Immer mehr Menschen greifen zu gebrauchten Klamotten. Laut dem Secondhand Fashion Report 2022, den der Onlinehändler Momox und das Marktforschungsinstitut Kantar herausgebracht haben, gaben 67 Prozent der Befragten an, schon einmal Secondhand-Kleidung gekauft zu haben. Das sind elf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.
Mehr als jeder Zweite kauft der Befragung zufolge mindestens einmal im Jahr Klamotten aus zweiter Hand – und zwar am liebsten online: 44 Prozent der Secondhand-Käufer bestellen die Ware im Internet, 28 Prozent bevorzugen klassische Secondhand-Läden. Überraschend dabei: Vor allem die Generation 50 plus kauft gern online, während die unter 25-Jährigen am liebsten in die Vor-Ort-Läden gehen.
"Wir haben ein sehr treues Stammpublikum"
Dass sich vor allem bei den Jüngeren Secondhand wachsender Beliebtheit erfreut, stellt auch Birgit Meyer fest. Sie betreibt das Secondhand-Modegeschäft Offcourse am Ostertor im Viertel. "Wir haben Gott sei Dank schon lange ein sehr treues Stammpublikum", sagt Meyer. "Aber wir stellen fest, dass momentan auch Leute zu uns kommen, die noch keine Berührung mit Secondhand haben." Auch junge Leute kämen vermehrt. "Retro ist bei denen wahrscheinlich wieder in", vermutet Meyer.
Das kann auch Andreas Friedrich bestätigen. Der 26-Jährige hat vor Kurzem den Secondhand-Shop Defibrillator in der Westerstraße eröffnet, inklusive eines kleinen Cafés. Auch die Bar Drei Drittel mit einem kleinen Secondhand-Shop gehört ihm bereits. "Wir hätten uns ja nicht vergrößert, wenn wir nicht gewusst hätten, dass das Zukunft hat. Und dass mehr und mehr Leute gern nachhaltig einkaufen und den Stil cool finden", sagt Friedrich. "Jetzt wollen wir uns bewusst an größere Zielgruppen richten." Klassischerweise würden sich vor allem Studierende von den Vintage-Klamotten angesprochen fühlen. "Mittlerweile gibt es aber auch viele Schülerinnen und Schüler, die zu uns kommen, und auch Leute im höheren Alter."
Auch große Händler eröffnen Secondhand-Sektionen
Auch die großen Modehändler haben das Potenzial von Secondhand längst erkannt. Ob H&M, Zalando oder die Otto-Tochter About You – sie alle bieten in ihren Onlineshops mittlerweile Gebrauchttextilien an. C&A hat im vergangenen Sommer in seiner Filiale in Hamburg-Altona in Zusammenarbeit mit der Onlineplattform Carou einen Secondhand-Store eröffnet. So solle Kleidung immer stärker in Kreisläufen gedacht werden, teilt C&A-Sprecherin Dijana Tanasi? auf Nachfrage mit. "Als Unternehmen spüren wir, wie das Interesse an nachhaltigerer Kleidung und auch Secondhand-Mode zunimmt." In Frankreich habe C&A etwa eine Onlineplattform eingeführt, auf der Privatpersonen gebrauchte C&A-Artikel verkaufen können. Diese Initiative ist wohl als Versuch des Modeunternehmens anzusehen, von den zahlreichen verkauften Klamotten, die im Umlauf sind, auch wirtschaftlich wieder etwas zurückzubekommen.
Friedrich bewerte die Vorstöße der großen Modehändler in Richtung Gebrauchtwaren grundsätzlich positiv. Angst vor größerer Konkurrenz hat er nicht. "Ich glaube, das Angebot ist noch nicht so groß, als dass man da wirklich von Konkurrenz sprechen kann", sagt er. Allerdings halte er die großen Modehäuser teils für unglaubwürdig: "Auf der einen Seite produzieren sie immer noch so viele neue Sachen und sorgen dafür, dass es eine Überschwemmung an Fast Fashion gibt. Auf der anderen Seite machen sie jetzt Secondhand, weil es nachhaltig ist. Sie sollten dann lieber erst mal die Nachhaltigkeit ihrer eigenen Produktionsstätten hinterfragen."
Konkurrenzdruck durch Onlineshops
Laut einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group von 2019 macht der Secondhand-Sektor weltweit zwischen 25 und 34 Milliarden Euro aus, das sind etwa zwei Prozent des Bekleidungsmarktes. Die Studie rechnet aus, dass er sich mit einem Wachstum von 15 bis 20 Prozent pro Jahr in fünf Jahren verdoppelt haben und den Fast-Fashion-Markt im Jahr 2028 eingeholt haben wird.
Dass die Nachfrage nach Secondhand-Mode steigt, kann Silvia Stellmann vom Modemarkt im Viertel hingegen nicht bestätigen. Sie bietet hochpreisigere Artikel an, Designermode von Prada oder Gaultier. "Ich mache das seit 36 Jahren", sagt Stellmann, "aber ich merke, dass die Kunden deutlich schwinden." Zum einen führt sie das auf die Corona-Pandemie zurück, zum anderen spüre sie aber auch einen höheren Konkurrenzdruck durch Onlineshops. Durch das höhere Preissegment ist es für sie schwieriger, die junge Zielgruppe zu erreichen. "Viele wollen nur für 20, 30 Euro einkaufen", sagt Stellmann. Auch Friedrich meint, dass Secondhand nicht zwangsläufig günstig sein muss. "Auch hier steckt Arbeit hinter, die sich am Ende des Tages lohnen muss. Es geht nicht nur um die Klamotten, sondern auch um das Einkaufserlebnis."