Im Doppelinterview treffen der Legalisierungsbefürworter Lorenz Böllinger, emerittierter Strafrechtsprofessor, und Legalisierungsgegner Lutz Müller, Polizeipräsident in Bremen, aufeinander. Der Ausgang überrascht.
Was würde passieren, wenn Cannabis legalisiert würde?
Lorenz Böllinger: Die Situation würde insgesamt viel besser werden, weil der Staat dann zum ersten Mal die Kontrolle erlangen würde. Bisher hat der Staat überhaupt keine Kontrolle. Er erzeugt den Schwarzmarkt durch das Cannabis-Verbot.
Lutz Müller: Als ich gelesen habe, dass in Bremen diese Debatte losgeht, war mein erster Gedanke: Ist das unser größtes Problem? Ich glaube, dass mit einer Legalisierung vieles schlechter werden würde. Warum soll ich mir die Pest ins Haus holen, wenn ich schon Cholera habe? Durch das Verbot unterstreichen wir die Botschaft: Cannabis ist eine gefährliche Droge. Ich möchte alles vermeiden, was diese Grundbotschaft verwässert.
Und was ist mit dem Argument von Herrn Böllinger, dass der Staat so Kontrolle zurückerlangen könnte?

... Polizeipräsident Lutz Müller diskutieren darüber, ob eine Legalisierung von Cannabis mehr Vor- oder mehr Nachteile hat.
Müller: Kontrolle worüber? Haben wir denn die Kontrolle verloren? Woran will man das messen? Wenn wir Cannabis komplett legalisieren, hätten illegale Händler und Erzeuger vermutlich keine Chance mehr. Das wäre gut. Aber ich gehe davon aus, dass es weiterhin Bereiche gäbe, die strafbar wären. Zum Beispiel die Abgabe an Jugendliche. Es würde also weiterhin einen illegalen Markt geben, der noch viel schwerer zu kontrollieren wäre. Viele fordern begleitend zu einer Legalisierung mehr Prävention skampagnen. Finden Sie das nicht auch schizophren? Wir legalisieren eine Droge und erhöhen zeitgleich die Prävention, um die Menschen davon abzuhalten, sie zu konsumieren? Das will nicht in meinen Kopf. Beim Rauchen haben wir gesehen, dass die Ächtung in der Gesellschaft dazu geführt hat, dass der Konsum zurückgeht. Wenn es eine Frage der Gerechtigkeit sein sollte, was ich durchaus verstehen kann, wäre ich eher für einen restriktiveren Umgang mit Alkohol und Nikotin. Cannabis zu legalisieren, weil andere Drogen legal sind, ist der falsche Schritt.
Böllinger: Die entscheidende Frage für mich ist: Nützt Strafrecht im Umgang mit Cannabis etwas? Und da kommen wir vom Schildower Kreis zu dem Schluss: Strafrecht nützt nicht. Es kann den Zweck, den das Betäubungsmittelgesetz sich einmal gesetzt hat, nicht erreichen.
Warum nicht?
Böllinger: Das Strafrecht soll abschrecken. Es soll den Konsum abschaffen. Das hat es aber in 45 Jahren nicht geschafft, sondern Angebot und Konsum haben sich erhöht. Und wir müssen beachten, dass das Strafrecht nur für erhebliche sozial schädliche Verhaltensweisen angemessen ist. Es ist die schärfste Sanktion, die unsere Gesellschaft vorsieht. Cannabis-Konsum ist aber kein fremd schädigendes Verhalten. Im Betäubungsmittel -Strafrecht gibt es eine absurde Konstruktion: Es wird gesagt, der massenhafte Konsum einer Droge schädigt die Volksgesundheit. Das tun aber viele Dinge, auch Alkohol, Nikotin oder zu viel Zucker. Nur Aufklärung und Präventionsmaßnahmen können diesen Konsum beeinflussen. Die erste große Schlussfolgerung ist also: Strafrecht nutzt nicht. Die zweite: Strafrecht schadet.
Herr Müller, Sie wollen lieber Alkohol und Nikotin noch stärker reglementieren als Cannabis zu legalisieren?
Müller: Ja, wenn wir diese Gerechtigkeitsdebatte in den Vordergrund stellen, sage ich: Lasst uns mehr gegen Alkohol und Nikotin Stellung beziehen.
Böllinger: Völlig einverstanden. Warum dann dieser Unterschied: Dann kann doch auch bei Cannabis die Prävention ohne Strafrecht nutzen.
Müller: Wir sind als Gesellschaft in der Argumentation nicht sauber, da gebe ich Herrn Böllinger Recht. Wir behandeln Dinge, die gefährlich sind, unterschiedlich. Beim Nikotinkonsum haben wir eine positive Entwicklung, aber die spielt für die Polizei eher eine untergeordnete Rolle. Alkoholkonsum hingegen senkt Hemmschwellen und ist häufig Grund für Auseinandersetzungen und Konflikte. Das beschäftigt dann in der Regel die Polizei.
Böllinger: In den USA gab es zwölf Jahre lang eine Alkohol-Prohibition. Das war katastrophal. Gottseidank ist sie mit einem Schlag abgeschafft worden. Niemand will dahin zurück. Aber ich finde, dasselbe gilt für Cannabis. Ich bin für ein Werbeverbot, wenn es legalisiert wird. Bei Alkohol sollte es das aber auch geben. Das ist überfällig, nur ist da die Lobby zu stark.
Müller: Ich befürchte allerdings, dass nach einer Legalisierung mehr Menschen Cannabis konsumieren als jetzt. Seit es diese Legalisierungsdebatte gibt – das sagen mir meine Beamtinnen und Beamten – gibt es bei vielen jungen Leuten den Glauben, dass Cannabis-Konsum eigentlich unproblematisch ist. Und die Hemmschwelle sinkt bei denen, die bisher gesagt haben: „Weil es verboten ist, nehme ich es nicht.“ Gerade da müssen wir weiterhin ein klares Signal setzen und bei dem Verbot bleiben. Außerdem: Wenn man die Legalisierung will, muss die Diskussion über den Aspekt der Strafe hinausgehen. Man muss sich überlegen, was das für Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Ich erlebe – in Bremen vielleicht noch deutlicher als anderswo –, dass der Staat für begleitende Programme immer weniger Geld in die Hand nimmt. Wir reden zwar immer über Prävention, aber sobald es Geld kostet, wird es schwierig.
Böllinger: Wir haben in Deutschland jedes Jahr 170 000 Verfahren gegen Cannabiskonsumenten. Das Strafrecht beeinträchtigt diese Menschen in ihrem Lebenslauf. Wenn gegen jemanden ermittelt wurde, ist er registriert. Bei einer weiteren Auffälligkeit wird das hervorgeholt, und er wird möglicherweise doch verurteilt, muss vielleicht sogar eine Freiheitsstrafe abbüßen. Er kann seine Lehrstelle verlieren, seinen Führerschein wird er mit Sicherheit verlieren. Den zentralen Widerspruch sehe ich darin: Bei den legalen Drogen Nikotin und Alkohol hat die Aufklärung gewirkt. Und das ist doch genau das, was wir wollten. So könnte es auch mit Cannabis laufen.
Herr Böllinger, glauben Sie nicht, dass nach einer Legalisierung mehr Menschen kiffen würden?
Böllinger: Wir können für Deutschland keine treffsicheren Aussagen machen, weil es illegal ist. In Holland gibt es seit 40 Jahren eine Quasi-Legalisierung. Wir haben dort dieselben Konsumquoten wie in Deutschland. Das zeigt doch, dass es einen Konsum gibt, der unabhängig vom Gesetz ist. In Colorado ist Cannabis seit zwei Jahren für Konsumenten ab einem Alter von 21 Jahren legal. Es gibt eine sorgfältige Begleitforschung von der Universität und die zeigt, dass es am Anfang einen Anstieg beim Konsum gab. Aber das hat sich wieder eingependelt.
Müller: Wenn ich das richtig gelesen habe, hat es einen erheblichen Anstieg bei Verkehrsdelikten gegeben. Schon heute stellen wir bei Kontrollen regelmäßig fest, dass Fahrzeuge unter Drogeneinfluss nicht mehr sicher geführt werden.
Böllinger: Jemand, der alkoholisiert Auto fährt, wird strafrechtlich belangt. Und das wird man genauso mit Cannabis machen. Wir brauchen aber keine konsequente Kriminalisierung des Besitzes, um den Verkehrsrisiken vorzubeugen. Dafür gibt es andere und bessere Möglichkeiten. Im Übrigen sollte man die Sanktionierung angleichen: Bei jeglichem Cannabisbesitz wird der Führerschein entzogen, unabhängig davon, ob man unter Cannabiseinfluss Auto gefahren ist. Bei Alkohol hingegen ist klar, dass nur derjenige, der alkoholisiert Auto fährt, seinen Führerschein verlieren kann.
Würde eine Legalisierung Ihre Behörde nicht entlasten, Herr Müller?
Müller: Nur, wenn man Cannabis komplett freigibt. Sobald es ein neues Reglement gibt, das überprüft werden muss, führt das nicht mehr zu einer Entlastung. 3500 Drogendelikte haben wir pro Jahr in Bremen, davon sind etwa 75 Prozent Cannabisdelikte. Und von diesen sind wiederum vermutlich 90 Prozent Konsumdelikte , die mit sehr geringem Aufwand bearbeitet und in der Regel von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Das sind 2300 Fälle. An Nettoarbeitszeit kostet uns das 1,5 Polizeikräfte im Jahr. Richtig aufwendig ist der Kampf gegen den organisierten Handel von Betäubungsmitteln, vor allem bei harten Drogen. Das wird uns weiterhin beschäftigen. Wenn man mit einer Legalisierung diesen illegalen Sumpf trockenlegen könnte, dann wäre ich sofort an Ihrer Seite, Herr Böllinger. Ich glaube aber, dass man den Krieg gegen Drogen nicht gewinnen kann. Wir heben eine Gruppe aus, dann entsteht ein Vakuum, und solange es eine Nachfrage gibt und man viel Geld verdienen kann, wird es auch jemanden geben, der dieses Vakuum füllt und den Markt wieder bedient, auch mit immer neuartigen Drogenkreationen.
Böllinger: Ich lese in der Zeitung immer wieder, dass die Polizei zu wenig Personal hat. Es gibt solide Berechnungen von Ökonomen. Sie beziffern die Kosten, die für die Verfolgung von Drogendelikten in Deutschland aufgewandt werden, mit fünf Milliarden Euro jährlich. Und von diesen Drogendelikten sind etwa 80 Prozent Cannabisdelikte. Da kann doch Kapazität abgezogen werden, weil Cannabis im Einzelfall so wenig schädlich ist. In Colorado hat sich die Legalisierung positiv ausgewirkt, weil dort auf dem Schwarzmarkt nicht mehr das übelste Zeug an die Jugendlichen verkauft wird. Dieser Schwarzmarkt ist im Übrigen nicht ganz auszulöschen, das gestehe ich Ihnen zu. Aber die Tatsache, dass Erwachsene das Cannabis weitergeben, die es legal erworben haben, ist schon mal ein Sicherheitsfaktor. Und es kommt hinzu, dass Erwachsene, die Cannabis an Jugendliche weitergeben, sehr hart bestraft werden. Den jugendlichen Schwarzmarkt zu befördern, müsste auch in Deutschland weiterhin strafbar sein.
Müller: Diese Mär, dass eine Legalisierung die Polizei deutlich entlasten würde, wäre damit widerlegt. Im Grunde verlagert man die Arbeit nur auf ein anderes Feld.
Böllinger: Die Arbeit der Polizei wird gezielter und meines Erachtens sinnvoller, wenn man nicht mehr alle verfolgt, sondern nur noch diejenigen, bei denen es wirklich gefährlich ist.
Müller: Herr Böllinger, geben Sie mir die Garantie, dass die unerwünschten Nebenwirkungen durch die Freigabe von Cannabis am Ende nicht mehr Probleme verursachen, als wir jetzt schon haben. Dann folge ich Ihnen.
Böllinger: Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass die Jugend das Problem ist. Die Erwachsenen werden kein nennenswertes zusätzliches Problem werden. Der bayerische Biertrinker wird nicht auf Cannabis umschwenken, und viele andere werden das auch nicht tun.
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um Jugendliche zu schützen?
Böllinger: Ich plädiere dafür, Cannabis dem Alkohol gleichzusetzen. Es sollte ab 16 verfügbar sein. Wenn Jugendliche besonders früh anfangen, steigt ihr Risiko, vorzeitig abhängig zu werden oder Hirnschädigungen davon tragen. Deswegen muss man für Jugendliche sehr spezifische Vorsorge treffen. Das kann man besser, wenn man legalisiert, als wenn Cannabis illegal bleibt.
Müller: Wenn wir bei einer Polizeikontrolle jemanden mit Cannabis erwischen, werden Hilfeprozesse angeschoben. Die Eltern werden aufmerksam und können sich kümmern. Das fiele mit einer Legalisierung weg.
Böllinger: 25 Prozent aller Beratungsfälle werden durch Polizei und Justiz dorthin gelenkt. Aber es zeigt sich beispielsweise in Holland, dass viel mehr junge Leute in Beratung und sachgerechte Behandlung kommen, wenn Cannabis nicht mehr illegal ist. Wenn man in der Schule, in der Familie und in Beratungsstellen offen darüber sprechen kann, ist das viel effektiver als bisher, wo das Thema in vielen Familien gar nicht besprochen werden kann.
Müller: Liegt das nicht auch an einem erhöhten Bedarf dort? Cannabis spielt schon heute im Gesundheitswesen eine nicht unerhebliche Rolle. Mehr als die Hälfte der Menschen mit Drogenkonsum, die Beratungsstellen aufsuchen oder sich in stationärer Behandlung befinden, haben einen Cannabishintergrund.
Böllinger: Ich plädiere deshalb für eine dem Alkohol entsprechende Aufklärungs- und Informationskampagne. Wir sehen vom Tabak: Es hat gewirkt.
Müller: Wir drehen uns im Kreis. Erst freigeben und dann davor warnen? Was mir als Bremer Polizeipräsident helfen würde: Bitte kein Pilotprojekt in Bremen. Was ich nicht möchte, ist Drogentourismus in Bremen.
Böllinger: Den könnte man durch Registrierungssysteme vermeiden. Und: Ein Gesetz kann man terminieren, es mit Forschung begleiten und beispielsweise nach fünf Jahren gucken, wie es sich bewährt hat. Ein gutes Beispiel sind Konsumräume für Heroin. Vor 15 Jahren hat Frankfurt auf eigene Faust damit angefangen. Es wurde forschungsbegleitet, hat sich bewährt und viele Tote erspart.
Müller: Ja, das hätte ich mir in Bremen auch gewünscht.
Böllinger: Ich freue mich sehr, dass Sie das sagen. Etwas Ähnliches könnte mit Cannabis gemacht werden.
Herr Müller, Sie hatten mal gesagt, Cannabis gehört genauso geächtet wie Heroin.
Müller: Ja, aber da ging es um die Akzeptanz in der Gesellschaft. In der öffentlichen Debatte klingt es oft so, als ob es egal wäre, ob man sich eine Zigarette oder einen Joint anzündet. Es wird ja meist nicht so differenziert dargestellt, wie Sie das gemacht haben, Herr Böllinger.
Böllinger: Ich glaube, Sie überschätzen den Einfluss solcher Äußerungen. Es hat sich in vielen Kreisen herumgesprochen, dass Cannabis weniger gefährlich ist als Alkohol und Tabak. Das sind doch Diskurse, die man nicht wegstreiten kann.
Müller: Aber da gibt es auch andere Studien. Bevor ich mich politisch entscheiden kann, muss ich mich doch mit allen Aspekten und besonders intensiv mit den unerwünschten Nebenwirkungen auseinandersetzen. Dabei spielt sicherlich Gesundheit die größte Rolle, aber auch Sicherheitsfragen sollte man nicht vernachlässigen.
Böllinger: Nichts anderes wollen die Strafrechtsprofessoren. Wir wollen eine sorgfältige Überprüfung im Parlament. Da wo diese Überprüfung hingehört.
Müller: Da wäre ich bei Ihnen.
Das klingt ja so, als wären Sie sich einig. Was glauben Sie, wird Cannabis in zehn Jahren in Deutschland legal sein?
Böllinger: Ich glaube ja. Aber nur, weil es aus Amerika kommt.
Müller: Im Moment gibt es eine ideologisch-dogmatische Lagerdiskussion. Aber wenn man es schafft, all das, was Sie ins Feld führen, Herr Böllinger, zu hinterlegen, dann hätte eine Legalisierung sicherlich eine Chance.
Lutz Müller ist seit 2012 Polizeipräsident in Bremen, vorher war er einige Jahre Polizeivizepräsident. Lutz Müller ist seit 1981 bei der Polizei Bremen, einige Jahre war er in Bremerhaven im Einsatz. Geboren wurde er in Delmenhorst. Gekifft habe er noch nie, sagte der 55-Jährige im Gespräch. Aber wenn Cannabis irgendwann legal sein sollte, könnte er sich vorstellen, mal einen Joint zu probieren.
Lorenz Böllinger war von 1982 bis 2009 Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Bremen. Der 71-Jährige arbeitet als Diplom-Psychologe und Psychoanalytiker in Bremen. Er ist Sprecher des Schildower Kreises, einem Netzwerk von Wissenschaftlern, die Deutschlands Drogenpolitik kritisieren und sich für eine Legalisierung von Cannabis einsetzen. Als Student hat er gekifft – und festgestellt: ist nicht so seins.
Das Gespräch führten Kathrin Aldenhoff und Bastian Mojen.