Die Ware war in Sporttaschen versteckt, die in einem Container mit Metallschrott lagen: 500 Kilogramm Kokain aus Peru. Die Schmuggler wollten offenbar Hafenarbeiter anwerben, die die Ware für sie aus dem Container holen. Aber der Zoll in Bremerhaven war schneller: Im April 2023 wurde das Kokain beschlagnahmt; die Zollfahnder ermittelten neun Verdächtige. Es war der größte Drogenfund in Bremerhaven im vergangenen Jahr – aber längst nicht der einzige.
1,8 Tonnen Kokain verzeichnet die Jahresbilanz des Zolls für Bremerhaven. "Vor zehn Jahren wäre das noch eine Sensation gewesen“, sagt Volker von Maurich, Sprecher des Hauptzollamts Bremen. Mittlerweile jedoch reiht sich das Jahr 2023 in eine Statistik ein, die auf einen stetig steigenden Drogenimport über die deutschen Seehäfen hindeutet. In Hamburg sind die Mengen zuletzt noch deutlich stärker gestiegen: von 9,5 Tonnen im Jahr 2019 auf knapp 34 Tonnen im vergangenen Jahr.
„Der Anbau der Kokapflanze in den südamerikanischen Herkunftsländern nimmt zu, und Europa scheint ein einträgliches Feld für den Absatz des Kokains zu sein“, stellt von Maurich fest. Kokain ist zur Mittelschichtdroge geworden, schreibt die Hamburger Wochenzeitschrift „Die Zeit“. Der schnelle Rausch aus einer Portion Koks (einer „Line“) ist für vier bis sechs Euro zu haben – weniger als ein Cocktail an einer Bar kostet. „Und die Nachfrage kann ungebrochen bedient werden – am Preisschild hat sich trotz unserer Fahndungserfolge nichts verändert“, sagt Andreas Thaysen, Sprecher des Zollfahndungsamtes in Hamburg, das für die Ermittlungen an der gesamten deutschen Küste zuständig ist. „Eine Verknappung der Ware bewirken wir nicht.“
Täter gehen arbeitsteilig vor
Die Tätergruppen sind nach den Erkenntnissen der Ermittler kleinteiliger und vielfältiger geworden. Viele wollen mitverdienen am boomenden Drogengeschäft. „Das Geschäft läuft arbeitsteilig“, sagt Thaysen. Wer die Ware aus dem Hafen abholt, hat mit denen, die sie herstellen, verpacken oder verteilen, oftmals nichts zu tun. Das macht es für die Fahnder schwieriger, zu den Drahtziehern vorzudringen. „Die Organisierte Kriminalität nutzt das natürlich aus“, sagt Thaysen.
Die Verstecke und Methoden der Schmuggler sind abwechslungsreif. In Bremerhaven beobachteten die Zollkontrolleure im vergangenen Jahr mehrfach die sogenannte Rip-off-Methode: Dabei werden die Drogen vorne im Container abgelegt, gleich hinter der Tür. Im Hafen versuchen beauftragte Kuriere dann, die Container unbemerkt zu öffnen, die Ware zu entnehmen und damit zu verschwinden. Mindestens einmal ging das im vergangenen Jahr schief: Die Täter wurden beobachtet und vom Zoll gestellt; einer verletzte sich beim Überklettern des Zauns.
„Die Rip-off-Methode beobachten wir immer wieder“, sagt Hauptzollamtssprecher von Maurich. Auch die Kühlklappen eines Kühlcontainers sind beliebte Verstecke. „Die hat man in einer halben Minute mit dem Akkuschrauber aufgeschraubt“, berichtet er.
Verlockung für Hafenarbeiter
Vielfach sind Hafenarbeiter oder Beschäftigte von Logistikbetrieben an der Abholung der Ware beteiligt. Für die Zöllner sind sie die „Innentäter“: Ohne deren Ortskenntnis und Zugriffsmöglichkeiten auf Staupläne und andere Daten kommen die Drogenbanden nicht so leicht an die Container ran. „Es beginnt meist mit einem durchaus verlockenden Angebot“, sagt Zollfahnder Thaysen. Sprich: viel Geld für scheinbar kleine Dienste. Wer einmal mitmacht, kommt jedoch so schnell nicht wieder raus aus dem illegalen Teufelskreis: „Man macht sich erpressbar, wird bedroht, einschließlich der Familie“, warnt Thaysen. Der Hamburger Senat und die Hafenwirtschaft haben in diesem Monat eine Aufklärungskampagne gestartet, mit der Hafenmitarbeiter gegen Anwerbeversuche sensibilisiert werden sollen.
Der Zoll versucht mit besserer Kooperation, moderner Technik – wie zum Beispiel Röntgenanlagen – und den bewährten Spürnasen der Drogenhunde dagegenzuhalten. In Bremerhaven bilden das Zollfahndungsamt Hamburg und die Ortspolizeibehörde mittlerweileeine Gemeinsame Ermittlungsgruppe Rauschgift (GER), die auch an der Entdeckung der halben Tonne Kokain im Metallschrottcontainer beteiligt war. Die EU fördert das Projekt „Infiltration der Nordseehäfen durch Strukturen der Organisierten Kriminalität“ (INOK). Und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lud Anfang Mai ihre Amtskollegen aus Belgien, Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden zu einem Treffen der Koalition europäischer Länder gegen schwere und Organisierte Kriminalität nach Hamburg ein. Allen stehen als abschreckendes Beispiel die brutalen Bandenkämpfe vor Augen, die die Drogenmafia mittlerweile in Holland und Belgien austrägt: Dort sind Zeugen ermordet und Staatsanwälte bedroht worden. In Antwerpen beschlagnahmte der Zoll im vergangenen Jahr 116 Tonnen Kokain, in Rotterdam 59 Tonnen.