Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Die Legende lebt Vor 50 Jahren ist das Borgward-Werk geschlossen worden

Bremen. Borgward - das ist nicht nur irgendein Auto, das ist ein Stück Bremer Industriegeschichte. Sie begann 1924 mit dem "Blitzkarren" und endete am 4. Februar 1961, als Autobauer Carl F. Borgward der Stadt Bremen entschädigungslos sein Lebenswerk übertrug.
04.02.2011, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Christian Palm und Annemarie Struss-v.Poellnitz

Bremen. Borgward - das ist nicht nur irgendein Auto, das ist ein Stück Bremer Industriegeschichte. Sie begann 1924 mit dem "Blitzkarren" und endete am 4. Februar 1961, als der ebenso geniale wie eigensinnige Autobauer Carl F. Borgward der Stadt Bremen entschädigungslos sein Lebenswerk übertrug. Doch der Glanz der Marke strahlt weiter, in Borgward-Clubs weltweit, in der Begeisterung von Sammlern und in der Hoffnung von Borgward-Enkel Christian, der mit seinem Partner Karlheinz Knöss einen neuen Borgward auf den Markt bringen will - wenn sich ein finanzstarker Investor findet.

Es klingt, als wäre Karlheinz Knöss dabei gewesen, als Borgward pleiteging. Von "unserem 50. Jahrestag" spricht er und davon, dass er finde, der Bremer Senat sei seinem Unternehmen eigentlich noch was schuldig deswegen. Dabei ist Knöss erst 1962 geboren - und sein Unternehmen trägt zwar den berühmten Namen, wurde aber erst 2008 gegründet. Die Rede ist von der Borgward AG im schweizerischen Luzern, die der Wirtschaftsberater Knöss mit Christian Borgward, dem Enkel des ehemaligen Firmenpatriarchen, betreibt. Das Ziel: Einen neuen Borgward zu entwickeln und zu produzieren.

Der Alte ging unter, nachdem Gründer Carl Friedrich Borgward selbst nicht mehr genug Kapital aufbringen konnte, um die Produktion weiterzuführen. Ein Schicksalsschlag, nicht nur für seine Familie. Es war für Bremen die erste große Pleite im Nachkriegswirtschaftswunder. Der Senat im damals noch reichen Bundesland Bremen unter Bürgermeister Wilhelm Kaisen war nicht bereit, mehrere Millionen D-Mark in das Unternehmen zu pumpen, trotz der über 20000 Arbeitsplätze, die auf der Kippe standen. Immerhin hatte er sich noch an den damaligen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard gewandt. Doch der - streng marktwirtschaftlich orientiert - winkte ab. Das war das Aus für Borgward.

Im November 1960, anlässlich seines 70. Geburtstags, hatte der Unternehmer das Bundesverdienstkreuz für sein Lebenswerk erhalten. Nun wurde er vom Hof gejagt. An dieses Ende knüpfen sich viele Legenden. Von Intrigen ist die Rede, von der Absicht, den eigenwilligen Unternehmer, der in der Bremer Gesellschaft immer eine Außenseiterrolle gespielt hatte, loszuwerden. Es gibt aber auch Stimmen, die von einem notwendigen Ende sprechen, weil Borgwards Modellpolitik nicht mehr in die Zeit gepasst habe. Auf alle Fälle war die Borgwardpleite der Anfang vom Ende der alten Industrien in Bremen, gefolgt von der Werftenkrise mit der Pleite der AG Weser 1982 und des Bremer Vulkan 1997.

Heiner Hellmann wirkt ein bisschen genervt. Der Betreiber des Pier2 hatte 2003 gemeinsam mit Edu Woltersdorff (Modernes) und dem Bauunternehmer Lüder Kastens durch einen glücklichen Zufall 44 Borgward-Fahrzeuge aus einer Sammlung für eine "niedrige sechsstellige Summe" gekauft, verbunden mit einigen Hoffnungen und der Bereitschaft zu viel Engagement. Heute, mehr als sieben Jahre später, rosten sie immer noch in einem Schuppen in der Überseestadt vor sich hin.

Hellmann ist zwar ein begeisterter Autobastler, aber weder er noch Woltersdorff oder Kastens sind Oldtimer-Sammler, nicht mal eingefleischte Borgwardfans. Dennoch: Borgward, das war der Aufbruch ins Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Fahrzeuge der Marken Borgward, Goliath und Lloyd, die Firmengründer Carl Friedrich Borgward nach seiner Entnazifizierung (er wurde als minderbelastet eingestuft) 1948 in Hastedt und Sebaldsbrück bauen ließ, waren für viele Familien das erste Auto, das sie sich leisten konnten. Deshalb ist Hellmann überzeugt: "Borgward ist für Bremen emotional wichtiger als Mercedes."

Rost und Frust

Aus einer Mischung aus Lokalpatriotismus und einer diffusen Idee für interessante Veranstaltungen hätten sie damals ziemlich spontan zugegriffen, als die Sammlung auf den Markt kam, sagt er. Die Witwe von Helmut Kröll, dem Vorsitzenden des Borgward-Clubs im österreichischen Vöcklabruck, hatte die Fahrzeuge angeboten. Ein wahrer Schatz vom Goliath-Dreirad bis zum eleganten Isabella-Cabriolet. Die Fahrzeuge waren unterschiedlich gut erhalten und mussten renoviert werden.

Bisher sind alle Pläne zu einer Präsentation der Sammlung geplatzt. Es gab die Idee für ein Borgward-Museum, in dem die Fahrzeuge im Rahmen von Bremer Sozial- und Industriegeschichte einen würdigen Platz gefunden hätten. Pläne gab es auch für eine "gläsernen Werkstatt" in der alten Fabrik der Silberwarenschmiede Koch & Bergfeld in der Kirchstraße oder in den Produktionshallen des Besteckherstellers Wilkens. Aber immer fehlte das Geld. Das vorerst jüngste Projekt sah eine Zusammenarbeit mit Investoren im Schuppen 1 vor. Dort sollen im Obergeschoss Lofts mit eingebautem Autoparkplatz entstehen, unten wäre Platz für einen größeren Komplex rund ums Auto, eine Werkstatt für Oldtimer - und eben die Borgward-Sammlung. Aber es geht nicht so richtig vorwärts.

Auf öffentliche Unterstützung hofft Hellmann nicht mehr: "Die Stadt hat sich längst von dem Projekt verabschiedet", sagt er. Er will das Thema auch gar nicht mehr unbedingt museal sehen, selbst eine Renovierung sei nicht zwingend. Es geht ihm darum, das Thema Borgward lebendig zu machen. Vielleicht sollte man die Fahrzeuge einfach so ausstellen, wie sie jetzt sind: Alter Glanz, über den die Zeit hinweggegangen ist. In der maroden Autostadt Detroit wachsen Bäume aus alten Fabrikgebäuden. Garten-Aktivisten übernehmen die Brachen. Vielleicht ließ sich auch die Borgward-Sammlung als ein Stück Vergangenheit inszenieren, aus dem etwas Neues wächst. "Man müsste mit dem Borgward-Erbe spielerischer umgehen, eher künstlerisch", überlegt er. Noch ist das Kapitel Borgward also nicht erledigt.

Schon gar nicht für Karlheinz Knöss und Christian Borgward. Wie berichtet planen die beiden Geschäftsführer der Borgward AG das Comeback der legendären Automarke. Nach wie vor treffen sie sich mehrmals im Jahr mit Entwicklern, um das Projekt voranzutreiben. Sie sehen sich auf dem richtigen Weg. "Wir haben unsere Ziele überreicht", sagt Knöss, jedenfalls die technischen. Die Motorenentwicklung komme gut voran, die Firma verfüge mittlerweile über manches exklusive Detailwissen. Die Karosserie soll aus günstigem, leichtem und trotzdem stabilem Material gebaut werden. Vor Kurzem wurde das erste Chassis der neuen Borgward-Generation im Crash-Test ausprobiert. Es hat sich als stabil erwiesen.

Ob das auch für das Geschäftsmodell der beiden Unternehmer gilt, muss sich indes noch zeigen. Noch läuft die Suche nach finanzkräftigen Investoren. Knöss berichtet zwar von "vielen sehr guten Gesprächen" mit potenziellen Geldgebern. Der große Fisch hat aber noch nicht angebissen. Bislang ernährt sich das Borgward-Eichhörnchen recht mühsam von kleineren Beträgen. "Es ist schon ein dickes Brett, das wir bohren müssen", sagt dazu Knöss. Er ist aber dennoch überzeugt davon, dass die Menschen auf die neue Generation Borgward warten. Denn sobald von Borgward die Rede sei, gehe das um die Welt. In der Tat: Das Medienecho auf die Pläne in Luzern ist gewaltig. Die großen Zeitungen berichten ebenso über das kühne Vorhaben wie die Fachpresse. Die "Bild-Zeitung" ist sich sicher: "Der Borgward kommt wieder". "Borgward drängt zurück auf die Straße", titelte die "Welt am Sonntag".

Benzin im Blut

Dahinter stecken zwei Unternehmer, die mit Autos zuvor eher wenig zu tun hatten. Christian, der Enkel von Carl F.W. Borgward, betreibt in Wolfsburg einen Getränkehandel. Sein Partner Knöss berät Vorstände und Aufsichtsräte namhafter Unternehmen, sagt von sich aber, er habe Benzin im Blut. Dafür spricht schon sein Geburtsort: Er stammt aus Rüsselsheim. Seine Schwiegereltern seien früher Borgward gefahren, hätten aber wegen der Insolvenz nach der dritten Isabella auf Mercedes umsteigen müssen. Bald soll es möglich sein, wieder zurückzukehren zu Borgward. Die neuen Modelle sollen wie früher im Markt für Premiumautomobile mitmischen und dort ihre Nische finden.

Aber wann wird es wieder neue Autos geben, die den berühmten Namen tragen? Knöss will sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Noch in diesem Jahrzehnt werde es so weit sein, hatte er im vergangenen Jahr gesagt. Heute klingt das etwas bescheidener. "Wir wollen nur gackern, wenn wir ein Ei gelegt haben", sagt er. Wenn er mit Christian Borgward erst mal das Startkapital beisammen habe - die Rede ist von einem dreistelligen Millionenbetrag - werde es aber nicht länger als drei Jahre dauern, bis der erste neue Borgward vom Band laufen könne.

Eine Fotostrecke zum Thema findet sich auf weser-kurier.de/bremen

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)