Obwohl Deutschland mehr als genug Strom produziert, wird seit einigen Wochen immer wieder elektrische Energie aus dem Ausland importiert. Die Erklärung für das vermeintliche Paradox: Die gestiegenen Preise für CO2-Verschmutzungszertifikate machen sich am Strommarkt immer deutlicher bemerkbar. Die Energieimporte kommen vor allem aus der Schweiz, Frankreich und Österreich. Das lässt sich am sogenannten Agorameter ablesen, das von der Denkfabrik Agora Energiewende und vom Öko-Institut betrieben wird.
Die Energiewende führt eigentlich zu Überkapazitäten bei der Stromerzeugung. Täglich kommen neue Windräder und Solaranlagen hinzu. Die Erneuerbaren decken mittlerweile mehr als ein Drittel des Strombedarfs ab. Zugleich werden die alten Großkraftwerke, die Stein- und Braunkohle verbrennen oder Atomkraft nutzen, nur zögerlich stillgelegt. Die Folge ist, dass Deutschland seit Jahren weit über den eigenen Bedarf produziert. Der Strom wurde in die Nachbarländer verkauft.
Importe hat es gleichwohl immer gegeben. Beim Öko-Institut wird dabei auf einen saisonalen Faktor aufmerksam gemacht, der derzeit zum Tragen kommt. In den Alpen schmilzt der Schnee. Hunderte von Speicherseen laufen voll, die dazu da sind, elektrische Energie mittels Wasserkraft zu erzeugen. Die Betreiber suchen deshalb Abnehmer für den Strom und akzeptieren auch niedrige Preise.
Die großen Braunkohlekraftwerke am Niederrhein und in Ostdeutschland laufen normalerweise über das gesamte Jahr mit einer relativ konstanten Leistung zwischen 15 und 17 Gigawatt. Über Pfingsten wurde die Leistung aber auf zeitweise drei Gigawatt heruntergefahren. Auch die Steinkohlekraftwerke arbeiteten am verlängerten Wochenende auf Sparflamme.
„Vieles spricht dafür, dass die erhöhten Kosten der Kraftwerksbetreiber sowie die geringen Marktpreise dafür ein maßgeblicher Grund waren“, sagt Carlos Perez Linkenheil vom Berater Energy Brainpool. Die geringen Preise an der Strombörse ergaben sich dadurch, dass der Verbrauch relativ gering war und zugleich wegen des Wetters viel Öko-Strom im Netz war. Der preiswerte Strom von Alpen-Anrainern sei begünstigend hinzugekommen.
Zertifikate werden gehortet
Auf der Kostenseite kam bei den Kohlekraftwerken zum Tragen, dass sie für CO2 zahlen müssen. Die entsprechenden Zertifikate werden wie Aktien oder Anleihen gehandelt. Die Preise für die Verschmutzungsrechte haben sich in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verdreifacht. Für eine Tonne Kohlendioxid mussten zuletzt 15,90 Euro gezahlt werden. „Die erhöhten CO2-Preise könnten auf die Stromproduktion durchschlagen“, sagt Perez Linkenheil.
Er führt die Steigerung auf zwei Effekte zurück: Die EU-Kommission hat beschlossen, die Menge der Zertifikate von 2021 an um 2,2 Prozent zu verringern. Zudem wirkt von Anfang nächsten Jahres an die Marktstabilisierungsreserve. Um Preise hoch zu halten, kann bis zu einem Viertel der Verschmutzungsrechte vom Markt genommen werden. Offensichtlich werden nun Zertifikate gehortet – in der Hoffnung, sie später noch teurer zu verkaufen. Diese Spekulation treibt schon jetzt die Preise.