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Kommentar über aktive Wirtschaftspolitik Vom Clustern und Klotzen

Kein Wirtschaftspolitiker kann den unternehmerischen Geist ersetzen, mag er auch noch so eifrig Clusterstrategien entwerfen und Fördertöpfe anzapfen, meint Philipp Jaklin.
30.06.2019, 22:30 Uhr
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Vom Clustern und Klotzen
Von Philipp Jaklin

Ein „innovatives Bündnis“ will Rot-Grün-Rot sein, so haben es die künftigen Bremer Koalitionäre versprochen. Ein wohlklingender Hinweis, der vielleicht auch manche Befürchtungen gerade bei Unternehmen im kleinsten Bundesland zerstreuen soll, dass der künftige Senat eine noch weniger wirtschaftsfreundliche Richtung einschlägt. Zu den wirtschaftspolitischen Ideen für die kommenden vier Jahre gehört, dass das Dreierbündnis zusätzliche „Cluster“ in Bremen ausweist – etwa für die Nahrungsmittelindustrie. Neue Cluster braucht das Land?

Mokant könnte man einwerfen, dass die Verwendung des Neudeutschen noch nicht zwingend ein Ausweis von Innovationsfreudigkeit ist. Von einer neuen Idee kann indes keine Rede sein. Schon vor etwa zwanzig Jahren geriet „Clusterpolitik“ in vielen Kommunen schwer in Mode. Aber was ist das eigentlich – ein Cluster (englisch „Klumpen“, „Haufen“)?

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Der Gedanke geht auf den Harvard-Ökonomen Michael Porter zurück. Wenn mehrere Firmen aus einer Branche und unterstützende Institutionen nah beieinander angesiedelt sind, so die Überlegung, erhöht das die Produktivität und sorgt für Innovationen. Kurze Wege, vor Ort geteiltes Wissen, persönliche Beziehungen, die Motivation gemeinsam verfolgter Projekte bringen gerade in einer globalisierten Ökonomie lokale Wettbewerbsvorteile.

Wohl bekanntestes Beispiel ist das Silicon Valley. Dessen Entstehungsgeschichte zeigt allerdings sehr deutlich, wer die Handelnden sind. „Cluster“ entstehen nicht auf dem Verordnungsweg, sondern durch unternehmerische Initiative und clevere Geschäftsideen. Eine Firma siedelt sich dort an, wo eine andere schon erfolgreich die vorhandenen Ressourcen qualifizierter Arbeitskräfte oder die Infrastruktur nutzt.

Cluster existiert in Bremer Nahrungs- und Genussmittelbranche

Im Falle Bremen bedeutet dies, dass etwa in der Nahrungs- und Genussmittelbranche bereits seit Jahrzehnten ein solches „Cluster“ existiert. Auch wenn diese Industrie einen Strukturwandel durchgemacht hat, Großbetriebe wie Kellogg’s abgewandert sind – gleichzeitig ist Neues entstanden. Eine Vielzahl kleinerer Betriebe ist dazugekommen, die ihre Marktnische gesucht und gefunden haben. Mit rund 10.000 Beschäftigten und über 250 Unternehmen zählt der Wirtschaftszweig nach wie vor zu den wichtigsten im Land – auch ohne „Clusterpolitik“.

An letzterer wird manchmal kritisiert, dass sie bürokratischen Allmachtsphantasien Vorschub leiste. Firmenansiedlungen lassen sich aber nicht politisch beschließen, die Regierenden können sie nur durch ein investorenfreundliches Klima und geschicktes Standortmarketing unterstützen und anregen. Der Staat kommt ins Spiel, wenn es darum geht, auf öffentlichem Grund ausreichend Gewerbeflächen zu schaffen und zu vermarkten. Oder darum, Unternehmen nicht mit einer übertrieben hohen Gewerbesteuer zu vergraulen und ihnen keine unnötigen bürokratischen Hürden in den Weg zu stellen.

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Die Gefahr von „Clusterpolitik“ kann darin bestehen, dass der Staat voreingenommen zugunsten bereits etablierter Industrien handelt. Die umwälzenden Ideen des Silicon Valley entstanden aber in der Garage, im Umfeld der Universitäten. Kein Wirtschaftspolitiker kann den unternehmerischen Geist ersetzen, mag er auch noch so eifrig Clusterstrategien entwerfen und Fördertöpfe anzapfen. Er kann aber versuchen, ihn zu wecken, indem er Startups und Firmengründern alle Türen öffnet – die dann vielleicht ganz neue Geschäftsideen entwickeln, die keinem öffentlichen Wirtschaftsförderer je in den Sinn gekommen wären.

Der unternehmerische Geist, der auch den Erfolg Bremer Firmen ausgemacht hat

Dieser unternehmerische Geist hat auch den Erfolg der Firmen ausgemacht in den Branchen, die der Bremer Senat schon längst als „Cluster“ betrachtet. Etwa die Luft- und Raumfahrtindustrie: Die starke Marktposition von Unternehmen wie Airbus oder OHB ist sicher nicht auf die geniale Strategie von „Clustermanagern“ zurückzuführen, sondern auf den Einsatz und das Gespür von Unternehmer-Persönlichkeiten und engagierten Mitarbeitern.

Das alles schmälert nicht die Bedeutung aktiver Wirtschaftspolitik. Deren Aufgabe ist es, gute Standortbedingungen zu schaffen und auch die wichtigen Branchen der Region zu unterstützen, wo sie es kann. Und vermutlich verdient die Nahrungsmittelbranche in ihrer zunehmend kleinteiligen Struktur tatsächlich mehr Aufmerksamkeit auch der Politik – ähnlich viel Aufmerksamkeit wie die Luft- und Raumfahrt, Hafenwirtschaft, Auto- oder Stahlindustrie. Auf dem bürokratischen Reißbrett wird sich ihre Entwicklung allerdings nicht planen lassen.

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