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Kritik der Bauwirtschaft Regeln fürs Recycling von Baustoffen

Bauschutt, Schlacken, Gleisschotter – erstmals gibt es bundesweite Vorgaben für den Einsatz von Ersatzstoffen. Die Bauindustrie fürchtet allerdings, dass die neuen Regeln zu weniger Recycling führen könnten.
07.07.2021, 17:23 Uhr
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Regeln fürs Recycling von Baustoffen
Von Lisa Schröder

Es hat gedauert. 15 Jahre. Nun hat der Bundesrat eine Mantelverordnung beschlossen. In Zukunft müssen Baustoffe nach bundesweit einheitlichen Regeln recycelt werden. "Ersatzbaustoffe sollen künftig für Bauherrn attraktiver werden. So kommen weniger Primärbaustoffe zum Einsatz und natürliche Ressourcen werden geschont", heißt es in der Mitteilung des Bundesumweltministeriums. Erstmals gebe es deutschlandweite Vorgaben für den Einsatz mineralischer Abfälle wie Bauschutt, Schlacken oder Gleisschotter.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) verweist auf den Vorlauf: "Die Mühe hat sich gelohnt, nicht zuletzt mit Blick auf die wachsende Bauaktivität und den aktuellen Materialmangel auf dem Bau." Abbruch und Bauschutt sollen Schulze zufolge künftig öfter als Ersatzbaustoffe für neue Bauten dienen – und seltener auf Deponien landen. Die Bauwirtschaft profitiere von den einheitlichen Regeln, weil Verfahren vereinfacht werden und die Akzeptanz für Ersatzbaustoffe wachse.

Der Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen sieht die sogenannte Ersatzbaustoffverordnung dagegen mit Skepsis. Seit Anfang an begleitet der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Harald Freise das Thema. "Dass das nach 15 Jahren ein toller Wurf ist, das können wir wirklich nicht sagen", stellt er im Gespräch mit dem WESER-KURIER fest. Die Intention sei gewesen, die Verwertung von Bauabfällen zu verbessern. Dazu müsse man wissen, dass es in Deutschland "jetzt schon eine Verwertungsquote von weit über 90 Prozent" gebe. Seit Jahrzehnten liege die Quote hoch – auch in Niedersachsen und Bremen.

Wo es keine Verwertung gebe, da sei es technisch oft nicht möglich. Freise sieht zwar Potenzial. "Wir haben noch ein paar Reserven, die wir ausschöpfen könnten", sagt der Verbandssprecher. Ob aber nun gerade die Mantelverordnung dazu beitrage? Das sei stark zu bezweifeln. "Eher wird aus unserer jetzigen Einschätzung das Gegenteil eintreten. Die Verwertungsquoten werden runtergehen."

Warum? Seit vielen Jahren existierten in Niedersachsen und den meisten anderen Bundesländern Systeme für die Verwertung. Ob Bauleiter, Betriebe oder die Verwaltung: "Die Beteiligten haben sich daran gewöhnt." Jetzt stünde eine große Veränderung an. Freise befürchtet, dass die für Verunsicherung sorgen wird und die Angst vor Fehlern schließlich zu weniger Verwertung. Auf Sicherheit zu setzen, das bedeute wahrscheinlich nicht selten die Entscheidung für die Deponie, um die Verantwortung fürs Material los zu sein.

Der BUND begrüßt, dass die Mantelverordnung auf den Weg gebracht wurde, wenngleich darin Baustellen geblieben seien. "Das Ganze war überfällig", sagt Rolf Buschmann, Referent für technischen Umweltschutz. Es sei zum Schutz der Umwelt mehr Recycling notwendig – das gelte nicht allein für diese Branche. Im Idealfall müsse schon beim Bau eines Hauses durchdacht werden, wie die Stoffe am Lebensende des Gebäudes weiterverwertet werden. In welcher Form heute Recycling auf dem Bau passiere, da müsse genau hingeschaut werden. Oft werden Sekundärbaustoffe laut Buschmann beim Verfüllen von Gruben oder als Schotter eingesetzt. "Die 90 Prozent müssen genau unter die Lupe genommen werden."

Niedersachsen kommt laut Bauindustrieverband auf rund 19 Millionen Tonnen Bauabfälle. Davon landeten 1,4 Millionen Tonnen auf der Deponie. Freise treibt mit Blick auf den Klimaschutz ebenfalls die Frage um, wie das Recycling heute aussieht. Im Augenblick – das müsse man ehrlicherweise sagen – gehe viel in den Tiefbau. Das Ziel müsse aber sein, so viel wie möglich hochwertig zu verwerten: Material aus dem Hochbau landet wieder im Hochbau. "Da hilft die Ersatzbaustoffverordnung leider überhaupt nicht weiter", sagt Freise jedoch. Gerade Beton koste dabei in der Herstellung viel Energie: "Es ist eigentlich Unfug, das Zeug in den Boden zu stecken."

Buschmann vom BUND hält es für grundsätzlich notwendig, über die Preise etwas zu bewegen, auch hier nicht allein auf die Baubranche bezogen. Wenn beispielsweise Öl weiter so günstig sei, um Kunststoff daraus herzustellen, leide darunter das Recycling. "Das kann eigentlich nicht sein." Die neue Verordnung habe auch noch einen Haken: die Abfalleigenschaft bleibe an den Sekundärbaustoffen haften.

Das kritisiert auch der Bauindustrieverband im Norden. Kurz vorher sei der Passus gestrichen worden, dass der Abfall nach der Aufbereitung im rechtlichen Sinne kein Abfall mehr sei. "Damit haben die Sekundärbaustoffe natürlich ein gewisses Stigma", sagt Freise. Womöglich wird an diesem Punkt nachgebessert.

Grundsätzlich hat der Verbandsvertreter mit der Ersatzbaustoffverordnung ein Problem. Denn die orientiere sich im Kern an der Industrie. Dort sei klar, welche Abfälle es gibt, welche Schlacke etwa im Hochofen eines Stahlwerks entsteht. Das sei auf einer Baustelle anders. Darum sei es wichtig, vor Beginn der Baumaßnahmen eine Analyse anzustellen, welches Material anfällt. Vorgesehen sei eine Untersuchung aber erst nach der Verwertung.

Zur Sache

Größter Abfallstrom in Deutschland

Die Mantelverordnung tritt nach zwei Jahren in Kraft. Um welche Dimensionen es geht? Mineralische Abfälle, schreibt das Bundesumweltministerium, stellten den größten Abfallstrom in Deutschland dar. Jedes Jahr fielen hier rund 250 Millionen Tonnen an: Bauschutt, ausgehobene Erde oder auch Schlacken aus der Metallerzeugung. Das seien etwa 60 Prozent des gesamten Abfallaufkommens. Dabei sei ein Großteil wiederverwendbar.

Der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen, Jörn P. Makko, und sein Stellvertreter Harald Freise wünschen sich weniger Scheu, etwa beim kommunalen Straßenbau, um die Wiederverwertungsquote zu steigern: "Da geht aus unserer Sicht mehr in manchen Bereichen, wenn die Auftraggeber mutiger wären, diese Ersatzbaustoffe zuzulassen." Wenn Primärbaustoffe weiter stark bevorzugt werden, könnten zudem die Deponien ein Problem bekommen. Im Moment reichten die Kapazitäten noch aus, sagt Makko: "Wir gehen aber nur noch von wenigen Jahren aus." Das könnte die Entsorgung weiter verteuern. Nach Angaben des Bauindustrieverbands macht der Kostenpunkt bei einem Standardbau bereits 20 bis 30 Prozent aus.

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