Bremen. Das kommende Jahr wird wichtig für eines der größten europäischen Raumfahrtprojekte: 2019 nimmt das Galileo-Navigationssystem – nach mehreren Jahren Verzögerung – endgültig den Betrieb auf. Die Europäische Union feiert das Projekt. Es macht die Staaten ein bisschen unabhängiger von den Vereinigten Staaten.
Seit Juli umkreisen bereits 22 Galileo-Satelliten die Erde, so viele werden für die komplette Funktionsfähigkeit des Navigationssystems gebraucht. Die letzten vier befinden sich allerdings noch in der der Test- und Einrichtungsphase – die soll am 31. Januar abgeschlossen sein. „Navigieren nur noch mit dem europäischen Satellitennavigationssystem Galileo wird in ein paar Monaten möglich sein“, verspricht das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen bei München.
Mit einer Signalabdeckung von 100 Prozent soll dann an jedem Ort der Erde die Navigation mit dem Galileo-System möglich sein. Schon seit Ende 2016 können private Nutzer darauf zurückgreifen, mit den letzten vier Satelliten sollen alle Dienste zur Verfügung stehen. Denn neben dem offenen Dienst, der etwa von Navigationsprogrammen auf Smartphones und in Autos kostenfrei genutzt wird, gibt es unter anderem noch einen geschützten und verschlüsselten Dienst für Polizei, Militär und Katastrophenschutz. Hier soll das Galileo-Signal besonders stabil und vor elektronischen Täuschungen durch Störsender geschützt sein. Allein die mit Hochdruck laufende Entwicklung autonom fahrender Autos zeigt, dass sich Galileo größere Verzögerungen nicht mehr hätte erlauben können, ohne irdische Industrien auszubremsen.
Wer auf das Signal der europäischen Satelliten zugreifen möchte, braucht allerdings Geräte, in denen die entsprechenden Empfänger verbaut sind. Laut einer Liste der Europäischen Satellitenagentur GSA können bereits etliche Smartphones die Signale verarbeiten, darunter die iPhones ab der Generation 6s. Auch die Android-Handys Pixel 2 von Google und Samsungs Galaxy-Smartphones 8 und 9 können laut GSA die neue Technologie nutzen, zudem viele Geräte von Huawei.
Das ehrgeizige Projekt ist für die EU mit der Wahl Donald Trumps ins Weiße Haus noch wichtiger geworden. Denn das US-System GPS, über das Satellitennavigation im Westen bislang weitgehend läuft, ist im Gegensatz zu Galileo nicht unter ziviler Kontrolle. Das letzte Wort über dessen Nutzung hat der Präsident. „Das Verhältnis zwischen den Nato-Partnern ist immer von gewissen Schwankungen geprägt gewesen“, heißt es dazu vorsichtig vom DLR, was die aktuelle politische Dimension von Galileo unterstreicht.
Denn für die EU spielt ein Faktor die entscheidende Rolle bei Galileo: Unabhängigkeit. Im Gegensatz zum amerikanischen Dienst GPS soll Galileo nicht militärisch kontrolliert werden. Im Ernstfall wie etwa einem Krieg könnte die europäische Variante immer noch metergenaue Ortsangaben liefern, während das amerikanische System bewusst vom US-Militär gestört wird, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Eine ungenaue Satellitennavigation kann verheerende Folgen haben. Gleichzeitig betont Europas Raumfahrtagentur Esa, dass Galileo kein reines Konkurrenzprodukt zum System der Amerikaner sei: „Es basiert auf derselben Grundtechnologie wie GPS, ist kompatibel und bietet zusammen mit GPS eine wesentlich höhere Genauigkeit sowie erhöhte Ausfallsicherheit.“
Diese Genauigkeit – teilweise bis auf 20 Zentimeter exakt – kostet natürlich. Aus ursprünglich geplanten drei Milliarden Euro Aufbaukosten sind schon in der Anfangsphase fünf Milliarden Euro geworden. Für die Jahre 2014 bis 2020 hat die EU in ihrem Haushaltsplan weitere sieben Milliarden Euro für Galileo reserviert und wird auch für die daran anschließende Phase bis 2028 weitere, in der Dimension noch nicht feststehende Mittel bereitstellen, wie DLR und EU-Kommission bereits klargestellt haben.
Dass Europa nun sein eigenes Navigationssystem hat, daran hat auch Bremen einen großen Anteil. Bei OHB im Technologiepark sind die 22 Galileo-Satelliten gebaut worden. Den ersten Auftrag über 14 der baugleichen Satelliten gab es 2010 – für rund 550 Millionen Euro. Diese Stückzahl kommt in einer Branche, in der hauptsächlich Einzelstücke gefertigt werden, schon fast einer Serienproduktion gleich. Das schlägt sich auch im Design nieder: Die Satelliten sind so aufgebaut, dass die Einheiten als Ganzes montiert werden können. So wird die sogenannte Nutzlast – all das, was man für die Satellitennavigation braucht – bei Surrey Satellite Technology in Großbritannien gefertigt und als komplettes Bauteil angeliefert.
Auch die Antriebe und die Verkabelung sind so einfach wie möglich gehalten. Während der Bauphase lassen sich die Satelliten aufklappen, ohne irgendwelche Stecker ziehen zu müssen. Das ist besonders praktisch, wenn die Satelliten getestet werden. Ein Jahr dauert es im Schnitt, bis ein Satellit die Fertigung in Bremen verlässt.
Mit den jetzt 22 Galileo-Satelliten im All ist der Auftrag aber längst noch nicht vorbei für OHB. „Unsere Kolleginnen und Kollegen arbeiten schon an Batch 3“, sagte OHB-Vorstand Wolfgang Paetsch zum Start der letzten vier Galileo-Satelliten diesen Sommer. Damit meint er den insgesamt dritten Auftrag, den OHB von der Europäischen Kommission über zwölf Satelliten bekommen hat. „Wir planen den ersten Start im Jahr 2020. Danach werden etwa alle drei Monate zwei weitere Satelliten fertig“, so Paetsch. Galileo soll aus insgesamt 30 Satelliten bestehen.
Obwohl Galileo schon zu 100 Prozent funktioniert, ist das Projekt längst noch nicht vorbei. Der erste Galileo-Satellit wurde 2011 in seine Umlaufbahn geschossen. Bei zehn bis zwölf Jahren Lebensdauer muss 2023 schon wieder begonnen werden, die erste Generation der Hightech-Geräte auszutauschen. Auch hierfür bringt sich OHB in Stellung. „Mit der neuen Generation streben wir die Verbesserung der Signale und des Services, einen kostenoptimierten Betrieb und erhöhte Sicherheit an“, sagt Paetsch. 2019, das wird schnell klar, ist erst der Anfang für das europäische Milliardenprojekt.