Herr Niggli, sind Biobauern die besseren Landwirte?
Urs Niggli: In gewisser Weise ja.
Woran machen Sie das fest?
Biobauern können – anders als konventionelle Landwirte – nicht in die Apotheke greifen, also nachdüngen, Pflanzenschutzmittel spritzen und Herbizide ausbringen, damit Unkraut gekillt wird. Biobauern müssen sehr viel mehr vorausdenken. Sie sorgen vor, sie wissen, dass sie nicht jeden Bewirtschaftungsfehler korrigieren können. Ökobauern, bei denen das funktioniert, würde ich als exzellente Berufsleute bezeichnen.
Das werden die gut ausbildeten konventionellen Landwirte aber auch von sich behaupten.
Natürlich hat die konventionelle Landwirtschaft Stärken, etwa dass sie hohe Erträge erzielt. Das ist eine ganz wichtige Funktion. Aber das präventive Element fehlt teilweise. Das Wirtschaften konzentriert sich sehr auf die Betriebsmittel, das heißt auf den Einsatz von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln. Konventionelle Landwirte sind Macher mit Defiziten in der Ökologie. Und dadurch, dass viele Umweltkosten nicht auf den Verkaufspreis geschlagen werden, sind sie gegenüber Biobauern im Vorteil. Die höheren Preise für Öko-Produkte sind ein entscheidender Faktor, weshalb sich der Ökolandbau nicht noch schneller entwickelt.
Ihr Buch heißt „Alle satt? Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen“. Könnte Ökolandbau das leisten?
Das ist genau der Punkt. Wir haben hier einen Zielkonflikt. Die Biobauern sind sehr gut, aber ihre Erträge sind im Durchschnitt 20 bis 25 Prozent geringer, als die Erträge eines konventionell arbeitenden Landwirts auf einer Fläche derselben Größe. Wenn man das global hochrechnet, stellt man schnell fest, was für eine gigantische Herausforderung das ist, wollte man allein mit Ökolandbau diese Lücke schließen.
Das heißt, dass es ohne die konventionelle Landwirtschaft nicht gehen wird?
Der Ökolandbau ist eine gute Teilstrategie, aber es braucht auch eine Ökologisierungsstrategie für die konventionelle Landwirtschaft.
Ökologisierungsstrategie bedeutet?
Man muss es schaffen, deutlich höhere Erträge zu erzielen, aber gleichzeitig die negativen Umweltwirkungen massiv zurückzunehmen.
Wie kann das gelingen?
Die konventionelle Landwirtschaft braucht eine Kombination mit den Ansätzen, die Biobauern entwickelt haben. Wir brauchen die Biobauern als Pioniere und Vorreiter. Es gibt in Deutschland mehr als 13 Prozent Ökobauern, es dürfen ruhig doppelt so viel werden. Die konventionellen Landwirte kombinieren dagegen das Biowissen mit modernen Technologien und der Digitalisierung. Konventionelle Landwirte bringen weiterhin chemische Pflanzenschutzmittel aus, aber dies viel präziser und stark reduziert. Mit Einsatz dieser Technologien könnte man problemlos 60 bis 80 Prozent aller Pflanzenschutzmittel einsparen. Ich nenne das Agrarökologie. Meine Traumvorstellung wären 25 Prozent Ökobauern und 75 Prozent Bauern, die agrarökologisch arbeiten.
Welche Rolle spielt der Verbraucher dabei?
Die Menschen müssen ihre Ernährungsweise ändern. Sie müssen weniger Lebensmittel wegwerfen, und es braucht vor allem deutlich weniger Fleischkonsum. In Deutschland ist der Fleischverzehr immer noch sehr hoch, und deshalb ist im Ackerbau der Anteil der Fläche, auf der allein Futter für Tiere produziert wird, sehr hoch. Das müssen wir ändern. Und wir dürfen mit dem Essen keine Sozialpolitik machen.
Was meinen Sie damit?
Es wird immer argumentiert: Auch arme Menschen müssen essen können. Natürlich müssen sie das. Aber dafür müssen wir nicht die Preise für alle nach unten drücken. 90 Prozent der Menschen könnten sich mehr leisten für ihre tägliche Ernährung.
Wie vermittelt man das?
Indem wir mehr über Ernährung reden. Das hat auch mit Erziehung und Bildung zu tun. Die Arbeit mit dem Verbraucher wird immer zentraler. Aber das ist ein Zwei- bis Drei-Generationen-Projekt, eine gigantische Aufgabe.
Was muss die Politik tun?
Die Politik hat eine ganz wichtige Position, aber leider ist sie nicht mutig genug, weil die Politik immer auf kurzfristige Wahlergebnisse schaut. Ich merke gerade in Deutschland in Gesprächen mit Forschern und anderen maßgeblichen Institutionen immer wieder, dass dort die Erkenntnis schon sehr viel weiter ist, aber gesagt wird: „Das ist zu heikel. Wir können das in dieser Deutlichkeit nicht aussprechen, denn die Bauern möchten es nicht hören und die Politik auch nicht.“ Dabei brauchen wir aber eine mutige Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse in die Öffentlichkeit trägt.
Die Politik tut ja schon was, sie zahlt Milliarden zur Unterstützung der Landwirte.
Über 50 Milliarden Euro in Europa. Diese Gelder sollten konsequent zu 100 Prozent für Klima-, Umwelt- und Diversitätsmaßnahmen eingesetzt werden, nicht nur 25 Prozent.
Sie sprachen vorhin von einem Zwei- bis Drei-Generationen-Projekt. Haben wir so viel Zeit überhaupt noch?
Wir werden nicht morgen in die Katastrophe stürzen. Wir müssen nicht in fünf oder zehn Jahren schon am Ziel sein, aber wir dürfen jetzt keine falschen Entscheidungen mehr treffen. Wir haben schon sehr viel Zeit verloren.
Das Gespräch führte Marc Hagedorn.