Im Bundeskanzleramt findet in wenigen Tagen ein Krisengipfel statt – aus gutem Grund. Denn die Schieflage beim Wohnungsbau spitzt sich immer weiter zu. Schon seit längerer Zeit warnen die Experten mit Blick aufs Neubaugeschäft. Die Zurückhaltung auf dem Bau ist immens, neue Projekte werden zunächst auf Eis gelegt. Dabei müsste in Deutschland noch viel mehr Wohnraum als bisher entstehen.
Vonovia hat nun eine konkrete Hausnummer genannt. Deutschlands größter Immobilienkonzern verzichtet demnach derzeit auf den Bau von Zehntausenden neuen Wohnungen. Ausschlaggebend sollen die hohen Zinsen und Baukosten sein. „Bei uns liegen Planungen für insgesamt 60.000 Wohnungen in der Schublade“, sagte der Vorstandschef von Vonovia Rolf Buch den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Hoffnung sei, dass sich Bauen bald wieder lohne und rechne: "Dann wollen wir sofort wieder bauen." In Bremen ist ebenfalls ein Projekt zunächst gestoppt. Es geht um ein Vorhaben mit 88 Wohnungen in Sebaldsbrück. Insgesamt hat Vonovia hier knapp 11.000 Wohnungen im Bestand.
20 Euro pro Quadratmeter als Folge
Nach Angaben des Unternehmens fallen heute Baukosten von 5000 Euro pro Quadratmeter an – wesentlich mehr als in der Vergangenheit. Neben den stark gestiegenen Zinsen und erhöhten Bau- und Energiekosten sollen laut Vonovia unter anderem auch die sich "ständig ändernden Förderungen" ein Problem sein. "Würden wir zu diesen Kosten Neubauten beginnen, würden die Mieten pro Quadratmeter 20 Euro betragen – das ist für sehr viele Menschen nicht erschwinglich und auch nicht unser Ziel. Wir wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen", sagte Sprecherin Panagiota-Johanna Alexiou dem WESER-KURIER. "Aus diesem Grund haben wir beim Neubau auf Pause gedrückt." Seien Bauprojekte allerdings schon begonnen worden, wolle man diese auch fertigstellen. Die Miete im Bestand liegt Vonovia zufolge im Schnitt bei rund 7,50 Euro pro Quadratmeter, im Neubau werden um die zehn bis zwölf Euro angestrebt.
Viele Investoren stünden derzeit "auf der Baubremse", berichtet Jörn P. Makko, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen. Die Baugenehmigungen seien seit Monaten im Sturzflug: "In Bremen beträgt der Rückgang im Vorjahresvergleich von Januar bis Juli dramatische minus 51,4 Prozent. Klar ist: Was nicht genehmigt wird, wird auch nicht gebaut." Das Beispiel Vonovia zeige zudem: Selbst genehmigte Projekte stoppten die Investoren, wenn sie schlicht und ergreifend nicht finanzierbar seien. "Und genau diese Wohnungen fehlen am Markt. Die Mieten werden also weiter steigen, der Wohnungsdruck, vor allem auf die Mitte der Gesellschaft, wird sich erhöhen", erwartet Makko. Die Politik müsse handeln. Lösungsvorschläge der Wirtschaft lägen längst auf dem Tisch.
In der Immobilienbranche ist die Stimmung mehr als düster. Das belegt auch eine Umfrage der Messe München. Die Hälfte der Firmen stoppt demnach neue Projektentwicklungen, bei über zwei Dritteln kommt es zu Verzögerungen. „Insgesamt steigt bei den Projektentwicklern massiv der Refinanzierungsdruck“, sagte Messechef Stefan Rummel zu den Ergebnissen. Insgesamt sind rund 750 deutsche Aussteller und Teilnehmer der Expo Real befragt worden. Die Immobilienmesse beginnt am 4. Oktober.
Aus Sicht des Vonovia-Chefs fehlen hierzulande derzeit mehr als eine Million Wohnungen: „Meine Schätzung ist: Wir brauchen 700.000 Wohnungen im Jahr, auch wegen der zunehmenden Zuwanderung." Das Problem seien also nicht eine Million Wohnungen, sondern in sehr kurzer Zeit mehrere Millionen Wohnungen, die fehlten. Die 60.000 Wohnungen, die Vonovia bundesweit bauen könne, seien auf mehrere Jahre gedacht, so Sprecherin Alexiou: "Diese Projekte entwickeln wir konsequent weiter, sodass wir darauf zurückgreifen können, sobald sich die Marktbedingungen verbessert haben."