Der Blick in die Zukunft ist düster. Zumindest, wenn man einer Prognose von Forschern der Universität Oxford aus dem Jahr 2017 Glauben schenkt. Demnach könnte in den nächsten 20 Jahren in den USA jeder zweite Arbeitsplatz verschwinden, weil Maschinen anstelle des Menschen treten. Mit verheerenden Folgen: Eine technologische Elite stünde einer Masse niedrig qualifizierter Arbeitslosen gegenüber, Ungleichheit wüchse und die Gesellschaft spaltete sich noch stärker.
Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Robotik werden unweigerlich unser Leben verändern, sie tun es bereits heute. Massenarbeitslosigkeit durch technologischen Fortschritt ist laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dennoch unwahrscheinlich. Ein gegenteiliges Szenario scheint realer: Die Zahl der Arbeitskräfte könnte stark sinken, wodurch es zu viel Arbeit für zu wenige Hände gäbe. Grund dafür ist der demografische Wandel, der zu einer Überalterung der Gesellschaft führt.
Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die deutsche Bevölkerung gewachsen, künftig werde sie jedoch schrumpfen, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung prognostiziert. Seit Anfang der 80er-Jahre liegt die Geburtenrate bei rund 1,4 Kindern pro Frau. Sie ist in den vergangenen Jahren zwar leicht angestiegen, aber noch weit von 2,1 entfernt. So viele Kinder müsste eine Frau im Durchschnitt bekommen, damit die Bevölkerungszahl gleich bleibt.
Je weniger Babys, desto älter die Gesellschaft. Für den Arbeitsmarkt ist eine weitere Entwicklung entscheidend - der Ruhestand der Babyboomer. Die Ende der 50er- und in den 60er-Jahren geborene Generation ist zahlenmäßig die größte Bevölkerungsgruppe und erreicht bis 2035 das Pensionsalter. Die Kinder und Jugendlichen von heute stehen zwar dem Arbeitsmarkt künftig zur Verfügung, den Wegfall der Babyboomer können sie zahlenmäßig aber nicht kompensieren.
Die Überalterung der Gesellschaft wirkt sich zudem auf den Generationenvertrag aus. Das deutsche Rentensystem ist laut IAB für eine schrumpfende Zahl von Arbeitnehmern nicht ausgelegt. Bislang war es so: Die jungen Menschen zahlen für die älteren, bis sie selbst einmal alt sind und der Nachwuchs für sie zahlt. Der Vertrag geht künftig nicht mehr auf, weil es dafür zu wenig Geburten gibt und somit weniger junge Menschen heranwachsen.
Das Problem Arbeitskräftemangel kann dem IAB zufolge auf unterschiedliche Weise angegangen werden. Etwa, indem Menschen mehr oder bis zu einem höheren Alter arbeiten oder Bürgerinnen und Bürger anfangen zu arbeiten, die es bislang nicht tun. Laut IAB stehen 99 Prozent der Männer im mittleren erwerbsfähigen Alter dem Markt zur Verfügung. In den vergangenen Jahrzehnten sind auch immer mehr Frauen berufstätig geworden. Sie könnten noch stärker am Arbeitsmarkt teilnehmen, wobei das Potenzial laut IAB wegen der bereits gestiegenen Quoten begrenzt ist. Die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen arbeiteten bislang in Teilzeit - eine Möglichkeit wäre es also, dass Frauen mehr arbeiten. Die Frage ist jedoch, ob Frauen das wollen und wegen der Kindererziehung oder der Pflege Familienangehöriger können. Diese Verantwortungen können auch Männer übernehmen, doch auch ihre Arbeitskraft fehlt dann am Markt. Die Zahl der Beschäftigten in Teilzeit unter Männer und Frauen hat sich in den vergangenen Jahren etwa verdoppelt. Grund dafür ist unter anderem die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Seit Januar 2019 haben Arbeitnehmer zudem ein Recht auf Teilzeit.
Eine IAB-Studie aus dem Jahr 2017 sieht weitere Reserven: “Eine bessere Integration ausländischer Frauen in den Arbeitsmarkt könnte zusätzliche Potenziale aktivieren. Ohne weitere Zuwanderung wäre dieser Effekt jedoch relativ gering.“ Migration ist bei der Entwicklung der Arbeitskräfte überhaupt ein wichtiger Faktor: Selbst bei einer realistisch prognostizierten Zuwanderung von durchschnittlich 200 000 Migrantinnen und Migranten pro Jahr gäbe es einen Rückgang auf der Seite der Arbeitnehmer.
Eine Stellschraube könnte das Renteneintrittsalter sein. Bei einer höheren Lebenserwartung ließe sich argumentieren, dass die Deutschen auch länger arbeiten müssen. Ökonomen der Bundesbank hatten im Oktober 2019 vorgeschlagen, die Schwelle von 67 Jahren auf rund 69 Jahre zu erhöhen. Argument dafür sei auch die Finanzierung der Rente künftiger Generationen. Zustimmung bei den Arbeitnehmern fand der Vorschlag nicht: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge sind 73 Prozent der Befragten gegen die Idee der Bundesbank; befragt wurden rund 2000 Menschen im Alter ab 18 Jahren.
“Sicherlich ist es richtig, dass wir länger arbeiten müssen, aber wir müssten vor allem länger arbeiten wollen”, sagt Enzo Weber, der beim IAB den Bereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen leitet. Auch ein flexiblerer Eintritt in die Rente sei eine Möglichkeit, um die Auswirkungen des demografischen Wandels abzufedern. Heute sei es üblich, abrupt und vollständig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Das findet Weber nicht in jedem Fall sinnvoll, die Teilrente sollte seiner Ansicht nach attraktiver gestaltet werden.
Der demografische Wandel lässt sich laut Weber aber nur zu einem begrenzten Teil abfedern, mittelfristig ist Deutschland auf eine starke Zuwanderung sowie eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft angewiesen. Langfristig braucht es für eine stabile demografische Entwicklung eine höhere Geburtenrate. “Bei allen Anstrengungen, Menschen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, kommt es also am Ende ganz wesentlich darauf an, all dies mit einer Vereinbarkeit mit Kindern und Familie zu verbinden”, sagt Weber.
Wandel stärkt Position der Arbeitnehmer
Die Angst vor Massenarbeitslosigkeit durch Automatisierung hält auch Philipp Staab, Professor am Lehrbereich Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin, nach derzeitigem Stand für unbegründet. Langfristig betrachtet würden Automatisierungstechnologien sich in der Industrie sicherlich durchsetzen. „In den letzten Jahren ist die Diskussion über die Möglichkeiten der Realität jedoch enteilt“, sagt Staab. Über automatisierte Fabriken spreche man schon seit den 70er-Jahren, immer wieder gab es ähnliche Prognosen, die bislang in dieser Form nicht eingetreten seien. Der demografische Wandel stoße laut Staab Entwicklungen an unterschiedlichen Stellen im Arbeitsmarkt: In Berufen der Pflege oder der Gesundheitsvorsorge wird die Nachfrage größer, während in der Industrie – ohne drastische Einbrüche – die Nachfrage geringer wird. Durch den Ruhestand der Babyboomer rechnet er mit einer Stärkung der Arbeitnehmerseite auf dem Arbeitsmarkt. Das heißt: Unternehmen konkurrieren stärker um Fachkräfte, wodurch sich bessere Gehälter verhandeln lassen. Voraussetzung für eine Kompensation von Arbeitsplatzverlusten sei allerdings, dass die Menschen Berufe in wachsenden Branchen lernen.
Statt einer Massenarbeitslosigkeit durch neue Technologien scheinen ein Arbeitskräftemangel und die sich daraus ergebenden Probleme für die Volkswirtschaft und die Sozialsysteme realistischer. Ironischerweise könnte die Technologie am Ende nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung sein. “Die Digitalisierung kann dazu beitragen, den Rückgang des Arbeitskräfteangebots durch höhere Produktivität zu mildern”, heißt es dem IAB zufolge. Die Arbeitnehmer könnten durch den Fortschritt also mehr Arbeit in derselben Zeit schaffen.