- Peter Zernial (79): Die Freude treibt ihn an
- Brigitte (82) und Horst Real (83): Für sie ist Arbeit wie Medizin
- Ulrich Kern (73): "Mehr Freiheiten, weniger Rente"
Wenn am Montag, 1. Mai, die Gewerkschaften ihre Mitglieder aufrufen, am Tag der Arbeit zur Kundgebung zu kommen, dann geschieht das in einer Zeit, in der sich die Arbeitswelt stark wandelt. Eines der Themen, die diese Veränderungen kennzeichnen, ist die Debatte um eine schrittweise Anhebung des Rentenalters. Was für die einen ein Fluch, ist für andere selbst gewähltes Schicksal. Die Beispiele von Peter Zernial sowie Brigitte und Horst Real auf dieser Seite zeigen, dass Arbeit so erfüllend sein kann, dass man sich nicht lösen mag. Sie setzen ihre Arbeit in Maßen fort. In Deutschland arbeiten nach statistischen Angaben mehr als 1,1 Millionen Menschen, die das Rentenalter bereits erreicht haben – mit steigender Tendenz. Allerdings gehen die Experten davon aus, dass der Großteil dieser Menschen auf den Zuverdienst zur Rente angewiesen ist. Einen anderen Weg wählen jährlich rund 200.000 Menschen in Deutschland: Sie nehmen einen Abschlag von der Rente in Kauf, um vorzeitig in den Ruhestand gehen zu können. Ulrich Kern zum Beispiel hat sich dafür entschieden.
Peter Zernial (79): Die Freude treibt ihn an
"Was soll ich machen? Händchen halten, Kaffee trinken und warten, bis ich altersschwach bin? Nein, nicht mit mir.“ So ist der Mann, immer frei heraus. „Ich bin der, der die Zähne gerade macht“, sagt Peter Zernial. An zwei Tagen in der Woche steht der 79-Jährige für jeweils acht Stunden am Behandlungsstuhl. Zu den anderen Zeiten springt er ein, wenn es nottut: „Stets Gewehr bei Fuß.“
Zernial ist Kieferorthopäde. Er hat sich vor 47 Jahren selbstständig gemacht und betreibt im Bremer Stadtteil Schwachhausen zusammen mit seiner Tochter eine Praxis. Unter den Patienten und ihren Angehörigen gebe es solche und solche, erzählt er: „Die einen sagen, ich solle nur ja nicht in Rente gehen. Andere halten Abstand. Die wollen nicht, dass Opa ans Werk geht.“ Bei komplexeren Fällen sei es aber durchaus so, dass nach dem Senior verlangt werde. Seine Tochter wisse diese Hilfe zu schätzen.
Was ihn antreibe? „Die Freude an der Arbeit. Sie ist das Gerüst meines Lebens.“ Das Wichtigste im Alter sei, einen Fahrplan zu haben, den man strikt einhält. So wichtig, sagt Zernial, diszipliniert zu leben und geordnet. „Obwohl ich sonst eigentlich kein Ordnungsfanatiker bin.“ Stimmt, und es gibt ein Beispiel dafür. Die Praxis im Erdgeschoss ist klinisch sauber, alles an seinem Platz. Eine Treppe tiefer genau das Gegenteil: überall Ersatzteile, Schrauben, Autozubehör jeder Art. Öle und Fette, alte Lappen, Reifen, Souvenirs. Kurzum: ein Schrauberparadies. Zernial bastelt in seiner Freizeit an Oldtimern herum.
Der Kieferorthopäde will Zähne gerade machen, „solange man mich lässt“. Früher habe es in dem Beruf die Vorschrift gegeben, spätestens mit 68 aufzuhören. Das ist vorbei. Für Dr. Z und seinesgleichen gibt es keine Altersgrenze.

Apotheker Horst und Brigitte Real
Brigitte (82) und Horst Real (83): Für sie ist Arbeit wie Medizin
Am Dienstag hat der Sohn seinen freien Tag, dann springen sie jedes Mal ein, sonst nach Bedarf, je nachdem, ob mal wieder jemand in der Belegschaft krank geworden ist, kommt ja vor. „Kommt oft vor“, sagt Brigitte Real. Sie ist 82 Jahre alt und arbeitet in der Bremer Raths-Apotheke am Marktplatz. So wie ihr Mann, 83 Jahre alt. Arbeit ist wie Medizin für die beiden: „Ich wäre unglücklich, wenn ich zu Hause bleiben müsste“, sagt Horst Real. Seit bald 60 Jahren ist ihr Platz in der Apotheke, und das soll noch lange so bleiben.
Brigitte Real kommt aus einer Apotheker-Familie. Das Geschäft am Markt ist seit 1880 immer wieder neu vererbt worden und wird nun schon in der fünften Generation betrieben. Vor fünf Jahren haben wir es an unseren Sohn Thomas überschrieben“, erzählt die ehemalige Unternehmerin. Enkel sind auch welche da, und wer weiß? Die Tradition könnte fortgeführt werden.
Ihren Ursprung hat die Raths-Apotheke im Jahr 1532, damals wurde sie das erste Mal urkundlich erwähnt. "Vom Bürgermeister und dem Rath öffentlich kundgetan", wie es in den Dokumenten heißt. Die Apotheke gehörte fast 300 Jahre lang der Stadt.
Das sind alles lange Zeiträume, und wer wie das Ehepaar Real seit mehr als einem halben Jahrhundert im Beruf ist, kann das ebenfalls für sich beanspruchen. Eine lange Zeit, aber keine langweilige: „Wir haben immer sehr gerne gearbeitet“, betont Host Real. Ihm gefällt der Kontakt zu den Menschen, wenn zum Beispiel Touristen aus dem Ausland kommen oder Zuwanderer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind: „Das ist hier internationales Publikum.“ Von Vorteil deshalb, mit diesen Menschen reden zu können, gerade wenn es um sensible Fragen der Gesundheit geht: „Englisch, Französisch und Spanisch ist für mich kein Problem.“
Routine allein hilft den beiden nicht. Sie müssen in der Pharmazie trotz aller Erfahrung auf dem Laufenden bleiben, „wir lesen Fachzeitschriften und besuchen Vorträge“. Einfach sei es zurzeit nicht, eine Apotheke zu betreiben. „Immer mehr Medikamente sind nicht mehr erhältlich“, berichtet Horst Real. Und dann muss improvisiert werden: Andere Liefermöglichkeiten auskundschaften, mit den Ärzten telefonieren, nach alternativen Mitteln Ausschau halten. „Das kann anstrengend sein.“
Dass sie seit 25 Jahren eng mit ihrem Sohn zusammenarbeiten, die früheren Inhaber mit dem aktuellen – so etwas kann auch schiefgehen. Bei ihnen nicht, „wir haben ein harmonisches Verhältnis“, sagt die Mutter. Dankbar und froh seien sie darüber, ergänzt der Vater. Zupass komme ihnen dabei, dass der Betrieb mit insgesamt 15 Beschäftigten relativ groß sei. In einer Apotheke, die von einem Ende zum anderen 24 Meter misst, ist man ständig in Bewegung, kann sich aber auch aus dem Weg gehen.

Ulrich Kern in der Worpsweder Music Hall.
Ulrich Kern (73): "Mehr Freiheiten, weniger Rente"
Kern war niedergelassener Hals-Nasen-Ohren-Arzt mit eigener Praxis in Bremen-Walle. 2009 ist er mit 60 Jahren vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Worpsweder Music Hall und ist rund vier Monate im Jahr auf Reisen.
Aus gegebenem Anlass die profane Frage: Wo sind Sie gerade, Herr Kern?
Ulrich Kern: Wir sind gerade zehn Kilometer vor San Sebastian, nördlich der spanischen Grenze auf dem Rückweg von Portugal. Wir sind vor acht Wochen in Worpswede mit dem Wohnmobil gestartet und planen, am Dienstag wieder zurückzukehren.
Solche Freiheiten zu haben – war das einer der Gründe, warum Sie mit 60 Jahren ihr Berufsleben als Arzt beendet haben?
Es gab mehrere Motive. Ich hatte 34 Berufsjahre rum und konnte – natürlich unter Inkaufnahme von Rentenabschlägen – vorzeitig in den Ruhestand gehen. Ich habe die Chance gesehen, meinen Hobbys mehr Zeit widmen zu können. Da kommt neben dem ausgedehnten Reisen auch meine ehrenamtliche Tätigkeit im Vorstand der Worpsweder Music Hall ins Spiel. Ich teile beide Leidenschaften mit meiner Frau, die ebenfalls frühzeitig in Rente gegangen ist. Wir haben uns im Vorfeld zusammen überlegt, ob wir uns das leisten können.
Was haben Sie dadurch gewonnen?
Wir haben große Möglichkeiten, diesen Lebensabschnitt noch einmal anders zu gestalten. Mir ist klar, dass das ein Privileg ist. Viele können sich einen Verzicht auf Teile ihrer Rente schlichtweg nicht leisten. Wir brauchen keinen Luxus, uns ermöglicht die Entscheidung große Freiheiten. Unser Konzept ist, dass wir zweimal im Jahr jeweils rund zwei Monate unterwegs sind, meistens im März/April und im September/Oktober. In der anderen Zeit sind wir in Worpswede und stehen der Music Hall zur Verfügung – und beides macht uns großen Spaß.
Haben Sie vor dem frühen Ruhestand darauf hingearbeitet und Rücklagen gebildet?
Wir haben uns in der Zeit davor, als sich diese Möglichkeit aufgetan hatte, überprüft, ob wir mit unseren reduzierten Renten ein auskömmliches Leben führen können. Großartig Geld extra beiseitegelegt haben wir nicht, wir haben ganz normal über Versicherungen fürs Alter vorgesorgt. Aber einen ausgeklügelten Rentenplan gab es nicht.