Herr Ukena, es läuft der Bundestagswahlkampf, aber wie schon vor vier Jahren wird das Thema digitale Transformation bisher von keinem Kandidaten aktiv angesprochen.
Folkmar Ukena: Kein Wunder: Die Erfolge der Politik in diesem Bereich sind überschaubar. Wenn wir die Netzverfügbarkeit auf den Prüfstand stellen, die Voraussetzung aller Digitalstrategien ist, dann wird einem ganz anders. Ich wohne in Leer im Nordwesten Deutschlands. Wenn ich da auf mein Handy schaue, sehe ich an Netzstärke oft nur ein oder zwei Balken – mehr ist hier nicht. Die Investitionskosten, um das zu verbessern, könnte man sehr schnell wieder zurück verdienen. Die Technik muss endlich intensiv genutzt werden, um die digitale Transformation voranzubringen.
Wir haben in den vergangenen Monaten Witze über Gesundheitsämter gemacht, die noch mit Faxgeräten arbeiten. Wie erleben Sie das in Ihrem Berufsalltag?
Ich habe für mein Unternehmen gerade wieder einige behördliche Genehmigungen beantragt. Da bekommen Sie immer noch, bildhaft dargestellt, Durchschläge in fünffacher Ausfertigung, wie vor 30 Jahren. Und „Verantwortung“ wird nicht großgeschrieben, eher das Thema „Absicherung“. Wenn man die Computersysteme in der Verwaltung betrachtet, sind die wenigsten miteinander synchronisiert. Es sollte ein vordringliches Ziel sein, das zu ändern. Die Zeit des Faxgerätes muss auch in den Ämtern endlich vorbei sein.
Den Witz mit den Faxgeräten können wir also immer noch nicht hinter uns lassen.
Die behördlichen Prozesse sind noch sehr weit von zeitgemäßer Digitalisierung entfernt. Geld wäre dafür ja vorhanden, aber durch die komplizierten Abstimmungsprozesse wird man so stark behindert, dass das Geld nicht zum Einsatz kommt. Die Technik wird einfach nicht genug gefördert. Wenn ich dagegen schaue, wie gut zum Beispiel in Litauen die Infrastruktur inzwischen ist und wie dort die Menschen ausgebildet werden, dann fallen wir dagegen immer weiter zurück und nehmen einen der hinteren Ränge ein. Das ist sehr bedauerlich. Die Politik registriert das nicht ausreichend und handelt kaum, das muss sich ändern.
Wie erklären Sie sich das?
Mir fehlt es grundsätzlich sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft an einem Verständnis dafür, wie Wirtschaft funktioniert. Wenn wir uns zum Beispiel die Schule anschauen, die ja auch alle Politiker durchlaufen haben, dann findet dort das Thema Wirtschaft überhaupt nicht statt. Deshalb fehlt es dann auch an Verständnis für die ökonomischen Zusammenhänge. Wenn dann jemand sehr schnell in ein Leben als Berufspolitiker wechselt, ist es sehr schwer, diesem die Realität der Unternehmenswelt zu vermitteln.
Welche Themen kommen für Sie als Nordmetall-Präsident im Wahlkampf bisher ebenfalls zu kurz?
Wir brauchen nicht nur einen Digitalisierungsschub, sondern endlich auch den immer wieder versprochenen Bürokratieabbau. Das wäre ein starker Beitrag für einen Nach-Corona-Aufschwung. Wenn man sich hierauf konzentriert, schaffen wir eine gute Basis für die Wirtschaft – und können sogar noch Geld sparen.
Welches Bürokratie-Beispiel fällt Ihnen spontan ein?
Bei uns im Unternehmen müssen wir für die Öfen, die wir herstellen, Produkt-Dokumentationen führen. Weil im Rahmen einer föderalen Marktaufsicht viele unserer 16 Bundesländer andere Anforderungen sehen, müssen wir allen gerecht werden. Da geht es manchmal im Text nur um einen Punkt oder ein Komma. Das kostet viel Zeit und Geld, macht aber keinen Sinn. Solche Beispiele kennt jeder Unternehmer dutzendfach.
Also Föderalismus, wie wir ihn so ähnlich in Pandemiezeiten kennengelernt haben. Welche Themen sind Ihnen noch wichtig?
Steuererhöhungen sind genauso schädlich wie eine noch stärkere Regulierung der Arbeitswelt. Mit neuen Verboten und noch mehr Vorgaben werden wir aus der angespannten finanziellen Situation des Landes nicht herauskommen, weil wir damit den Aufschwung ausbremsen. Gleichzeitig gilt es, an der Schuldenbremse festzuhalten. Die hat sich in der Vergangenheit bewährt. Die neue Regierung muss eben andere Schwerpunkte setzen und Haushaltsmittel umschichten. Außerdem ist es Zeit dafür, den Soli ganz abzuschaffen.
Da nennen Sie so einige Themen, die man als Politiker im Wahlkampf lieber ausspart als sie anzusprechen.
Die Realitätsverdrängung in der Politik ist teilweise abenteuerlich. Da werden neue Wohltaten versprochen, die völlig unbezahlbar sind, was der absehbar bittere Kassensturz nach der Bundestagswahl dann erst belegen wird. Und da werden Forderungen in der Klimaschutzdebatte erhoben, die eine Balance zwischen erreichbaren globalen Zielen, Beschäftigung, Wohlstand, Mobilitäts- und Wärmebedarf am Industriestandort Deutschland gefährden. Das ist für uns Unternehmer inakzeptabel. Die Wirtschaft muss viel intensiver in das Verständnis der Politik, ja aller Menschen gebracht werden. Ein starkes Gemeinwesen braucht eine starke Wirtschaft.
Ab welcher Klasse könnten Sie sich denn in der Schule das Fach Wirtschaft vorstellen?
Das kann ruhig spielerisch schon ab der dritten Klasse anfangen, um möglichst früh wirtschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln.
Zurück zum Wahlkampf: Wie erleben Sie den bisher?
Bisher habe ich nicht erlebt, dass sich jemand in den angesprochenen Themen hervortut. Wir vermissen in den Wahlprogrammen vor allem Ideen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Bekämpfung des Fachkräftemangels und für Innovationen, nicht nur im Bereich Technik, sondern auch im Bereich Arbeit.
Was sollte eine neue Bundesregierung dringend anpacken?
Die neue Regierung sollte als Erstes die Finger von einer Steuererhöhung lassen. Nach einem Kassensturz sollte man wieder zur Schuldenbremse zurückkehren. Außerdem brauchen wir eine Entrümpelung aller Genehmigungs- und Planungsverfahren. Man sollte ebenso die Soziallastenobergrenze für Unternehmen von maximal 40 Prozent einhalten und die Fachkräftegewinnung fördern. Dazu gehört vor allem eine gezielte, keine wahllose Zuwanderungspolitik. Und wir müssen schauen, dass wir die Arbeitswelt flexibler gestalten.
Wie viel Arbeitszeit könnten Sie sich denn an einem Tag vorstellen?
Wir haben nicht die Tages-, sondern die Wochenarbeitszeit im Blick. Nehmen Sie einen Mediziner im Krankenhaus als Beispiel: Was hat der für eine Wochenarbeitszeit, und was hat der für eine Tagesarbeitszeit? In den Bereichen, die keine schwere körperliche Arbeit verlangen, können wir uns durchaus flexiblere Lösungen vorstellen. Da dauert dann ein Arbeitstag mal zehn Stunden, der nächste dafür nur sechs. Diese Beweglichkeit kann auch helfen, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren. Dass das gesetzlich verhindert wird, passt heute nicht mehr in die Zeit. Wenn man auf der einen Seite Wohlstand und Transformation möchte, muss man auf der anderen Seite auch bereit sein, beim Thema Flexibilität zuzulegen.
Die Arbeit flexibler zu gestalten – das findet sich ja auch ein wenig im Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie wieder.
Und wie. Wenn ich mir den letzten Tarifvertrag anschaue, dann haben die Tarifparteien intensiv Verantwortung für die Zukunft der Industriearbeit in Deutschland übernommen. Ich denke, wir haben da einen modernen und der schwierigen Wirtschaftslage angemessenen Abschluss gefunden. Auf Politikseite sieht man dagegen ein gewisses Unvermögen. Nehmen Sie das Beispiel der Werkverträge, die für alle Branchen verboten werden sollen, nur weil man es in der Fleischindustrie nicht schafft, vernünftige Kontrollen zu etablieren. So eine Reaktion ist völlig überzogen. In einer flexiblen Gesellschaft brauchen wir auch Werkverträge und Befristungen. Außerdem brauchen wir eine flexible Wochenarbeitszeit statt einer maximalen Tagesarbeitszeit. Da steckt viel Sprengstoff drin, aber das muss man anpacken.
Wie gestaltet sich die Umsetzung des neuen Tarifvertrags bei den Mitgliedsbetrieben?
Wir haben mit dem Tarifvertrag auf betrieblicher, aber auch auf gewerkschaftlicher Ebene die Basis für notwendige Transformationsgespräche gelegt. Und wir haben den finanziellen Rahmen für die Transformation geschaffen. Da sind wir schon ganz gut unterwegs. Nach den Ferien werden wir mit der Gewerkschaft die Gespräche zu einzelnen Themen fortsetzen. Allerdings stehen wir bei den Kosten für Energie und Rohstoffe nun vor ganz neuen Herausforderungen.
Was meinen Sie?
Nur ein Beispiel: Für ein Produkt, mit dem wir gut am Markt platziert sind, haben wir vor vier Monaten bereits Zulieferteile für den Jahresbedarf 2022 bestellt – mit festen Preisen, festen Lieferzusagen. Und nun hat sich alles in Luft aufgelöst. Der Preis hat sich nun verdreifacht. Ohne diese Teile würde bei uns die Produktion still stehen.
Wie sehr ist Ihr Unternehmen auch vom Mangel an Halbleitern betroffen?
Bei unseren Öfen kann man mit einer Prozessorsteuerung das Nutzerverhalten klimafreundlicher und emissionsärmer gestalten. Und bei den Prozessoren haben sich die Preise verdreifacht. Daraus ergeben sich scheußliche Effekte. Sie müssen sich fragen: Setze ich weiter darauf, dass ich wenigstens meine Mitarbeiter beschäftigen kann und wir Produkte absetzen können, oder lasse ich es ganz sein?
Zumindest wird nicht infrage gestellt, dass die Beschäftigten in der Automobilindustrie Kurzarbeitergeld erhalten. Es ist ja nicht ganz klar, ob die Chips nicht zu spät bestellt wurden. Sie haben Ihre Bestellung rechtzeitig abgegeben?
Wir haben nicht zu spät bestellt. Durch die Lockdown-Situation wurde die Produktionsmenge massiv herunter gefahren. Wir haben es hier klar mit einem Nachfrageengpass zu tun. Die Chips kommen ja schließlich in allen Branchen zum Einsatz. Eigentlich muss man jetzt alles einkaufen, was man bis 2023 noch braucht. Momentan ist das aber eher wie eine ganz grausame Lawine, die da über uns hinwegrollt. Das führt in vielen Bereichen zu Kostensteigerungen. Dieses Problem haben wir aber momentan überall auf der Welt.
Welche Schlagzeile würden Sie zum Jahresende gern im Wirtschaftsteil lesen?
Ich würde gern die Schlagzeile sehen, die eine gesunde Wirtschaft zu einem der wichtigsten Ziele der Politik erklärt. Also zum Beispiel: „Bundesregierung stärkt freies Unternehmertum!“.