Es ist ein kleiner Klub von Kaufleuten, der am 23. Oktober 1893 auf die damals abwegig erscheinende Idee kommt, die Werft von Johann Lange in Vegesack zu kaufen und noch am gleichen Tag die Bremer Vulkan Aktiengesellschaft – Schiffbau und Maschinenfabrik zu gründen.
Die Männer haben mitten in einer der vielen Schiffbaukrisen den Plan, richtig große Schiffe aus Stahl zu bauen und die Dampfkessel gleich noch dazu. Und sie haben den richtigen Werftdirektor dafür. „Victor Nawatzki erlangt das Vertrauen im Kreis der zehn Gründungsaktionäre um den Bremer Großkaufmann Franz E. Schütte, weil er sich mit seinem eigenen Geld beteiligte und offensichtlich etwas von seinem Handwerk versteht“, sagt der Bremer Historiker und Vulkan-Forscher Hartmut Roder zur Initialzündung für die Vulkan-Gründung. Nawatzki hat vor seiner Anstellung an der Johann-Lange-Werft bei Blohm und Voss in Hamburg und bei der Meyer-Werft in Papenburg gearbeitet. Den Papenburger Werftchef Josef L. Meyer überredet Nawatzki sogar, sich an der neuen Aktiengesellschaft mit 24 Aktien zu beteiligen.
Viele der kleinen Holzbootsbaubetriebe an Lesum und Weser haben gerade erst zwischen 1868 und 1871 aufgegeben. Und die ersten Experimente mit dem neuen Schiffbaumaterial Stahl und den Dampfantrieben sind eher ernüchternd gelaufen. Die englische Konkurrenz scheint im Schiffbau übermächtig.
Dazu ist auch noch die Weser so versandet, dass man sie bei Niedrigwasser an einigen Stellen zu Fuß durchqueren kann. Der Zirkel der Kaufleute besteht aus Franz Ernst Schütte (60 Aktien), den Großreedern der Firma D.H. Wätjen (30 Aktien) und Friedrich Bischoff (30 Aktien), den Direktoren der Bremer Wollkämmerei Paul Zschörner und Friedrich Ullrich, der Schiffsmaklerei C.A. Bunnemann und Bankier Bernhard Loose (42 Aktien). Sie ahnen, was durch die Eimerkettenbagger des Weserkorrektors Ludwig Franzius bald wieder auf der Weser möglich sein wird: Unbeschränkte Geschäfte auf und neben dem Fluss, der wieder in die Welt führt.
„Bremen hatte die Industrialisierung bis dato verschlafen und nun geht es stürmisch los: Diese Herren beteiligen sich auch an anderen Unternehmungen, die dem Vulkan noch sehr nützlich sein werden.“ Historiker Hartmut Roder berichtet von den Verflechtungen hin zur Reederei Argo, zum Norddeutschen Lloyd, zum Fruchtunternehmen Scipio und – ganz entscheidend – zur Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft: „Immer wenn es nicht so lief, wurden von dort neue Heringslogger bestellt und man hatte wieder Grundauslastung.“ Roder spricht gar von Heiratszirkeln in dieser Kaufmannschaft, mit denen man sich gegenseitig noch intensiver verpflichtet: „Der Vulkan ist eine echte Bremensie.“
Fischdampfer in Großserie
Nicht einmal zwei Jahre muss Generaldirektor Nawatzki warten, bis er die Werftgeschäfte vom engen Bauplatz am Vegesacker Hafen entscheidend ausweiten kann: Am 15. April 1895 kauft der Bremer Vulkan Ullrichs Werft für gerade einmal 500 000 Reichsmark – ein Schiffbaubetrieb schon mit vier Helgen direkt an der Weser in Aumund, raus aus der Enge der Lesummündung. Nun kann es richtig losgehen, denkt man – und doch baut die Werft erst einmal Fischdampfer in Großserie, bis der Norddeutsche Lloyd 1899 zwei Frachter, vermessen mit 5000 BRT, bestellt.
Die Werft hat jetzt für die Zeit hohe Gerüste und gute Krananlagen, rund 1000 Beschäftigte und den unschlagbaren Vorteil, dass man die dampfgetriebenen Schiffsmaschinen nirgendwo bestellen muss, sondern die mächtigen Kesselanlagen selbst herstellt und auch entwickelt. Fast erstaunlich, dass Nawatzkis Masterplan aufgeht, denn zeitgleich genehmigen sich die Besitzer im Schnitt zehn Prozent Dividende. Roder: „Der Vulkan war zu jeder Zeit vom Eigenkapital her unterfinanziert. Alle Investitionen mussten immer aus dem laufenden Geschäft erfolgen.“

Historiker Hartmut Roder
Entscheidend für den Erfolg bleibt die Verbindung zu den Kunden: Die heißen DDG Hansa, Roland-Linie, Deutsche Ostafrikalinien, Hapag, Woermann und die Argo-Reederei. Bis zum Ersten Weltkrieg liefert der immer weiter wachsende Vulkan 130 Schiffe insgesamt, davon 75 Frachtdampfer bis 10 000 BRT und 32 mit 14 000 BRT, ab – das sind jetzt wirklich große Schiffe für diese Zeit. Die Dividende liegt bei 7,6 Prozent und der Erfolg schafft Begehrlichkeiten: Immer wieder muss Nawatzki Übernahmeangebote auch von der benachbarten AG Weser abwehren und vorgeblich gut gemeinte Fusionsvorschläge seitens der politischen Obrigkeit ausschlagen.
Nawatzki erweitert lieber die Stammwerft mit Grundstückszukäufen Richtung Blumenthal. Der Vulkan kommt damit im ersten Schritt auf eine Wasserfront von 1500 Meter und 500 000 Quadratmeter Grundstück. 1914 zählt die Werft 3300 Beschäftigte und baut an einer schwimmenden Visitenkarte erster Güte: Der Norddeutsche Lloyd bekommt mit der „Zeppelin“ 1915 einen Doppelschraubendampfer mit einer 9500-PS-Maschine. 2165 Passagiere kann das Schiff aufnehmen, das der alte Graf Zeppelin bei strömendem Regen und Donner eigenhändig tauft.
Die Hälfte der Belegschaft ist da schon vom Deutschen Kaiser zu den Waffen gerufen worden. Werftdirektor Victor Nawatzki möchte bei Kriegsausbruch eigentlich nicht einsteigen in die Kriegsschiffproduktion. Noch 1916 bestellen Hapag und der Norddeutsche Lloyd große Frachtdampfer. Wieder wird Richtung Blumenthal Grund dazu gekauft, die Wasserkante länger. Wie anderswo das Knallen der Granaten und Maschinengewehre im Stellungskrieg ortstypisch sind, ist es in Vegesack das Dröhnen der Niethämmer: 800 000 Nieten halten einen mittleren Frachtdampfer von 9000 BRT zusammen.
59,5 Pfennig Stundenlohn
Die Arbeit ist gefährlich und anstrengend und wird deutsch genau protokolliert: 1915 bekommen gewerbliche Arbeiter 59,5 Pfennige Stundenlohn, für Kriegsgefangene werden pro Stunde 35,1 Pfennige an das Reich bezahlt. Der Frauenlohn liegt darunter bei 28,3 Pfennigen. Die Dividende beträgt im Ersten Weltkrieg 13 Prozent. 1916 kauft sich August Thyssen als neuer Großaktionär beim Vulkan ein. Der Krieg wird den Großindustriellen nicht ärmer machen: 1917 werden 24 U-Boote bestellt. Abliefern wird der Vulkan nur sechs. Man hat genug mit dem Bau richtiger Schiffe zu tun, auch kriegsbedingt: Der U-Boot-Krieg draußen auf dem Meer verschlingt Tonnage. Der Auftragsbestand der Werft liegt im Kriegsjahr 1918 bei 370 Millionen Reichsmark.
Die wirre Zeit der Revolution mit Soldatenrat und roten Flaggen auf der Werft geht ziemlich schnell über in eine normale Werfttätigkeit auf kleiner Flamme. Im nächsten Schiffbauboom ab 1920 fasst die Werft den schlauen Beschluss, fortan MAN-Dieselmotoren in Lizenz zu bauen. 1923 sind 4150 Menschen auf der Werft beschäftigt. Zwei Jahre später ist die „Berlin“ für den Norddeutschen Lloyd mit ihren zwei Schornsteinen nicht nur von außen ein echter Hingucker, sondern setzt auch mit einem pompösen Innenausbau neue Standards im Geschäft der Luxusliner. Mit 16,5 Knoten Speed geht es von Bremen über den Atlantik nach New York.
Ein Jahr später – 1926 – ist die „Ruhr“ für den Stammkunden Hugo Sinnes Linien in Hamburg das erste Motorschiff der Werft. Und Nawatzki kommentiert die Klagen anderer deutscher Werften mit: Der Vulkan sei geradezu „merkwürdig gesund. Wir haben Aufträge.“ 1928 legt die Werft nach mit dem größten Motortanker seiner Zeit, der 171 Meter langen C.O. Stillmann für die International Petroleum-Company in Toronto, Kanada. Das Vulkan-Geschäft ist vor dem Zweiten Weltkrieg international geworden.
Für Hartmut Roder ist das „organische Wachstum“ der Werft bis dahin genauso wichtig für den Erfolg des Vulkan wie die lange Zeit des Generaldirektors als Lenker an seiner Spitze: Erst 1922 zieht sich Victor Nawatzki aus dem Direktorium zurück, bleibt aber bis zu seinem Tod 1940 mächtiger Aufsichtsratschef. Roder: „Er hat den Vulkan beweglich gehalten, war immer Ansprechpartner für die Kunden und hat Fusionen immer wieder abgelehnt.“ Seinen Nachfolger Robert Kabelac installiert Nawatzki 1939 noch mit. Wie Kabelac den Vulkan durch die Nazizeit steuert, welche Deals er mit den Machthabern eingeht und die Werftchronik schönt, ist Thema im zweiten Teil der Serie „Der Tanz auf dem Vulkan“.