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Kassen kritisieren Finanzierungssystem Krankenkassenbeiträge könnten steigen

Steigende Beiträge bei den gesetzlichen Krankenkassen – das prognostiziert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für 2023. Kritik am Gesamtfinanzierungssystem kommt unter anderem von der HKK und AOK.
17.03.2022, 18:20 Uhr
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Krankenkassenbeiträge könnten steigen
Von Peter Hanuschke

In seinem neuen Amt als Bundesgesundheitsminister macht Karl Lauterbach (SPD) damit weiter, womit er zuvor als Corona-Experte gefühlt meistens richtig lag: mit seinen Prognosen. Dieses Mal hat Lauterbach nicht den Pandemieverlauf, sondern die gesetzlichen Krankenkassen-Beiträge im Blick: Die könnten steigen – im nächsten Jahr. Lauterbachs Prognose-Qualitäten will die Krankenkasse BKK Firmus, die ihren Verwaltungssitz in Bremen hat, zu diesem Zeitpunkt nicht kommentieren. Die AOK aus Bremen hält Voraussagen bis ins nächste Jahr für schwierig, sieht aber, dass das Löcherstopfen auf Kosten der Krankenkassen grundsätzlich ein Fehler im System ist und deshalb steigende Beiträge nicht auszuschließen sind.

"Heute zeigt sich, dass die Strategie von Karl Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn – übrigens früh erkennbar für alle Fachleute – schon vor zwei Jahren falsch war", so Jörn Hons, Sprecher der AOK Bremen/Bremerhaven. "Die Bundespolitik hat die Rücklagen von gut wirtschaftenden Kassen zum Stopfen der Finanzlöcher im Gesundheitsfonds genutzt, die nur entstanden sind, weil man Leistungsausgaben nicht begrenzt hat."

Abbau von Rücklagen 

Das Bundeskabinett hatte 2019 beschlossen, dass die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ab Januar 2020 angehäufte Überschüsse abbauen müssen – bis zu einer maximal erlaubten Höhe von einer Monatsausgabe. Dieses Geld war und ist für den Gesundheitsfonds bestimmt, der 2009 eingeführt wurde. Ziel war es eigentlich, dass mit diesem Fonds die Deckungslücken bei den gesetzlichen Krankenkassen geschlossen werden. Im Gesundheitsfonds fließen die Beiträge der Kassen zusammen. Darüber hinaus zahlt der Bund Zuschüsse in Höhe von mehreren Milliarden Euro pro Jahr in den Fonds ein. Seit 2009 wurde zudem ein einheitlicher Beitragssatz von derzeit 14,6 Prozent des Bruttolohns festgelegt. Allerdings sind die Kosten für das Gesundheitswesen Jahr für Jahr meistens stärker angestiegen, als die Geldsumme, die in den Fonds floss. Außerdem hat die Corona-Pandemie zusätzliche Kosten verursacht.

Zusatzbeiträge der Krankenkassen

Der allgemeine Beitragssatz ist für die meisten Krankenkassen nicht kostendeckend. Deshalb berechnen die Krankenkassen in der Regel einen Zusatzbeitrag, dessen Höhe sie selber festlegen können. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag liegt momentan bei 1,3 Prozent. Die HKK verlangt einen Zusatzbeitrag von 0,69 Prozent, bei der AOK Bremen/Bremerhaven sind es in diesem Jahr 1,6 Prozent, bei der AOK Niedersachsen 1,3 Prozent.

AOK-Kritik

Allein die AOK Bremen/Bremerhaven habe 2021 rund 32 Millionen Euro von ihren Rücklagen abschöpfen müssen, so Hons. "Jetzt, in einer Krise wie dem Ukraine-Krieg, merken wir aber, wozu man Rücklagen braucht." Insofern sei das nochmalige Abschöpfen von Rücklagen, die der Bundesgesundheitsminister hier andeute, kontraproduktiv. Hinzu komme, dass die angestrebte Reform des Finanzausgleichs vor allem regionale Krankenkassen wie die AOKs benachteilige – jene Kassen, die viele schutzbedürftige und belastete Menschen versicherten.

HKK fordert Reform

"Wenn ein flächen­deckender erheblicher Anstieg der Zusatzbeiträge im nächsten Jahr vermieden werden soll, ist es dringend notwendig, dass die Bundesregierung schnellstmöglich Reformmaßnahmen ergreift und den entsprech­enden Finanzbedarf bereits in den Eckwerten für den Bundeshaushalt berücksichtigt", sagt Ilja Mertens, Sprecher der bundesweit agierenden HKK, die ihren Geschäftssitz in Bremen hat. Hierbei sollten mindestens die im Koalitionsvertrag vereinbarte Erhöhung der Beiträge für ALG II-Bezieher und die Dynamisierung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen angesetzt werden. Ausgabendeckende Beiträge für ALG II-Bezieher würden Mehreinnahmen für die GKV von bis zu zehn Milliarden Euro bedeuten. Außerdem sei eine Kostenkonsolidierung im Arzneimittelbereich notwendig. Diese Forderungen stellt auch die AOK Niedersachsen. Beispielsweise könnten die gesetzlichen Kassen jährlich rund sechs Milliarden Euro sparen, wenn die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel dauerhaft auf sieben Prozent reduziert würde, so Mertens.

"Beitragssatzerhöhung wäre Gift"

"Nach aktuellem Stand weist der Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2023 ein Defizit von 17 Milliarden Euro auf", sagt Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen. Ursache dafür seien in erster Linie die teuren Reformgesetze der vergangenen Legislaturperiode. "Eine Beitragssatzerhöhung hingegen wäre Gift für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und eine zusätzliche Belastung für unsere  Versicherten – gerade jetzt in konjunkturell schwierigen Zeiten." Ebenso wäre ein erneuter Zugriff auf die Rücklagen einzelner Krankenkassen völlig fatal. Das würde Versicherte und Arbeitgeber derjenigen Krankenkassen bestrafen, die in der aktuellen Krisensituation vorausschauend geplant haben.

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