Herr Stotz, an Ihrer Werbung verdient jede Stadt mit – wie viele Einnahmen bescheren Sie den Kommunen jedes Jahr?
Druckereibetreiber Ernst Litfaß stellte im Jahr 1854 die erste „Annoncier-Säule“ in Berlin auf. Sie sollte vor allem der aufkommenden Wildplakatierung entgegenwirken. Die Idee: es werden legale Stellen für den Plakatanschlag aufgebaut und mit den Einnahmen werden die wild ausgehangenen Plakate entfernt. Diese Dienstleistung ist auch heute noch Bestandteil der meisten Verträge. Die Stadt erhält außerdem Pachtzahlungen von uns und kann über die Werbeträger auch selbst mit ihren Bürgern und Bürgerinnen kommunizieren.
Das gilt auch für ihre LED-Werbetafeln?
Wenn wir die klassischen Werbeträger digitalisieren, entsteht durch solche Screens eine zusätzliche Möglichkeit, mit den Bürgerinnen und Bürgern in einen Dialog zu treten. Wir schaffen ein digitales Stadtinformationssystem, mit dem die einzelnen Ämter mit der Bevölkerung kommunizieren können. Wir bieten auch an, die Krisenwarnmeldungen auszuspielen. Ein digitales Stadtinformations-Netzwerk ist wichtiger denn je. Das hat die aktuelle Situation wieder gezeigt.
Sie sprechen es selbst an angesichts der Diskussion um Katastrophenwarnungen in den vergangenen Wochen. Wie schnell können Sie auf Ihre LED-Wände bundesweit zugreifen und dort womöglich lebenswichtige Nachrichten ausspielen?
Das können wir innerhalb weniger Minuten.
Ist das in der Vergangenheit auch geschehen?
In Hamburg laufen seit 2018 auf unseren digitalen Stadtinformationsanlagen Sicherheitswarnmeldungen der Stufe 1. Basis für die Warnmeldungen ist das satellitengestützte Warnsystem von Bund und Ländern, kurz Mowas, an das unsere Screens nun genau wie die anderen Multiplikatoren angeschlossen sind. Natürlich funktioniert dies auch mit anderen Warnsystemen wie Katwarn und Nina. Unsere rund 4.500 digitalen Screens im öffentlichen Raum dienten auch zum Warntag im September 2020 als offizieller Warnmultiplikator und das hat gut funktioniert. Die Resultate des Warntags sind ja unterschiedlich ausgefallen.
An vielen Orten haben die Sirenen nicht funktioniert.
Das ist die generelle Problematik der Infrastruktur: Nach dem Kalten Krieg wurden die Sirenen an vielen Stellen abgebaut. Verschiedene Kommunen bauen die Anlagen nun wieder auf. Auch hier arbeiten wir aktuell mit Hamburg an einer Kooperation, weil sie das Sirenenwarnnetz schrittweise modernisieren wollen. Dort sind zum Teil noch Motorsirenen im Einsatz. Eine davon erreicht beispielsweise in Altona 250.000 Menschen. Wir können ergänzend sehr gezielt in den Stadtteilen auf eine Gefahrenlage aufmerksam machen und optisch die Informationen dazu gegeben. Das gab uns den Impuls, selbst über Sirenentechnologie nachzudenken.
Und was ist da Ihr Plan?
Sirenen haben einen sogenannten "Weckeffekt". Daher entwickeln wir gerade eine Sirene für unsere Werbeträger, die in einem kleineren Umfeld alarmieren kann. Damit können wir dann eine optische und akustische Warnung zusammen anbieten.
Also ein akustisches Signal auf jeder LED-Wand? Die Datenleitung ist ja eh vorhanden.
Ja, genau. Mit der Entwicklung sind wir jetzt fertig und gehen nun mit den Städten ins Gespräch. Die Städte sortieren sich da auch selbst gerade neu. Auf alle Fälle wäre es eine ideale Ergänzung zur optischen Warnung. Klar gibt es die Warnapps, allerdings hat nicht jeder permanent seine App geöffnet und viele Menschen sorgen sich um ihre Daten.
Das mit dem Datenschutz muss jeder mit sich selbst ausmachen.
Grundsätzlich sollte es Warnmultiplikatoren geben, so wie es das Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) auch aufgestellt hat. Neben Radio, TV und Online-Diensten sollte es in den Städten künftig auch digitale Außenwerbung sein. Gleichzeitig bin ich ein Freund davon, wie es German Alert macht, also aktiv per SMS Pushnachrichten zu verschicken, so wie man das zum Beispiel aus den USA kennt.
Dass Sie ausgerechnet jetzt an diesem Thema dran sind.
Digitale Außenwerbescreens gelten bereits seit 2018 neben TV, Radio und Handy-Apps als offizielle Warnmultiplikatoren. Dies wurde in einem bundesweit gültigen Multiplikatorenvertrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geregelt, den seitdem jede Stadt und jedes Bundesland mit nur wenigen Modifikationen nutzen könnte. Nach dem Anschlag in Berlin auf dem Breitscheidplatz im Jahr 2016 haben wir begonnen, uns mit dem Thema zu beschäftigen. Informationen wie Verhaltensregeln oder Hinweise von Polizei, Feuerwehr und Behörden sowie Vorgaben der Bundesregierung sollten möglichst zeitnah und zielgerichtet bei der Bevölkerung ankommen – auch, beziehungsweise vor allem im öffentlichen Raum.
Inwiefern?
Als der erste Corona-Lockdown kam, boten wir allen Kommunen an, dass sie über unsere Screens die Menschen informieren können – beispielsweise auf die AHA-Regeln hinweisen. Natürlich bedarf es da auch Ergänzungen zur Außenwerbung, wenn man dazu aufruft, die Mobilität einzuschränken. Beispielsweise beim Anschlag in München wäre es hilfreich gewesen, wenn es da bereits seitens der Stadt den Zugriff auf unsere Screens gegeben hätte. Es war damals ja völlig unklar, was in der Stadt los ist. Unseren kommunalen Partner wird aber immer mehr bewusst, wie wichtig es ist, sich als Stadt die Faktenhoheit im öffentlichen Raum zu sichern. Objektive Informationen, eindeutige Absender und Transparenz sind zurzeit wichtiger denn je und sorgen in diesen turbulenten Zeiten für Vertrauen.
Das nehmen die Kommunen bestimmt gern an, aber so klamm wie die sind, wollen die nichts dafür zahlen.
Aber da können wir helfen. Wir bieten ja bereits Infrastrukturlösungen für Städte, beispielsweise vollautomatische Toiletten oder Bus- und Bahnhaltestellen. So was kann man in Verbindung mit Werbung refinanzieren. Wenn ich als Kommune eine zeitgemäße digitale Außenwerbung ermögliche, bekomme ich dadurch die Möglichkeit, ein solches Stadtinformationssystem nahezu kostenfrei zu etablieren.
Wie sehr haben die Anfragen dazu bei Ihnen seit der Hochwasserkatastrophe zugenommen?
Das Interesse daran ist spätestens seit der Coronakrise gestiegen. Die Krisenstäbe haben unser Angebot gut angenommen und da schon sehr rege über die Screens kommuniziert. Gleichzeitig nutzten wir die Screens auch, um gesellschaftliche Themen und Hilfsangebote schnell, unbürokratisch und vor allem kostenneutral zu transportieren. Beispielhaft die Aktion „Kochen für Helden“ oder die coronaschool – eine Plattform, die kostenfrei den Kontakt zwischen Schülern und Studenten vermittelt, um beim anfallenden Lernstoff zu unterstützen. Als Infrastrukturanbieter und Partner der Städte können wir unterschiedliche Lösungen anbieten. Dahinter stecken aber auch Verträge, und die Kommunen und Städte müssen für sich ein Setup entwickeln.
Wenn sich der Nutzen dann auch positiv bei der Wartezeit auf den genehmigten Bauantrag widerspiegelt…
Ich nehme da schon ein Umdenken wahr. Hamburg geht da zum Beispiel sehr proaktiv vor. Wo zuvor eine herkömmliche Plakatwand stand, ist eine Genehmigung für einen digitalen Screen normalerweise auch kein Problem. Der angesprochene Zusatznutzen hilft auf jeden Fall, auch wenn sich beim Bauamt die baurechtliche Beurteilung davon nicht beeinflussen lässt. Es gelten für Werbeanlagen und den öffentlichen Straßenraum besondere gestalterische Anforderungen. Beispielsweise zum Schutz bestimmter Bauten oder Plätze von städtebaulicher, künstlerischer oder geschichtlicher Bedeutung sowie von Denkmälern. In reinen Wohngebieten sind außerdem nur Litfaßsäulen erlaubt.
Warum?
Im Gesetz heißt es, dass sie „privilegiert-berechtigt“ sind, weil sie zu mehr als 50 Prozent zur Unterrichtung der Bevölkerung über kirchliche, kulturelle, politische, sportliche und ähnliche Veranstaltungen dienen. Das ist vielleicht etwas überholt. Die Intention, die Bürgerinnen und Bürger zu verschiedenen Lebensbereichen und Themen des öffentlichen Interesses in ihrer Stadt oder Gemeinde zu informieren, verfolgen wir heute auch über die digitalen Stadtinformationsanlagen.
Wie sehr ist Ströer von der Hochwasserkatastrophe betroffen?
Der Schaden ist sehr überschaubar. In Jahren mit großen Stürmen haben wir wesentlich höhere Schäden an unseren Werbeträgern zu verzeichnen. Die Situation in den verschiedenen Teilen des Landes hat uns jedoch alle schockiert und betroffen gemacht. Umso dringender war der Wunsch, den Kolleginnen und Kollegen zu helfen, die vom Hochwasser betroffen sind.
Denken Sie bei den LED-Screens auch an Solarmodule?
Das Thema beschäftigt uns permanent, weil in der Branche eine der höchsten CO2-Belastungen der Strom ist. Wir haben die digitalen Werbeträger komplett auf Ökostrom umgestellt. Auf dem Greentech-Festival in Berlin haben wir eine Wartehalle gezeigt, deren digitale Fahrplanvitrine über ein Solarmodul autark betrieben werden kann. Allerdings kommt da die Technik der Solarpanels schnell an ihre Grenzen. Sie haben da eben nicht ein ganzes Hausdach für Solarmodule zur Verfügung.
Wie sehr arbeiten Sie daran, mit ihren LED-Wänden in Zukunft Werbung gezielt nur in bestimmten Stadtteilen auszuspielen?
Der Vermarktungsfokus unserer Stadtinformationsanlagen liegt auf regionalen und lokalen Kunden. Durch Werbemotive oder Veranstaltungshinweise auf den Screens ist es möglich, Passanten direkt auf die Angebote der lokal ansässigen Einzelhändler aufmerksam zu machen.
Wie kleinteilig können Sie da sein, und wo wollen Sie in fünf oder zehn Jahren sein?
Wir können innerhalb weniger Minuten Werbung an einem bestimmten Standort ausspielen. Das ist ein bedeutendes Argument, warum wir eine Investition vom klassischen Plakat in die Digitalisierung stecken. Dadurch können wir an einer Stelle deutlich mehr Botschaften unterbringen und das wesentlich effizienter und unsere Kunden können lokal sehr spezifisch und zentral Kampagnen ausspielen.
Und noch mehr zugeschnitten.
Als Restaurant könnte ich in Zukunft sagen, dass ich die drei Screens in meinem direkten Umfeld dienstags und donnerstags von 10 Uhr bis 11.30 Uhr buche mit Infos zu meinem Mittagstisch und genau so lange, wie ich noch Plätze in meinem Restaurant frei habe. Oder wenn einen Tag vor einem Konzert noch Karten erhältlich sind, bewerbe ich die auf dem Screen. Sobald die Tickets verkauft sind, kann man die Werbung runternehmen.
Das klingt langfristig nach einem Ende für das herkömmliche Plakat und denjenigen, die die Plakate dort anbringen.
Ich glaube, dass alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert wird. Kulturplakate werden wir bestimmt noch lange geklebt sehen – also auch noch in zehn Jahren. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es noch viele Jahre Sinn machen wird, Wirtschaftswerbung zu plakatieren.
Wie hat sich denn während der Pandemie die Zahl der Heiratsanträge per Plakat entwickelt?
Der Trend ist bisher unverändert. Wir können uns aber vorstellen, dass sich die Zahl der Heiratsanträge im Rahmen der Digitalisierung erhöhen wird, denn die Eintrittsschwelle ist deutlich geringer. Sie brauchen nur die eine Stunde zu der bestimmten Zeit buchen, in der der Partner aus der U-Bahn kommt.
Welche Werbung würden Sie ablehnen?
Selbstverständlich prüft Ströer, ob ein Plakatmotiv sittenwidrige oder strafrechtlich relevante Inhalte enthält und behält sich vor, Aufträge in diesem Fall abzulehnen. Hierbei orientiert sich Ströer an den Grundregeln zur kommerziellen Kommunikation des Deutschen Werberats. Als Plakatflächenvermieter kann die Ströer-Gruppe jedoch keine Werbung ablehnen, die nicht gegen Gesetze oder freiwilligen Selbstbeschränkungen verstößt.
Beim Thema Sexismus hätte man vor 30 Jahren womöglich noch Plakate ausgespielt, was man heute nicht mehr machen würde.
Da entwickelt sich auch eine Gesellschaft weiter. Wir sind jedoch nicht frei, alles abzulehnen. Werbung genießt den grundrechtlichen Schutz der Freiheit der Meinungsäußerung. Da kommen wir manchmal auch an unsere Grenzen. So lang Institutionen und Produkte gesetzlich erlaubt sind und das Motiv von der Freiwilligen Selbstkontrolle her ab null Jahren freigegeben ist, dann muss man es auch plakatieren können. Für all diese Fragen haben wir Spezialisten im Unternehmen, die jede Kampagne prüfen, ob diese im Einklang mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen stehen.
Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.