Es hat schon eine gewisse Ironie, dass das Eröffnungsspiel der umstrittenen Fußball-WM in Katar auf den 20. November fällt. So wird es ein Totensonntag sein, an dem in Bremen viele Fans ihre Begeisterung für die Deutsche Nationalmannschaft beerdigen – zumindest für vier Wochen. Schon kurz nach der Fifa-Entscheidung im Jahr 2010, die WM an das Wüsten-Emirat zu vergeben, kündigten einige Fangruppen einen Boykott des Turniers an. Dieser Entscheidung schließen sich in Bremen nun auch Fußball-Kneipen an, die je nach Erfolg der DFB-Elf mit den Spielen durchaus gutes Geld verdienen könnten.
"Katar steht für ein Gesellschaftssystem, in dem Homosexualität eine Straftat ist und Frauen generell weniger Rechte haben", kritisiert Fernando Guerrero, einer der Eisen-Geschäftsführer im Viertel. "Auf den Baustellen der Stadien gab es sklavenähnliche Arbeitsbedingungen, die zu Todesopfern geführt haben." Für uns ist ganz klar eine rote Linie überschritten. Wir wollen unseren sozialen Raum nicht dafür hergeben, ein solches Turnier zu feiern." Mit dieser Haltung ist die Traditionskneipe vom Sielwall nicht allein. Auch die Kono Bar im Viertel sowie das Druide in Walle werden keine WM-Spiele zeigen.

Plakate wie diese könnten ab dem 20. November auch in den Fenstern einiger Bremer Kneipen hängen.
Überzeugt vom Boykott ist zudem die Friedenskirche an der Humboldtstraße. Die Geburtsstunde der „Fangemeinde“ war die WM 2006, als ganz Deutschland das Fußball-Fieber packte. Danach entwickelte sich die Kirche auch zu einer Pilgerstätte für Werderfans. "In der Hochzeit der Ära von Thomas Schaaf guckten hier bis zu 800 Menschen Champions League", sagt Pastor Bernd Klingbeil-Jahr.
"Die Kommerzialisierung des Fußballs sehen bei uns viele Fans kritisch. Als die Bundesliga Montagsspiele einführte, haben wir diese zunächst auch nicht gezeigt", sagt Klingbeil-Jahr. Korruptionsskandale hätten die strukturellen Probleme von Fifa, Uefa und auch des DFB mehrfach aufgezeigt. "Bei der WM-Vergabe an Katar habe ich gedacht: Jetzt reicht's", berichtet der Pastor.
Für Matija Uremovic, Inhaber der Kono Bar, war die emotionale Abkehr vom internationalen Fußball in den vergangenen Jahren ein schleichender Prozess. "Die Länderspiele und auch die Champions League, das fühlt sich inzwischen wie ein weit entfernter Kosmos an. Wir zeigen im Prinzip nur noch Werder", sagt Uremovic. Für die WM-Zeit zwischen dem 20. November und 18. Dezember plant er mit seinem Team ein Alternativprogramm. "Eine Idee ist es, die besten Werderspiele aller Zeiten in voller Länge zu zeigen", sagt der Bar-Inhaber. Daran hingen aber rechtliche Fragen, er befinde sich im Austausch mit Werder Bremen.

Das Eisen plant für die WM-Zeit ein Alternativprogramm.
Auch im Eisen laufen Überlegungen, ob sich mit Lesungen, Konzerten oder Karaoke-Abenden die Zeit versüßen lässt, in der Deutschland spielt. "Bei einem normalen Barbetrieb wären die WM-Spiele trotzdem der Elefant im Raum", sagt Kneipen-Chef Guerrero. Mit einem Alternativprogramm hätten es die Gäste in jedem Fall leichter, auch auf den Live-Ticker des Handys zu verzichten. "Ich verstehe den Boykott auch nicht so, dass wir uns als aktive Fans aus der Debatte verabschieden. Wir wollen uns während der WM weiter einmischen", betont Guerrero.
Trotz dieser Boykott-Entscheidungen werden die WM-Spiele und insbesondere die Auftritte der Deutschen Nationalmannschaft in vielen Kneipen und Restaurants zu sehen sein. So schaltet das Hegarty's im Viertel zum Beispiel seine Fernseher ein, will aber beobachten, wie sich das Interesse der Gäste entwickelt. Das Paddy's Pit am Hauptbahnhof, das Little Mary's im Schnoor und das Red Rock an der Schlachte äußerten sich auf Nachfrage des WESER-KURIER nicht.
Alle Spiele der Deutschen Elf zeigen ARD oder ZDF. Gastronomen können deshalb auch ohne Sky-Gebühren Public-Viewing anbieten. "Bei der WM 2006 und den Turnieren danach gab es gefühlt in jedem größeren Kiosk einen Fernseher für Fußball. Damit rechne ich in diesem Jahr nicht", sagt Guerrero. Erfahrungsgemäß sei das Ausmaß der Public-Viewing-Angebote sehr vom Turnierverlauf abhängig. Guerrero weiter: "Wenn Deutschland in der Vorrunde ausscheidet, hat sich das schnell erledigt. Bei einem Finaleinzug sieht es natürlich ganz anders aus."