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Airbus Bremen Weltraumschrott per Netz einfangen

Die Technik ist eine Bremer Airbus-Entwicklung und erinnert ein wenig an die Jagd nach dem weißen Hai: Mit Netz und Harpune wollen die Ingenieure gegen die Flut ausgedienter Satelliten vorgehen.
19.06.2018, 17:56 Uhr
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Weltraumschrott per Netz einfangen
Von Peter Hanuschke

Was sich im Meer seit Jahrhunderten als Fang-Methode bewährt hat, könnte auch im Weltraum zum Einsatz kommen. Ob sich Netz und Harpune aber tatsächlich zum Weltraummüll-Einfangen eignet, das wird in den nächsten Monaten zunächst getestet. Die Mission dafür wird an diesem Mittwoch von der Internationalen Raumstation (ISS) aus gestartet. An Bord der Remove-Debris-Raumsonde ist auch Technologie aus Bremen: Das Fangnetz wurde bei Airbus Defence and Space entwickelt.

Bewähren sich die Methoden, würden diverse Netze und Harpunen benötigt, um den Weltraumschrott zu beseitigen: Angesichts ausgedienter Raketenoberstufen oder abgeschalteter Satelliten fliegt dort genug herum. Am meisten Weltraummüll entsteht aber, wenn Raumfahrzeuge auseinander brechen oder wenn verschiedenen Weltraummüll-Teile kollidieren.

Derzeit sind laut dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) etwa 18.000 Weltraummüll-Teile mit einer Größe von etwa zehn Zentimetern katalogisiert. Diese Daten werden zentral von den USA erfasst und zur Verfügung gestellt. Simulationen zufolge befinden sich 750.000 Trümmer im Orbit, die größer als einen Zentimeter sind und etwa 150 Millionen Teile, die größer als einen Millimeter sind. Die größte Ansammlung von Weltraummüll befindet sich in etwa 800 bis 900 Kilometern Höhe, da diese Orbits besonders häufig genutzt werden.

Schwerwiegende Kollisionen mit Satelliten

Gegen kleinere Trümmerteile ist die ISS doppelwandig abgeschirmt. Kommen größere Trümmerteile auf sie zu, kann sie Ausweichmanöver fliegen. Bei Satelliten kam es aber schon zu schwerwiegenden Kollisionen: 2009 stieß ein aktiver amerikanischer Satellit mit einem ausgedienten russischen Flugkörper zusammen. Die beiden Objekte wurden in 2000 Einzelteile zerlegt. Zwei Jahre zuvor waren 3000 Fragmente entstanden, nachdem die Chinesen mit einer Mittelstreckenrakete einen ihrer ausgedienten Wettersatelliten in 800 Kilometern Höhe zu Testzwecken abgeschossen hatten. Eine Schrecksekunde gab es im August 2016 für die europäische Raumfahrt: Der Erdbeobachtungssatellit Sentinel 1A kollidierte auf seiner Umlaufbahn mit einem der zahlreichen im Weltraum umherfliegenden Schrottteile. Der Vorfall lief glimpflich ab: Von dem Schrottteil, das etwa einen Zentimeter groß und rund ein Gramm schwer war, wurden nur einige Solarzellen in einem der beiden Solarpaneele getroffen.

Ab einer Größe von etwa zehn Zentimetern könne ein Satellit durch einen Treffer vollständig beschädigt werden und in viele tausend Fragmente zerbrechen. Allerdings schätzt das DLR insgesamt das Risiko für die Raumfahrt zurzeit noch nicht sehr groß ein: Zusammenstöße mit großen Trümmern passieren sehr selten, etwa alle zehn Jahre. Dennoch müssten Strategien entwickelt werden, wie der Weltraumschrott reduziert werden kann. Denn die Gefahr von Kollisionen wird zunehmen, da immer mehr Satelliten im Orbit platziert werden.

Vor allem die von einigen Unternehmen geplanten Megakonstellationen, die aus vielen Hundert kleineren Satelliten bestehen und wie an einer Perlenschnur aufgereiht unterwegs sein sollen, haben später einmal ein relativ hohes Kollisionspotential – nämlich dann, wenn diese Megakonstellationen am Ende ihrer Lebensdauer nicht zuverlässig aus dem Orbit entfernt werden können. Und die Gefahr, dass so eine Perlenschnur dann mit Weltraummüll kollidiert, ist relativ hoch. Vor allem kann es laut DLR dann zum sogenannten Kaskaden-Effekt kommen: Die Trümmer der zersplitterten Kleinsatelliten führen zu Folgekollisionen.

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Wie größere Trümmer oder funktionsunfähige Satelliten eingefangen werden können, dass soll die Mission zeigen, die an diesem Mittwoch von der ISS gestartet wird und auf einer Umlaufbahn unterhalb der ISS erfolgen soll. Bei dem Netzexperiment wird ein Minisatellit vom Missionssatelliten ausgesetzt. Sobald der Würfel fünf Meter entfernt ist, wird er vom Netz anvisiert und in sieben Meter Entfernung eingefangen. Das Netz samt "Beute" kehrt dann per Leinenverbindung zum Missionssatelliten zurück, der per Faltschirm abgebremst wird, dadurch an Höhe verliert und in der Erdumlaufbahn verglüht. Bei der Harpune ist es ähnlich: Sie wird mit 20 Metern pro Sekunde abgefeuert, durchdringt das Ziel und wird vom Missionssatelliten eingeholt. Ob die Systeme tatsächlich funktionieren, wird sich erst in ein paar Wochen zeigen: Das Netz kommt erst im Oktober und die Harpune erst im Februar zum Einsatz.

Netz im Fallturm getestet

Dass sich das Netz ausbreitet – es ist halbkugelförmig und hat einen Durchmesser von fünf Metern – "das haben wir im Fallturm testen können, allerdings nur im unteren Teil, wo der Durchmesser entsprechend groß genug ist", so Ingo Retat von Airbus DS in Bremen. "Eine große Herausforderung war, das Netz so zu falten, dass es sich beim Auswurf richtig entfaltet – immerhin hat der Behälter nur einen Durchmesser von 27 Zentimeter."

"Vom Netz-Fang-System bin ich auf jeden Fall überzeugt", so Retat. Ob es in den nächsten Jahren eingesetzt werde, hänge von den großen Raumfahrtagenturen ab. Sinnvoll wäre es, wenn die sich auf einen gemeinsamen Weg einigen könnten. Es gehe ja auch darum, wer die Kosten solcher Missionen übernehme. Die jetzige Test-Mission wurde mit sieben Millionen Euro von der Europäischen Kommission kofinanziert. Insgesamt koste sie etwa zwölf bis 15 Millionen Euro inklusive Start, so Retat.

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