Wie steht Bremen tatsächlich da? Wie misst man die finanzielle Lage? Dass die Situation schwierig ist, steht außer Frage, wenn man allein die Zinslast betrachtet: Bremen muss derzeit pro Jahr mehr als 540 Millionen Euro dafür ausgeben – Geld, mit dem man eine Reihe von Kindertagesstätten bauen, Schulen, Brücken und Straßen sanieren könnte.
Der von Bund und Ländern eingesetzte Stabilitätsrat, der – unter anderem – Bremens finanzielle Situation und seine Anstrengungen zur Haushaltssanierung beurteilt, hat ein eigenes System zur Einschätzung der Haushaltslage, in Form sogenannter Kennziffern. Dabei wird nicht nur ein Haushaltsjahr betrachtet, sondern auch in die Zukunft und Vergangenheit geschaut. Zu den Daten, die zur Beurteilung der Lage öffentlicher Haushalte herangezogen werden, gehört beispielsweise die Kreditfinanzierungsquote, die zeigt, in welchem Ausmaß der Haushalt durch Kredite gespeist wird.
2016 betrug sie laut des „Stabilitätsberichts 2017“ für Bremen: 9,2 Prozent, im Länderdurchschnitt: -1,2. Ein weiteres Maß ist die Zins-Steuer-Quote; sie beziffert die Höhe des Anteils an Steuereinnahmen, der für Zinsen ausgegeben werden muss (Bremen: 14,3 Prozent, Länderdurchschnitt: 4,7). Der Schuldenstand gehört ebenfalls zu den Kennziffern (Bremen pro Kopf: 31.096, Länderdurchschnitt: 6809) sowie der Finanzierungssaldo.
Er stellt das Verhältnis von Einnahmen zu Ausgaben dar, abzüglich konjunktureller Effekte, also Wirkungen von außen, die Bremen nicht beeinflussen kann. Der sogenannte strukturelle Finanzierungssaldo reduziert sich auf die Zahlen, die Bremen sozusagen selbst zu verantworten hat. In Bremen ist er je Einwohner dreistellig negativ, im Länderdurchschnitt zweistellig positiv.
Allen diesen Kennziffern sind sogenannte Schwellenwerte zugeordnet, deren Überschreitung als eine Auffälligkeit gewertet wird. Das Land Bremen fiel 2016 bei sämtlichen Kennziffern auf. Um zu ermessen, wo der Zwei-Städte-Staat großzügiger, teurer, knausriger, leistungsfähiger oder unwirtschaftlicher verfährt als andere Länder oder Städte, wird seit einigen Jahren auch die Methode des Benchmarkings herangezogen.
Der Vergleich soll mehr bieten als einen Überblick, er soll die Guten von den Schlechten scheiden und zum Abgucken von Erfolgsrezepten („Best Practice“) animieren. Dass sich Länder auf diese Art miteinander messen, ist seit der Föderalismusreform II im Jahr 2009 Bestandteil des Grundgesetzes, darauf verweist Martin Braun, Leiter der ZDL, der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister.
Von den Ländern wenig genutzt
In Artikel 91 d heißt es: „Bund und Länder können zur Feststellung und Förderung der Leistungsfähigkeit ihrer Verwaltungen Vergleichsstudien durchführen und die Ergebnisse veröffentlichen.“ Ziel des Artikels sei, die Bereitschaft zu freiwilligen Benchmarks zu fördern, sagt Braun. Die ZDL halte eine gewisse Datenbasis für Benchmarks vor, sie werde von den Ländern indes wenig genutzt, weil man „schnell in einem Gestrüpp von Details landet“, sagt der Jurist.
„Benchmarks sind immer eine radikale Vereinfachung, man kann die Komplexität der Welt nicht in Zahlen oder in einem Rang erfassen.“ Kein Land sei wie das andere, entsprechend verwiesen die Länder auf Besonderheiten, die aus ihrer Sicht berücksichtigt werden müssten, um Vergleiche nicht hinken zu lassen. Zudem seien die Zahlengrundlagen oft sehr unterschiedlich.
Benchmarks mit Dutzenden von Fußnoten erübrigten sich jedoch, weil sie keine klare Übersicht mehr bieten könnten. Auf kommunaler Ebene ist auch die KGSt, die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, tätig. Der Verein wird von ihren in der Hauptsache kommunalen Mitgliedern (Landkreise, Städte und Gemeinden) finanziert und bietet als Service unter anderem Kennzahlenvergleiche, sogenannte Vergleichsringe an, sagt Roland Fischer vom Geschäftsbereich Beratung & Vergleiche.
Abweichungen nach oben und nach unten
Gemeinsam „mit kommunalen Praktikerinnen und Praktikern“ würden Kennzahlensysteme zu kommunalen Themen diskutiert und vereinbart sowie Werte erhoben und verglichen. Gegenstand können laut Fischer beispielsweise der Bürgerservice, die Jugendhilfe oder die Feuerwehren sein. „Die Kennzahlenvergleiche stoßen Diskussionen über die Stärken und Schwächen der Kommunen an.
Durch den Erfahrungsaustausch erhalten sie praxiserprobte Hinweise zur Verbesserung ihres Handelns“. Bisher habe die KGSt gut 300 Vergleichsringe mit mehr als 3500 Kommunen gebildet, Bremen gehört auch dazu. Im Benchmarking mit anderen Großstädten zeigen sich für Bremen teilweise erheblich Abweichungen, nach oben, nach unten ebenfalls.
Besonders auffällig sind die Ausgaben für Erziehungshilfe: Keine andere der verglichenen Städte gibt mehr Geld pro Jungeinwohner (bis 20 Jahre alt) für pädagogische Unterstützung aus. Bei den Kosten pro Fall liegt Bremen unter dem Durchschnitt und unter den Werten anderer Großstädte.
Wolfgang Renzsch kennt sich gut mit Benchmarks aus. Der „Deutschlandfunk“ betitelte den emeritierten Professor als „Mister Länderfinanzausgleich“, für den das Thema „in etwa so spannend ist wie ein Elfmeter-Krimi“. Der Politologe erarbeitete 2006 für das Saarland und Bremen Gutachten, die die Probleme des Finanzausgleichs am Beispiel dieser beiden Länder beleuchtete.
Welches sind die Chancen, wo liegen die Gefahren des Benchmarkings? Auf jeden Fall biete es Möglichkeiten, habe aber auch Mängel und führe schnell zu Streit, sagt Renzsch. Ökonomen und Juristen seien sich in Grundsatzfragen uneins, jedes verglichene Land und jede Kommune nehme obendrein Ausnahmetatbestände für sich in Anspruch. „Die Problemlagen sind regional unterschiedlich“, sagt Renzsch. „Solche Sonderfaktoren sind aber nicht wirklich exakt zu bestimmen“ und in Zahlen zu pressen.
Zudem berücksichtige ein statistischer Zahlenvergleich vieles nicht, was für die Lage von Ländern oder Kommunen eine große Rolle spiele wie die historische Entwicklung, in Bremen zum Beispiel das Werftensterben und seine Folgen. Dennoch seien Vergleiche hilfreich und hätten durchaus Aussagekraft für die Frage, wie ein Land oder eine Kommune aufgestellt sei. „Man muss sich aber über die Grenzen klar sein.“