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Luft- und Raumfahrt OHB-Chef Marco Fuchs: "Es gibt keine Stagnation"

Wie kann Deutschland am Boom der Raumfahrt weiter teilhaben? OHB-Chef Marco Fuchs erzählt, was er mit Bundeskanzler Olaf Scholz bespricht und welche Bedeutung die Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin hat.
21.06.2022, 17:31 Uhr
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OHB-Chef Marco Fuchs:
Von Peter Hanuschke

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eröffnet an diesem Mittwoch die Ila. Wird das Thema Luft- und Raumfahrt in der Politik ausreichend wahrgenommen und mit öffentlichen Geldern und Aufträgen genügend unterstützt?

Marco Fuchs: Auf jeden Fall. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich angekündigt, ebenso Bremens Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke). Und ein Besuch der Raumfahrthalle, wo auch wir unseren Stand haben, wird ganz oben auf deren Liste stehen. Dass Raumfahrt einen erkennbaren und sinnvollen Nutzen bringt, das ist auch insgesamt in der Gesellschaft angekommen.

Worüber reden Sie mit Bundeskanzler Scholz?

Die wesentlichen Themen sind, was Deutschland in der Raumfahrt macht und wie sichergestellt werden kann, dass Deutschland am Boom dieser Branche auch künftig teilhaben wird. Und deshalb werden wir bestimmt über die Ministerratskonferenz der europäischen Weltraumbehörde Esa reden, die im November in Paris stattfindet und auf der die Weichen für künftige europäische Weltraumprojekte gestellt werden. Dabei wird es insbesondere um die gesellschaftlichen Mega-Themen Klimawandel und Dekarbonisierung gehen und wie Raumfahrt etwa durch Erdbeobachtung Maßnahmen und Handlungen in diesen Bereichen verlässlich überwachen kann. Und der Krieg in der Ukraine hat noch einmal deutlich aufgezeigt, wie wichtig Erdbeobachtung für die äußere Sicherheit ist.

Es gibt Raumfahrtprojekte, die gemeinsam mit Russland umgesetzt werden. Diese Kooperationen wurden größtenteils gestoppt. Können diese Vorhaben auch ohne Russland gelingen – etwa das Programm Exomars, an dem auch OHB beteiligt ist?

Exomars einfach fortzuführen, ist sicherlich keine triviale Angelegenheit. Wie das trotzdem funktionieren kann, dazu spielt die Esa verschiedene Szenarien durch. Die europäischen Beiträge wie der Carrier oder der Rover – wesentliche Elemente dieser Mission – sind fertig. Jetzt geht es darum, wie das Programm grundsätzlich noch umgesetzt werden kann, vor allem aber darum, wie man überhaupt noch zum Mars kommt. Wenn es gut läuft, könnte das 2026 der Fall sein. Dass Russland sein Sojus-Trägerraketenprogramm am Weltraumbahnhof in Kourou beendet hat, wird bei einigen Missionen für Verzögerungen sorgen. Zumal die Fertigstellung der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 hinter dem Zeitplan liegt.

Bei der Internationalen Raumfahrtstation ISS geht die Zusammenarbeit weiter. Wie ordnen Sie das ein?

Die ISS ist ein einmaliges Projekt und ein absolut positiver Ausdruck von internationaler Kooperation seit mehreren Jahrzehnten. Aus Sicht der Raumfahrt ist es gut, dass die Zusammenarbeit fortgesetzt wird, zumal dort oben Menschen arbeiten und leben. Nur muss berücksichtigt werden, dass ein Steckerziehen bei der ISS ein erfolgreiches Kooperationsprojekt von jetzt auf gleich beendet, aber dadurch Russland nicht nennenswert wirtschaftlich getroffen würde.

Apropos Kooperationen. Ist die Ila eine Veranstaltung, auf der tatsächlich Kontakte entstehen, aus denen sich heraus neue Projekte entwickeln? Werden dort Geschäfte abgeschlossen?

Geschäfte in dem Sinne werden dort nicht getätigt. Laufkundschaft gibt es keine. Für uns bedeutet die Ila das Schaufenster in Deutschland. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, der die Ila mit veranstaltet, ist froh, eine solch große Air-Show hier zu haben. Durch die Pandemie ist die Ila einmal ausgefallen. Wir freuen uns, dass die Community wieder zusammen kommt. Es fehlte in den vergangenen zwei Jahren doch der regelmäßige direkte persönliche Austausch. 

Was ist besonders an der Ila?

Es gibt den Faktor Inspiration. Man kann sich vieles im Internet angucken, aber wenn man mal zwei Stunden über das Ila-Gelände geht, dann fällt einem etwas ins Auge, was man gar nicht gesucht hat – das funktioniert im Internet eher selten. Oder es kommt jemand auf den OHB-Stand, den man bislang nicht kannte, redet über etwas, was man gar nicht erwartet hat. Das ist der Vorteil einer realen Messe.

Welche Attraktionen werden Sie sich angucken?

Ich besuche natürlich andere Raumfahrtunternehmen und Zuliefererfirmen. Ich finde es aber auch interessant, was in der Luftfahrt passiert, was ich ansonsten nicht ganz genau verfolge. Es ist spannend, die Entwicklungen in der Luftfahrt zu sehen – ob bei den Flugzeugmodellen oder den Antriebsarten. Dekarbonisierung ist auch in der Luftfahrt das große Thema. Und da gibt es durchaus Schnittmengen mit der Raumfahrt. 

Bremen gilt als „City of Space“ – wie nehmen Sie Bremen in diesem Zusammenhang auf der Ila wahr?

Bremen ist in Deutschland der Standort für Raumfahrt. Alle wesentlichen Entscheidungsträger der Branche aus Bremen kommen nach Berlin zur Messe. Und dort treffen sie auf eine gute Mischung Bremer Firmen – von kleinen bis großen Unternehmen. Bremen ist auf der Ila gut vertreten – das ist gut für den Standort insgesamt.

Was beeindruckt Sie am meisten auf der Ila?

Sowohl in der Raumfahrt als auch in der Luftfahrt ist es vor allem eindrucksvoll, dass es immer Fortschritt in den Entwicklungen gibt. Es gibt keine Stagnation. Wer vor ein paar Jahren vom grünen Fliegen gesprochen hat, wurde belächelt. Heute gibt es zumindest verschiedene technische Alternativen dafür, die noch auf ihre Wirtschaftlichkeit hin weiter entwickelt werden müssen. Dass Flugzeuge – zumindest kleine und mittlere – mit einem Batterieantrieb fliegen können, hätte vor ein paar Jahren kaum jemand für möglich gehalten. Heute gibt es dafür entsprechende Modelle. 

Haben Sie einen Tipp für die Ila? Am Sonnabend und Sonntag finden die Privatbesuchertage statt.

Ein Muss ist der Besuch der Raumfahrthalle, auch das Außengelände ist hochinteressant. In der Raumfahrthalle werden verschiedene Projekte visualisiert und erlebbar gemacht. Und die Fliegerei stellt sich eindrucksvoll auf dem Rollfeld dar. Da bekommt man die Faszination und Dimensionen des Fliegens gut vermittelt.

Das Gespräch führte Peter Hanuschke.

Zur Person

Marco Fuchs

wurde 1962 in Hamburg geboren. Der Jurist ist verheiratet und hat zwei Kinder. Als Rechtsanwalt war er in Frankfurt und New York tätig. 1995 kehrte er nach Bremen zurück. Zunächst arbeitete er bei der von seinen Eltern gegründeten OHB System GmbH als Prokurist und Geschäftsführer. Seit November 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der OHB SE, der Holding-Gesellschaft der Gruppe.

Zur Sache

Bremer Unternehmen auf der Ila

Erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie findet im Schönefelder Ortsteil Selchow gleich neben dem Flughafen Berlin-Brandenburg wieder die wichtigste Messe der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie in Präsenz statt: die Ila. Rund 550 Aussteller präsentieren an fünf Messetagen vom 22. bis 26. Juni ihre Lösungen für die Zukunft des Fliegens und der Raumfahrt. Dabei liegt ein Schwerpunkt wieder darauf, wie der Schadstoffausstoß des Luftverkehrs gesenkt werden kann.

Mit dabei sind auch wieder Unternehmen aus Bremen und Niedersachsen: Neben den Groß-Konzernen wie Airbus Defence and Space, der Arianegroup, OHB und dem Bremer Rheinmetall-Standort sind es auch Unternehmen mittlerer Größe wie die Aircraft Elektro/Elektronik System GmbH, die die Luft- und Raumfahrt unter anderem mit Kommunikations- und Informationssystemen für Flugzeugkabinen beliefert, die Benntec Systemtechnik GmbH, die kundenspezifische digitale Ausbildungssysteme konzipiert, Exxpert Systems GmbH, die Geräte zur Datenerfassung entwickelt, die Hanseatische Waren Handelsgesellschaft (Titan-Halbzeuge), die Sigma Aerospace Metals GmbH, ein Zulieferer für metallische Halbzeuge, oder die Trigo Qualitaire GmbH, die unter anderem Nacharbeiten an Blechteilen und elektronischen Bauteilen übernimmt. Außerdem sind verschiedene Institute (Ifam) und Verbände wie Niedersachsen Aviation auf der Ila vertreten. Insgesamt gibt es etwa 12.000 Beschäftigte, die in Bremen und im niedersächsischen Umland im Bereich Luft- und Raumfahrt in mehr als 140 Unternehmen und Instituten tätig sind.

Mittwoch, Donnerstag und Freitag sind Fachbesuchertage. Sonnabend und Sonntag können jeweils bis zu 15.000 Privatbesucher auf das Messegelände. Bei Flugschauen werden Kampfflugzeuge und Militärhubschrauber zu sehen sein, außerdem die doppelstöckige Passagiermaschine A380 und der Airbus-Transporter Beluga.

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