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"Nicht wirkungsvoll" Schifffahrt: Steuerzahlerbund fordert Ende der Subventionen

Mehr Schiffe unter deutscher Flagge - dieses Ziel wurde trotz Millionen-Subventionen laut Bund der Steuerzahler verfehlt. Er fordert ein Ende der Unterstützung - der Reederverband weist die Forderung zurück.
17.06.2022, 10:00 Uhr
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Schifffahrt: Steuerzahlerbund fordert Ende der Subventionen
Von Peter Hanuschke

Seit Jahren wird die deutsche Seeschifffahrt subventioniert. Ziel ist es, dadurch mehr Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen und mehr Ausbildung und Beschäftigung von europäischen Seeleuten auf deutschen Schiffen zu erreichen. Diese Subventionen sollten nach Ansicht des Bundes der Steuerzahler abgeschafft werden, weil sie unwirksam sind: Von Jahr zu Jahr sinke die Zahl der in Deutschland sozialversicherungspflichtigen Seeleute. Gleiches gelte für die unter deutscher Flagge registrierten Schiffe.

Einbehalt der Lohnsteuer

Reeder dürfen die gesamte Lohnsteuer ihrer in Deutschland sozialversicherungspflichtigen Seeleute einbehalten. "Darüber hinaus werden ihnen die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung komplett erstattet", heißt es in einer neuen Studie des DSi – Deutsches Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler. Dadurch würden die effektiven Lohnkosten faktisch um rund ein Drittel gesenkt. "Die Steuerzahler kostet das jährlich mehr als 100 Millionen Euro. Profiteure sind die Reedereien", kritisiert der Steuerzahlerbund.

Damit werde jeder Arbeitsplatz mit durchschnittlich mehr als 20.000 Euro pro Jahr subventioniert. „Die Bundesregierung zwingt die Steuerzahler dazu, die Lohnkosten der Reedereien mitzufinanzieren", sagt Carl Kau, Vorstandsmitglied im Bund der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen. "Das ist weder fair noch wirkungsvoll. Denn die Zahl deutscher Seeschiffe und Seeleute sinkt, obwohl die Zuschüsse immer weiter steigen." Die Bundesregierung solle diesen "Subventionsirrsinn" schnellstmöglich beenden.

Weniger Schiffe unter deutsche Flagge

2012 gab es laut DSi über 12.000 in Deutschland sozialversicherungspflichtige Besatzungsmitglieder. Ende 2020 habe die Zahl bei 7.558 gelegen – anteilig davon 4.888 deutsche und 2.670 ausländische Beschäftigte. Ebenfalls sei die Quote von Handelsschiffen unter deutscher Flagge gesunken. Im April 2022 habe der Bestand bei 273 Schiffen gelegen. "Als die Lohnsteuersubventionen 1999 eingeführt wurden, waren es mit 717 Schiffen unter deutscher Flagge mehr als doppelt so viele."

Qualität und Rechtssicherheit

Das DSi fordert einen Ausstieg aus diesem "Subventionskarussell". "Nicht nur die Seeschifffahrt, sondern alle Branchen haben hierzulande aufgrund der Steuer- und Abgabenlast mit hohen Lohnkosten zu kämpfen." Die Stärken der Exportnation Deutschland seien in anderen Bereichen zu finden. Daher sollte in der Schifffahrt nicht länger versucht werden, mit subventionierten Lohnkosten im internationalen Wettbewerb bestehen zu wollen. "Stattdessen sollte die Seeschifffahrtsbranche verstärkt auf ihre komparativen Vorteile wie Qualität, Service, Rechtssicherheit und andere Standortbedingungen setzen."

Die Politik könne zudem dazu beitragen, dass Entbürokratisierung und Digitalisierung im Bereich der Flaggenstaatsverwaltung voranschreiten. Das Argument der Befürworter der Subventionen, auf diese Weise würde das maritime Know-how in Deutschland gesichert, sollte nicht überstrapaziert werden. Der deutliche Rückgang der Zahl deutscher Seeleute habe nicht dazu geführt, dass die Qualität oder die Verfügbarkeit der Seetransportdienstleistungen gelitten habe.

Ausflaggen gegen Bezahlung

Nur ein Bruchteil der bereitgestellten Subventionen für die Seeschifffahrt fließe in die Ausbildungsförderung, heißt es in der DSi-Studie. "Das meiste Geld erhalten die Reeder als Anreiz, ihre Schiffe nicht auszuflaggen." Falls sie ihre Schiffe dennoch ausflaggen wollen, müssten sie die entstandenen Nachteile für den Schifffahrtsstandort Deutschland kompensieren. Die Höhe der Zahlung beziehungsweise der Umfang der zu erbringenden Ausbildung richtet sich nach der Dauer der Genehmigung und der Größe des Schiffes.

Nach der Anlage zum Flaggenrechtsgesetz ergebe sich für die größtmöglichen Schiffsgrößenklassen mit einer Bruttoraumzahl von über 80.000 eine Verpflichtung von lediglich 5,5 Monaten an Ausbildungszeiten für jedes Jahr mit einer wirksamen Ausflaggungsgenehmigung des jeweiligen Schiffes. Die Ausbildung bleibt wiederum durch die oben genannte Richtlinie subventionsfähig, wenn die Voraussetzungen wie der Flaggenwechsel zu einem EU-Staat erfüllt sind.

Bedarf an maritimem Know-how

Staatlicherseits bestehe zweifellos ein gewisser Bedarf an maritimem Know-how, räumen die Autoren der Studie ein. Das betreffe insbesondere den Bereich der Lotsen und der Schifffahrtsverwaltung. Hier könne die subventionierte Ausbildungsförderung einen Beitrag leisten. Vertretbar wären zudem auch gezielte Maßnahmen beziehungsweise Förderungen, damit Fachkräfte für den öffentlichen Sektor gewonnen werden oder Absolventen Berufserfahrung auf Handelsschiffen sammeln könnten. Darauf sollte sich der Schwerpunkt staatlicher Maßnahmen allerdings beschränken.

In der Gesamtschau erscheine somit der Seeschifffahrtsstandort Deutschland nicht gefährdet, falls künftig noch mehr (EU)-Ausländer ohne Arbeitsplatzsubventionierung als bislang für deutsche Reeder tätig seien. "Daher sollte erstens die Subventionierung der Arbeitgeber-SV-Beiträge komplett entfallen. Zweitens sollte die Lohnsteuer-Subventionierung degressiv ausgestaltet werden und spätestens im Jahr 2025 enden."

Ausländische Besatzungsmitglieder

Die massive Subventionserhöhung in 2016 von 40 auf 100 Prozent Lohnsteuer-Einbehalt hat die weiteren Rückgänge der Zahl deutscher Seeleute und des Bestandes von Schiffen unter deutscher Flagge laut DSi nicht aufhalten können. Zudem werde die neueste Gesetzesänderung durch die Erweiterung von Schiffen unter EU-Flagge dazu beitragen, dass die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte vermehrt subventioniert werde. Das Bundesministerium für Finanzen habe auf Anfrage des DSi angegeben, dass jährlich 40 Millionen Euro Steuermindereinnahmen allein für ausländische Besatzungsmitglieder der EU-Staaten anfallen würden.

Damit falle den Arbeitgebern ausländischer Seeleute mehr als die Hälfte der geschätzten Subventionen des Lohnsteuer-Einbehalts zu. 
Profiteure der Beihilfen seien vor allem Arbeitgeber mit Handelsschiffen, die darüber hinaus bereits Steuerbegünstigungen bei der Gewinnermittlung und pauschalen Besteuerung nach dem angegebenen Transportvolumen (Tonnage) erhalten. "Eine weiter wachsende Subventionierung ist daher nicht sachgerecht", so das DSi.

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Reederverband befürwortet Subventionen

Deutsche Standards bedeuten in der Regel höhere Lohnkosten, so der Verband Deutscher Reeder (VDR). Der Unterschied zu Billigflaggen beträgt laut VDR bis zu 500.000 Euro jährlich.

"Die Statistiken zum Bestand der deutschen Handelsflotte und der Beschäftigung von Seeleuten zeigen, dass das von der Bundesregierung mit Unterstützung der Bundesländer umgesetzte Maßnahmenpaket zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Schifffahrtsstandortes Deutschland und zur Förderung der Beschäftigung von einheimischen Seeleuten sowie der deutschen Flagge erfolgreich ist", stellt der VDR fest. "Trotz massiver Einbrüche der von Deutschland aus bereederten Flotte mit einem Verlust von über 1.700 Schiffen seit 2012 ist es seit Einführung des Maßnahmenpaketes gelungen, die Anzahl der beschäftigten deutschen Seeleute zu stabilisieren". Dies gelte auch für den Anteil der Schiffe unter deutscher Flagge, der ohne das Maßnahmenpaket nach Schätzung des VDR um über zwei Drittel zurückgegangen wäre.

Das Gesamtpaket zur Stärkung der deutschen Flagge sei ein besonders wichtiger Baustein des sogenannten „Maritimen Bündnisses“, das die Bundesregierung, die Küsten-Bundesländer und die Sozialpartner durch eine gemeinsame Erklärung bereits im Jahr 2003 geschlossen haben, so der VDR. Die Bundesregierung habe verschiedentlich festgestellt, dass alle in diesem Bündnis jeweils getroffenen Vereinbarung eingehalten worden seien.

Wesentliches Ziel der Fördermaßnahmen sei es, einen für den gesamten Standort – und damit nicht nur die Reedereien, sondern auch den Schiffbau, die Zulieferindustrie, das Lotswesen, die Schifffahrtsverwaltung und sonstige maritime Bereiche - essenzielle Schifffahrts-Know-how durch einen Kernbestand von am Standort qualifizierten und dauerhaft tätigen Seeleuten zu sichern, so der VDR. Dies sei gerade auch für die Landverwendungen von größter Bedeutung.

„Gerade in Zeiten der wirtschaftlichen und auch geopolitischen Unsicherheit ist es für Deutschland von entscheidender Bedeutung, seine maritime Souveränität durch einen vitalen und wettbewerbsfähigen Schifffahrtsstandort sicherzustellen“ sagt Martin Kröger, Hauptgeschäftsführer des VDR. „In den vergangenen Jahren ist uns allen bewusst geworden, wie wichtig es ist, dass Deutschland ein starker Schifffahrtsstandort ist, auch um unsere reibungslose Versorgung mit Energie, Rohstoffen und Handelsgütern zu sichern“, so Kröger. Die Fördermaßnahmen des Bundes seien essenziell, um das notwendige nautisch-technische Know-how am Standort zu gewährleisten und die maritime Souveränität Deutschlands langfristig aufrecht zu erhalten. "Eine Schwächung der wesentlichen Rahmenbedingungen für den für Deutschland so wichtigen Verkehrsträger Seeschiff, über den 60 Prozent aller deutschen Exporte und künftig ein Großteil der Energieimporte abgewickelt werden, können wir uns in Deutschland nicht leisten“, betont der VDR-Hauptgeschäftsführer.

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