Die Kündigung kam ordnungsgemäß als Einschreiben ins Haus: Wegen der "politisch eingeleiteten Wärmewende" habe man die Lieferverträge für Fernwärme "überarbeitet", teilte der Bremer Energieversorger SWB darin mit. Kürzere Laufzeiten – fünf statt bisher zehn Jahre: So „bleiben sowohl Sie als auch wir flexibel“, erfuhr der Hausbesitzer Stefan Prüß in dem Schreiben. Per beigefügter Antwortkarte könne er gleich einen neuen Vertrag abschließen. Dass damit auch eine Preiserhöhung um mehr als 50 Prozent verbunden sein würde, stand nicht dabei.
Prüß gehört zu den ersten Fernwärmekunden der SWB, die im März ihre Kündigung erhielten. Sein bisheriger Vertrag für die Fernwärmeversorgung eines Vierparteienhauses in der Vahr läuft im Januar 2026 aus. In den kommenden zehn Jahren will die SWB alle auslaufenden Verträge kündigen und zu veränderten Konditionen neu aufsetzen, hatte der Energieversorger Mitte März angekündigt. Grund seien die Investitionen in eine „klimaneutralere Wärmeversorgung“. In einer Beispielrechnung, die die SWB der Ankündigung beigefügt hatte, ist von einer Preiserhöhung um 20 Prozent für ein Einfamilienhaus die Rede. Prüß hält diese Berechnung für eine „ungeheure Schönfärberei“.
Wie sich die neuen Verträge auf den Fernwärmepreis auswirken, geht nur indirekt aus dem SWB-Schreiben an die Kunden hervor: „Man muss sich das aus den beigefügten Preisinformationen raussuchen“, berichtet Prüß: vier DIN-A-4-Seiten zu Erdgas-, Strom-, Wasser- und Fernwärmepreisen. Als er sich durch die Zahlenreihen arbeitet, bleibt er an der Spalte „Leistungspreis“ für Fernwärme hängen: Statt jährlich 6,33 Euro pro Kilowatt Leistung soll sein Anschluss künftig 46,10 Euro kosten – mehr als das Siebenfache.
Anschlusskosten drastisch erhöht
Der Hausbesitzer wühlt sich bis spät in die Nacht durch alte Abrechnungen, vergleicht die Zahlen mit den neuen Preisen und rechnet aus, was das Heizen mit Fernwärme ihn und seine Mieter künftig kosten würde. Der Preis setzt sich aus drei Komponenten zusammen: einem Leistungs- und einem Grundpreis, die für den Anschluss an die Fernwärmeleitung fällig werden, und einem Verbrauchspreis für die zum Heizen verbrauchte Wärme. In ihren neuen Verträgen erhöht die SWB die Anschlusskosten drastisch: Der Grundpreis steigt um gut 20 Prozent, der Leistungspreis um das Sechs- bis Siebenfache – je nach Anschlussgröße.
Für sein Haus in der Vahr – unten eine Eisdiele, darüber drei Mietwohnungen – verfügt Prüß über einen Fernwärmeanschluss mit 32 Kilowatt Leistung. In der letzten Jahresabrechnung für 2023/24 schlug der Leistungspreis mit gut 180 Euro zu Buche – künftig werden es 1475 Euro sein, hat er ausgerechnet. Der Grundpreis erhöht sich von 180 auf 250 Euro. Bleibt der Verbrauch von rund 16.500 Kilowattstunden und der dafür fällige Verbrauchspreis von 13,8 Cent pro kWh gleich, erhöht sich die Heizkostenrechnung für das Haus von knapp 2400 auf mehr als 4000 Euro. „Das ist eine Preiserhöhung um 69 Prozent“, stellt Prüß fest.
Ein Teil der Mehrkosten geht auf das Auslaufen des vergünstigten Mehrwertsteuersatzes zurück, zu dem die Verbraucher während der Energiekrise 2022/23 Gas und Fernwärme beziehen konnten. Rechnet man diesen Effekt heraus, bleibt jedoch immer noch eine Erhöhung um mehr als 50 Prozent, die auf die neuen SWB-Tarife zurückzuführen ist.
SWB bestätigt Kostenerhöhung
Beim Bremer Energieversorger bestreitet man die Berechnungen im Grundsatz nicht: „Die Kostenerhöhung in Euro ist nachvollziehbar“, räumt SWB-Sprecherin Angela Dittmer ein. Die prozentuale Steigerung sei allerdings stets „sehr individuell“. Jedes Rechenbeispiel funktioniere nur für den einen speziellen Anwendungsfall; allgemeingültige Pauschalaussagen zu den Auswirkungen des neuen Preissystems ließen sich daraus nicht ableiten. „Es ist absolut wichtig, immer auf die individuelle Situation vor Ort zu blicken“, so Dittmer.
Bei der Verbraucherzentrale wird man bei Fällen wie diesem dennoch hellhörig. „Wir werden uns das noch einmal ansehen“, kündigt Inse Ewen an, Leiterin der Energieberatung. „Die Spannbreite, wie sich die Erhöhungen auswirken, scheint groß zu sein.“ Mit einem anderen Fall ist die Verbraucherzentrale bereits bei der Landeskartellbehörde vorstellig geworden; die Wohnungsbaugesellschaft Gewoba will die Preiserhöhungen juristisch prüfen.
Im Falle des 2012 sanierten Mehrfamilienhauses in der Vahr könnte eine Reduzierung der Anschlussleistung helfen: Jedes Kilowatt weniger würde die Kosten senken. Die Verbraucherzentrale berät Fernwärmekunden, ob eine Reduzierung infrage kommt; eine genaue Berechnung führen Heizungsinstallateure und Energieberater durch. Die technische Umrüstung der Heizungsanlage könne 150 bis 300 Euro kosten, so die Verbraucherzentrale. Auf ihrer Internetseite zu den neuen Fernwärmeverträgen hat die SWB das Auftragsformular bereits online gestellt.