Es ist eine Weile her. Und doch kann sich Robert Habeck (Grüne) an seinen ersten Besuch des Bremer Stahlwerks vor ein paar Jahren noch gut erinnern. Der Einblick sei eindrücklich gewesen, sagt der Bundeswirtschaftsminister. Schon damals sei es hier um die Herstellung von emissionsfreiem Stahl gegangen. Das habe für ihn sehr weit weg geklungen – wie eine Reise zum Mars. Doch nun stünde das, was einst "vielleicht eine abgefahrene Idee" gewesen sei, kurz vor der Verwirklichung. Habeck ist wieder vor Ort – zurück auf der Hütte.
In einem Modell von Arcelor-Mittal ist die Zukunft schon zu sehen. Es zeigt, wie das Stahlwerk an der Weser aussehen soll, um künftig sauberen Stahl herzustellen. Standortchef Reiner Blaschek schenkt Habeck bei seinem zweiten Termin vor Ort diese Vision – quasi eine Zeitreise im Kleinformat.
Habeck freut sich in lässiger Art über die Geste: "Das ist cool." Doch das Geschenk ist auch eine Botschaft. Die Umsetzung der Ideen kann das Unternehmen schließlich nicht allein stemmen. Das macht Arcelor-Mittal-Manager Blaschek deutlich. "Die Transformation hin zu einer klimafreundlichen Stahlproduktion ist eine immense Herausforderung." Es gebe zuvor noch ein paar Probleme zu lösen. Genau wegen dieser Herausforderung ist Habeck bei seinem Antrittsbesuch in der Hansestadt hierher zurückgekehrt.
"Die Pläne sind da, das Wissen ist da, der Wille ist da", erklärte der Wirtschaftsminister vorab bereits zum großen gemeinsamen Ziel: klimaneutralem Stahl. Die Bundesregierung wolle ihre Verpflichtung dazu erfüllen. "Wir haben Geld versprochen", sagte der Grünen-Politiker. Für die Hilfe muss aber die Europäische Kommission ihr Einverständnis geben. Das "Go aus Brüssel" erwartet Habeck nun: "Das soll jetzt auch bald kommen – also noch in diesem Jahr."
Die Sache soll allerdings schon zuvor eine Beschleunigung erfahren. Diese Nachricht brachte Habeck am Donnerstag mit nach Bremen. Es soll für das Unternehmen bereits vor dem grünen Licht aus Brüssel möglich sein, mit den Investitionen am Standort loszulegen. Das sehen die Förderregelungen der EU laut Habeck eigentlich nicht vor: "Damit geht die Bundesregierung, das Wirtschaftsministerium und gehe ich ins politische Risiko." Darum sei sehr wichtig, dass die Pläne auf europäischer Ebene nicht scheiterten. Wenn etwas schiefgehe, "hängen wir zusammen da drin".
Das Tempo hält der Wirtschaftsminister jedoch für wichtig und notwendig. Es gehe auch darum, die Wertschöpfungsketten in Deutschland und Bremen zu erhalten. "Wir haben keine Zeit zu verschenken", sagte Habeck. Die CO2-Emissionen galoppierten davon: "Sie müssen runter."
Am Termin im Stahlwerk nahmen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) und die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau Maike Schaefer (Grüne) teil. Schon am Vormittag traf Habeck die drei Politiker zu Gesprächen.
Bovenschulte wies darauf hin, dass die notwendige Transformation der Wirtschaft und Dekarbonisierung nur in Partnerschaft von Bund, Ländern und Unternehmen erreicht werden könne. "Nur wenn da alles zusammenpasst, kann das schnell genug gehen und auch mit dem nötigen Wumms erfolgen." In Bremen ist das Stahlwerk für 50 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich – für die Klimaziele des Landes ist die Mission also von großer Bedeutung. Wirtschaftssenatorin Vogt wies ebenfalls auf das bisher noch fehlende Tempo hin. Die vergangenen Monate habe es einen gewissen Frust gegeben, weil die Europäische Kommission sich Zeit gelassen habe – sicher auch bei der Belegschaft und Standortleitung. "Und die Zeit haben wir nicht."
Nach dem Austausch mit Blaschek, der zudem für alle vier Standorte des Stahlkonzerns in Deutschland verantwortlich ist, ging es für die Politiker am Nachmittag in einem Autokonvoi noch aufs Werksgelände. Die Besucher sollten dabei genau auf die Flächen blicken, auf denen das Zukunftsmodell später Realität werden soll. Neue Anlagen sollen hier zunächst einen der Hochöfen ersetzen. Dasselbe ist auch für den Arcelor-Mittal-Standort in Eisenhüttenstadt geplant. Am Ende sollen 3,6 Millionen Tonnen Stahl über ein neues Verfahren mit Direktreduktionsanlage und Elektrolichtbogenofen hergestellt werden.
Insgesamt geht es im ersten Schritt auf dem Weg zur emissionsfreien Stahlproduktion um eine Gesamtinvestition von circa einer Milliarde Euro. Arcelor-Mittal hat verschiedene Förderanträge gestellt. Die Unterstützung kann bei maximal 50 Prozent der Summe liegen. Der erste emissionsarme Stahl soll im Jahr 2026 hergestellt werden.
Wenn dann sogar der grüne Stahl da ist, stellt sich gleich die nächste Frage: Wer kauft ihn? Wenn es keine Märkte gäbe, die den Stahl abnähmen, müsse auch "über Quoten, über Vorgaben, über Förderung" aufseiten der Abnehmer nachgedacht werden, sagte Habeck bei seinem Besuch. Vorher gibt es aber noch weitere Herausforderungen zu meistern. Bevor Wasserstoff als Lösung eingesetzt werden kann, setzt Arcelor-Mittal wie viele andere Unternehmen auf Gas. Das ist jedoch in diesen Zeiten deutlich teurer geworden und die Versorgung unsicherer.
Am Donnerstag aber überwog zunächst der Optimismus. "Das ist eine gute Nachricht für die Beschäftigten", äußerte sich die Bremer IG-Metall-Chefin Ute Buggeln zur Ankündigung eines beschleunigten Beginns der Maßnahmen mit Blick auf die Arbeitnehmer. Der ökologische Wandel, mahnte sie an, müsse sozial gestaltet sein – sonst funktioniere er nicht. Die Runde stimmte der Gewerkschafterin nickend zu.
Vor Jahren kämpften die Stahlkocher der Stadt mit dem Slogan "Herz aus Stahl" für ihre Zukunft und forderten Hilfe von der Politik ein. Für die Branche bleibt der Wandel ein anstrengender Marathon. Im Foyer des Unternehmens hängt ein überdimensionales Herz. Es erinnert an den lautstarken Protest auf dem Bremer Marktplatz. "Stahl ist Zukunft" ist darauf zu lesen. Wobei das Geschenk für Habeck in dieser Hinsicht einen kleinen Schönheitsfehler hat. Es ist aus Kunststoff und stammt aus dem 3-D-Drucker.
++ Dieser Artikel wurde am 16. Juni um 18.40 Uhr aktualisiert. ++