Ein syrisches Ehepaar ist vor einem Monat aus einer Notunterkunft in ein Übergangswohnheim gezogen. Die Flüchtlingsunterkünfte, so anonym sie sie anfangs waren, sind für sie ein Zuhause auf Zeit geworden.
Das Essen steht gerade auf dem Tisch, da kommen die Besucher. Eine Gruppe ehrenamtlicher Helfer schiebt sich durch das Zimmer des jungen syrischen Ehepaars. Die beiden lächeln, stehen etwas verlegen herum, beantworten Fragen. Ja, sie fühlen sich wohl, ja, ein schönes Zimmer haben sie, mit Bad sogar, ja. Vor einem Monat sind die beiden aus einer Notunterkunft in das Übergangswohnheim An der Weide gezogen. In einer Notunterkunft in Osterholz dekoriert Sadar Moussa sein Zimmer mit Kuscheltieren, Mohamad Zbidi streicht das Treppenhaus seines Wohnheims. Die Flüchtlingsunterkünfte, so anonym sie anfangs waren, sind für sie zum Zuhause auf Zeit geworden.
Auch wenn die Zahl der Flüchtlinge, die nach Bremen kommen, in den vergangenen Monaten immer weiter gesunken ist – die Menschen, die da sind, brauchen ein Zimmer. Mindestens. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres kamen 2255 Geflüchtete nach Bremen. Das sind deutlich weniger als im Herbst 2015, als immer neue Notunterkünfte eingerichtet werden mussten. Nach und nach verlassen die Flüchtlinge diese Notunterkünfte, Turnhallen und Zelte werden geräumt, kommende Woche das letzte. Das ist möglich, weil ein Übergangswohnheim nach dem anderen fertig ist. 26 gibt es inzwischen in der Stadt Bremen, mit Platz für 3200 Menschen. Acht bis zehn weitere sollen bis zum Ende dieses Jahres öffnen, mit 1600 Plätzen.

Mohamad Zbidi in seinem Zimmer im Übergangswohnheim. Hier lebt er mit seiner Frau. Er trägt noch Plastikhandschuhe, weil er eben das Treppenhaus weiß gestrichen hat.
Im Zimmer 6 des Übergangswohnheims An der Weide hat das junge syrische Ehepaar sein Hochzeitsfoto an die Wand gehängt. „Wir sind froh, dass wir hier sind“, sagt der Mann – schmale Jeans, kariertes Hemd, Brille, kurze lockige Haare. Hier, und nicht mehr in der ehemaligen Tabakfabrik, wo die Räume nach oben offen sind, wo es kaum Privatsphäre gibt. Auf dem Tisch steht ein Plastikkorb mit Obst, sie haben ein Küchenhandtuch ausgebreitet, darauf eine Pfanne mit Gemüse, ein Teller mit Gurkenscheiben, zwei weitere Teller und Besteck. Doch gegessen wird später, nun ist erst einmal der Besuch dran. Die Ehrenamtlichen wollen die neue Unterkunft begutachten.
Eine kleine resolute Frau mit weißem Haar redet auf den Mann ein: Wie wichtig es ist, dass die syrischen Männer kochen und putzen – nicht immer nur die Frauen. Die müssten nämlich arbeiten, das könnten sie ja viel besser als die Männer. Das solle er den anderen beibringen. Der Mann sagt ja und lächelt freundlich. Er versteht das meiste von dem, was die Frau sagt. Seit sieben Monaten ist er in Deutschland, mit Youtube-Videos hat er sich die Sprache beigebracht. Nach ein paar Minuten ist die Gruppe wieder draußen, das Essen in der Pfanne hoffentlich warm geblieben.

Das Zimmer teilt Karim Latifi mit einem 21-Jährigen, der auch aus dem Iran kommt.
Im fünften Stock des Hauses hat eine alleinerziehende Mutter aus Afghanistan ihr Zimmer. Aziza Saadat lebt dort mit ihren drei Söhnen und einer ihrer beiden Töchter. Fühlt sie sich hier zu Hause? Sie überlegt kurz, sagt dann: „Ein bisschen. Mehr als in der Unterkunft, wo wir vorher waren.“ Zwei Söhne sitzen neben ihr auf dem Bett, einer kniet am Boden, sie lächeln. „Wir versuchen, das Beste daraus zu machen.“ An den Wänden hängen Bleistiftzeichnungen, auf dem Tisch steht eine kleine Teekanne mit Rosenmuster und eine Schale mit Bonbons.
Im Erdgeschoss des Hauses gibt es eine Gemeinschaftsküche. Eine junge Frau mit langem Pferdeschwanz wäscht Salat, ein Mann steht am Herd, das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt, rührt mit einem Löffel im Kochtopf, mit der anderen Hand winkt er. Am Tisch daneben sitzt Mageda Abou-Khalil. Sie leitet das Übergangswohnheim, 43 Menschen leben dort im Moment. Kann ein Übergangswohnheim ein Zuhause sein? Ja, sagt sie. „In der ersten Woche fiel es manchen noch schwer, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Aber jetzt merke ich, dass sie hier glücklich sind.“
Sie schlägt vor, noch ein anderes Übergangswohnheim in der Nähe zu besuchen, das sie leitet: Dort renovieren die Bewohner. „Sie haben die Verantwortung für das Haus übernommen, das finde ich gut.“ Mohamad Zbidi ist einer von denen, die mithelfen. Er streicht das Treppenhaus mit weißer Farbe, hat ein goldenes Efeu-Muster an die Wände der Lobby gesprüht. „Ich mache das, weil ich das Haus mag“, sagt er. Seit acht Monaten lebt der Syrer in dem Übergangswohnheim, rund um seinen Fernseher hat er Kuscheltiere gesetzt; einen Waschbären, einen Elefanten und einen weißen Bären. Auf dem Kleiderschrank steckt eine Deutschlandfahne. Vor zwei Wochen ist seine Frau hier angekommen, das macht ihn glücklich.

Endlich dürfen sie selbst kochen – darüber freut sich ein junges Paar aus Syrien besonders.
Auch wenn immer mehr Übergangswohnheime öffnen: 3000 Flüchtlinge leben noch in Notunterkünften. Zum Beispiel in einem ehemaligen Baumarkt in Gröpelingen, in der ehemaligen Tabakfabrik in Woltmershausen, in einer Traglufthalle in Osterholz. 57 Leute leben dort im Moment, Platz wäre für 116. Ein langer Gang durchquert die Halle, rechts und links Container, einer für zwei Leute. Die Betten stehen an den Wänden, dazwischen ein schmaler Gang, ein Tisch, zwei Stühle, ein Metallspind für jeden.
Sadar Moussa lebt seit neun Monaten in Bremen, der Kurde war einer der ersten Bewohner der Traglufthalle, vorher war er in einer Turnhalle. Er ist 30 Jahre alt, seine Familie noch in Syrien, an seinem Spind hängen Fotos von den beiden Söhnen. Rechts und links vom Kopfkissen sitzen Stoff-Pandabären. „Ich habe hier alles, was ich brauche“, sagt er. Bis auf seine Söhne. Er teilt sich den Container mit seinem Cousin. Ist das nicht sehr eng? Sadar Moussa lächelt und sagt: „Ich bin froh, dass er da ist.“

Sein Glaube und das Laufen geben dem 32-jährigen Iraner Halt.
Karim Latifi wohnt ein paar Türen weiter. Der 32-Jährige ist Läufer, auch in seiner Heimat Iran ist er gelaufen, erzählt er. „Da haben alle gedacht: Warum rennt der denn so, ohne Grund?“ Hier verstehen es die Leute, er ist beim Bremer Nachtlauf gestartet, hat gespart für die 30 Euro Anmeldegebühr, trainiert schon für den nächsten Lauf. Der Trainingsplan klebt an der Wand am Kopfende seines Bettes, von zwei Haken baumelt, was ihm wichtig ist: eine bunte Gebetskette mit einem Kreuz und eine Medaille vom Nachtlauf. Zu Hause fühlt er sich nicht. Auch, weil er nicht selbst kochen darf. Das Essen vom Caterer passt nicht zu seinem Leben. Wer montags 50 Minuten Dauerlauf macht, dienstags auch und mittwochs noch mehr, der braucht mehr Kalorien als andere.
Das syrische Ehepaar, die Mutter aus Afghanistan und der Läufer aus dem Iran: Sie werden wohl noch länger in Gemeinschaftsunterkünften leben. Im vergangenen Jahr haben nur 1800 Flüchtlinge eine eigene Wohnung gefunden. Ziel der Sozialbehörde ist, dass es bald genügend Übergangswohnheime für alle gibt. Doch zwei Zelte bleiben erst einmal stehen, für den Notfall. Keiner weiß, ob nicht bald wieder mehr Flüchtlinge in Deutschland ankommen. Dieses Mal will die Behörde vorbereitet sein.