, hier in Bremen ein Start-up zu gründen. Stapp erinnert sich: „Der war hier, und wir hatten Verständnisprobleme. Und die Arkavenkos konnten bei der Übersetzung helfen.“ Das sei in Stapps Sinne, auch solche Signale zu senden: „Wenn wir die Unterstützung von Migranten bei einer Unternehmensgründung so lebensnah hinbekommen, ist das etwas, was uns guttut.“
Thorsten Spinn, Chef des Bremer Jobcenters, sagt: „Die Sprache ist der Schlüssel für die Integration.“ Und da lobt er, wie wichtig es Arkavenkos gewesen sei, zu arbeiten, um sich über die Arbeit zu integrieren. Spinns Behörde wiederum war durch den Ukrainekrieg plötzlich gefördert: „Es ist eine Situation, wie wir sie während der Flüchtlingswelle 2015 und 2016 nicht erlebt haben. Da hatten wir andere Vorlaufzeiten, während alle im vergangenen Jahr gefordert waren, sehr kurzfristig mit der Situation umzugehen.“
Vielleicht eine Ausbildung zum Straßenbahnfahrer
Familie Arkavenko gefällt es hier an der Weser: „Bremen ist eine schöne Stadt – nicht zu groß und nicht zu klein. Ich habe mal in Kiew gearbeitet, das ist zwar die Hauptstadt, ist mir aber zu groß, und die Menschen sind zu sehr in Eile.“ Und Oleksandr Arkavenko macht sich bereits Gedanken über den nächsten Schritt: „Vielleicht werde ich Bus- oder Straßenbahnfahrer, denn ich möchte mich entwickeln. Mein eigentlicher Beruf Schauspieler ist hier nicht so gefragt.“ Da sei aber wiederum auch die Sprache das Problem. Nächster Schritt soll das nächste Sprachlevel werden.
Auch wenn es ihnen hier gut geht, müssen sie gleichzeitig immer an die Heimat denken. „Ich denke immer an meine Familie und an meine Freunde. Denn meine Mutter, meine Oma und meine Schwester mit ihrer Tochter sind in der Ukraine – in einem Territorium, das von den Russen besetzt ist“, sagt der Familienvater. So konnten sie hier in Bremen bisher auch nicht ins Theater gehen: „Für uns war es anfangs sehr schwer, zu verstehen, wie die Menschen hier in Deutschland ihrem normalen Alltag hinterhergehen, während in der Ukraine Krieg herrscht. Da denken wir nicht an Theater.“ Oleksandr Arkavenko wurde einmal zu einem Werder-Spiel ins Weserstadion eingeladen. Doch auch da fiel ihm das Jubeln schwer, weil er sich Sorgen um die Lieben in seiner Heimat macht. Dennoch können sich die Arkavenkos vorstellen, auch nach dem Ende des Krieges in Bremen zu bleiben.