Zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn sich halb Deutschland um den Tannenbaum versammelt, hat Karl-Heinz Servos einen wichtigen Termin: Am 28. Dezember muss der Produktionsleiter der Ariane Group im Werk Bremen die Oberstufe für das zweite Testmodell der Ariane 6 ausliefern. "Der Termin steht", versichert Servos. Das war zuletzt nicht immer der Fall. Europas Weltraumrakete fliegt ihrem Zeitplan hinterher und gerät angesichts der wachsenden Konkurrenz im Orbit auch kommerziell unter Druck. Welche Zukunft hat Europas Schwerlasttransporter im All? Gehört das Universum bald den "Kleinen"? Das ist eines der Top-Themen auf der Weltraummesse Space Tech Expo, die diese Woche in Bremen stattfindet.
Die Ariane 6:
Seinen Besuchern zeigt Servos gerne, was sich gerade in den Bremer Fertigungshallen für die Oberstufe der Ariane 6 tut: Der zweite Prototyp – Combined Test Model (CTM) genannt – steht bereits aufrecht in seinem Montagegerüst. Tanks, Triebwerk, Treibstoffleitungen – alles blitzblank und fast "ready to go". Die Schiffspassage zum Raketenstartplatz Kourou in Französisch-Guyana ist bereits gebucht. Mit dem CTM soll dort erstmals getestet werden, ob die in Frankreich gebaute Hauptstufe und die Bremer Oberstufe der Ariane 6 problemlos zusammenpassen und wie die fertige Rakete betankt und auf ihren Start vorbereitet wird. Nur abheben soll das Testmodell nicht.
Der heiße Ritt ins All bleibt dem Flight Model 1 (FM 1) vorbehalten, von dem die ersten Teile ebenfalls bereits die Taktstraße im Fertigungszentrum an der Claudius-Dornier-Straße durchlaufen. Der Termin für den Erstflug musste mehrfach verschoben werden. Jetzt rechnet Servos Ende 2022 damit. Dann muss auch die Produktion im Bremer Werk Fahrt aufnehmen: Zwölf Oberstufen pro Jahr sollen die Halle künftig verlassen – bei einer Fertigungsdauer von sechs Monaten pro Stück. Voraussetzung: Es gibt ausreichend Nachfrage nach Flügen mit der Großrakete. Und das ist auf einem Markt, auf dem sich vom kleinen Start-up-Unternehmen bis zu US-amerikanischen Multimillionären heute mehr Akteure tummeln denn je, keineswegs selbstverständlich.
Die kleinen Satelliten:
Als große Rakete ist die Ariane 6 auf Nutzlasten von bis zu elf Tonnen ausgelegt. Die Mehrzahl der Satelliten jedoch bringt heute kaum 500 Kilogramm auf die Waage. Von den 490 Satelliten, die 2019 ins All geschossen wurden, fielen 386 in die Kategorie "Kleinsatelliten". Zum Vergleich: Vor zehn Jahren wurden kaum mehr als 100 Satelliten jährlich ins All befördert, davon nicht einmal die Hälfte in der Gewichtsklasse unter 500 Kilogramm. Der Ausbau der weltweiten Kommunikation, die Beobachtung von Wetterentwicklungen, Umweltschäden oder Waldbränden aus dem Orbit soll in den kommenden Jahren zu einem Boom im Flugverkehr Richtung Weltall führen. Bei der Ariane Group sieht man sich dafür gerüstet, denn die eigene Rakete kann wie ein kosmischer Überlandbus gleich mehrere Fahrgäste an Bord nehmen. "90 Prozent der Kleinsatelliten werden heute von Schwerlastträgerraketen transportiert", rechnet Claudia Flöte vor, Betriebschefin bei der Ariane-Tochter Arianespace, die die Starts der eigenen Raketen vermarktet und organisiert.
Die Kleinraketen:
Das muss aber nicht so bleiben, glaubt Stefan Brieschenk, Betriebsleiter der Rocket Factory Augsburg (RFA), einer Tochter des Bremer Satellitenbauers OHB. "Meine Großeltern sind früher auch mit dem Bus vom Dorf in die Stadt gefahren – heute nimmt man dafür das Auto", sagt er. Will heißen: Mit kleinen Raketen – so genannten Micro Launchers – ließen sich die Satelliten flexibler ans Ziel bringen. Hersteller wie RFA oder Isar Aerospace arbeiten an solchen Weltraumtaxis, die dem voll gepackten Ariane-Bus Konkurrenz machen sollen. Die Fahrgäste müssten nicht einmal zum zentralen Busbahnhof nach Kourou reisen, sondern nur zu einem der Taxistände kommen, die zurzeit in Europa geplant sind – unter anderem in Bremerhaven, wo ab 2023 Schiffe mit der Startplattform Richtung Nordsee ablegen sollen.
Die US-Konkurrenz:
Elon Musk und Jeff Bezos wurden nicht gesehen auf der Bremer Space Tech Expo. Und dennoch waren die miiliardenschweren US-Unternehmer der Elefant im Raum, den mancher nicht einmal beim Namen zu nennen wagte. Mit ihren Großraketen haben sie den Satellitentransport ins All zu einem Geschäft gemacht – mit einem entscheidenden Startvorteil gegenüber den Europäern: Das US-Raumfahrtbudget ist fünfmal so groß wie das europäische. Für Ariane-Produktionschef Servos ist deshalb klar: "Wir sind für Wettbewerb, aber er muss fair sein. Wenn Europa einen eigenen Zugang ins Weltall behalten will, müssen europäische Weltraumprojekte auch mit europäischen Trägerraketen betrieben werden."