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Georg Ferdinand Duckwitz – geheimnisvoller Mister X

Gute Taten können niemals verkehrt sein“, schrieb Georg Ferdinand Duckwitz knapp eine Woche vor dem 1. Oktober 1943 in sein Tagebuch, und ergänzte: das sei sein „felsenfester Glaube“.
30.09.2013, 00:00 Uhr
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Gute Taten können niemals verkehrt sein“, schrieb Georg Ferdinand Duckwitz knapp eine Woche vor dem 1. Oktober 1943 in sein Tagebuch, und ergänzte: das sei sein „felsenfester Glaube“.

Der Blick auf sein Leben zeigt: Humanität war das unumstößliche Fundament seiner politischen Überzeugung und seines politischen Handelns während, nach und vor seiner Zeit im deutsch besetzten Dänemark.

Bis zum 4. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation in Dänemark, agierte Duckwitz unablässig zum Vorteil der dänischen Seite. In den letzten Kriegswochen hatte er bedeutenden Anteil daran, dass es in Dänemark nicht zu Kämpfen zwischen Wehrmacht und Alliierten kam.

Parallel dazu hatte Duckwitz seit 1941 nicht nur Kontakte zum Goerdeler-Kreis, den Widerständlern des 20. Juli 1944, er war im Gegenteil ihr wichtigster Vertreter in Skandinavien und stand in ständigem Kontakt mit führenden Köpfen wie Ulrich von Hassel und Fritz-Dietlof von der Schulenburg. In dieser Zeit riskierte Duckwitz fortwährend sein eigenes Leben und das seiner Frau Annemarie. Der dänische Kriminalkommissar Christian Madsen erklärte nach dem Krieg, dass Duckwitz ab 1943 von der deutschen Sicherheitspolizei „argwöhnisch betrachtet“ worden sei. Ab 1944 wurden alle seine Schritte überwacht. Der Parteichef der dänischen Sozialdemokraten, Widerstandskämpfer und spätere Ministerpräsident, Hans Hedtoft, sprach von ihm darum niemals namentlich, sondern stets nur als „geheimnisvoller Mister X“. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 trugen Duckwitz und seine Frau für den Fall ihrer Verhaftung Zyankalipillen mit sich, die ihnen der dänische Widerstand besorgt hatte.

Kurz vor Ende des Krieges befahl Dänemarks Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, SS-Standartenführer und Oberst der Polizei Otto Bovensiepen, die Erschießung von Duckwitz und seiner Frau. Rechtzeitig konnten sie untertauchen, die Zeit nach dem 2. Weltkrieg begann: Auf der Zeitachse der nächsten 25 Jahre im diplomatischen Dienst der Bundesrepublik Deutschland blieb Georg Ferdinand Duckwitz seinem humanitären Fundament, dem „felsenfesten Glauben“ an die „gute Tat“, stets treu.

Ende der 1960er-Jahre beauftragte ihn Willy Brandt mit der Verhandlungsführung des Vertragswerkes, das als „Warschauer Vertrag“ in die Geschichte einging. Dessen drei wichtigste Inspiratoren, Bundeskanzler Willy Brandt, Georg Ferdinand Duckwitz und der polnische Ministerpräsident Jósef Cyrankiewicz, stießen als erste auf die neue Ostpolitik an. Die Bedeutung dieses Vertrages erschloss sich der Welt durch den Kniefall, den Willy Brandt am Morgen der Unterzeichnung am Mahnmal des Warschauer Ghettos unternahm. Ein Jahr später wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen.

Der Anteil Georg Ferdinand Duckwitz‘ an dieser politischen Zeitenwende ist unbestritten. Sie verknüpft sein politisches Handeln aus einer tiefen humanitären Grundhaltung heraus von seinem letzten Lebensabschnitt bis zu seinem Wirken im besetzten Dänemark. Der Weg hierhin führte ausgerechnet über das kleine Königreich am Öresund: In seinen vier Kopenhagener Jahren von 1928 bis 1932 hatte Duckwitz eine Gesellschaftsform kennen- und lieben gelernt, die er glaubte, in den Worten Gregor Strassers wiederzufinden. Der Führer der linken Reichstagsfraktion der NSDAP und gefährlichste Hitlergegner besuchte Duckwitz im November 1932 in Bremen. In dem, was Strasser ihm vortrug, entdeckte Duckwitz „mit nationalen Gefühlen verbundene Elemente des skandinavischen Sozialismus“. Der 28-Jährige entschied, der NSDAP beizutreten: „Diese Unterredung mit Gregor Strasser im Herbst 1932 war entscheidend für mich.“

Am 1. Juli 1933 begann Duckwitz seinen Dienst in der außenpolitischen Abteilung der Partei, dem neu geschaffenen Außenpolitischen Amt in Berlin, APA. Der Begeisterung aus der Ferne folgte die rasante Abkehr durch erlebte Nähe. Nach nur zwei Jahren, am 4. Juni 1935, quittierte Duckwitz den Dienst. In seinem Begründungsschreiben an den Leiter des APA, Alfred Rosenberg, schrieb er: „Meine nunmehr zweijährige Tätigkeit in der Reichsleitung der N.S.D.A.P. hat mich erkennen lassen, dass ich mich im Wesen und in der Zielsetzung der nationalsozialistischen Bewegung so grundlegend getäuscht habe, dass ich als mir selbst gegenüber ehrlicher Mensch nicht mehr in der Lage bin, innerhalb dieser Bewegung zu arbeiten.“ Für weniger als solche Zeilen waren ein Jahr zuvor Hunderte Menschen im so genannten „Röhm-Putsch“ erschossen worden, darunter Gregor Strasser. Rosenberg, der Duckwitz wohl gesonnen war, verabschiedete ihn mit einem Luther-Zitat: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang.“ Tatsächlich gab es zu diesem Zeitpunkt schon einen ersten Eintrag bei der Gestapo, wonach Duckwitz durch „verschiedentliches nichtnationalsozialistisches Verhalten“ aufgefallen sei. Aktenkundig geworden war, dass er in Berlin bei einer SA-Hatz gegen jüdische Mitbürger drei jüdischen Frauen Schutz in seiner Wohnung am Kurfürstendamm gegeben hatte. Die konkrete Erfahrung dieser Zeit ließ Duckwitz „zum erbitterten Gegner dieses Systems“ werden, schrieb er nach dem Krieg.

Zunächst aber entzog er sich. Vier Jahre lang arbeitete er in leitender Position für die Hapag, die Hamburg-Amerika Linie. Dazu hatte Duckwitz Wohnsitze in Hamburg und New York, er hätte den sich abzeichnenden Krieg bequem an der 5th Avenue verbringen können. Stattdessen zog er es bewusst vor, in dem Land wirken zu wollen, das er im privaten Kreis als „sein Wahlheim“ bezeichnete: Dänemark. Vor dem Hintergrund seines späteren Handelns dort erscheint es plausibel, dass Duckwitz ab 1939 Instrumente des NS-Systems nutzte, um gemäß seines „felsenfesten“ Glaubens „Gutes“ zu tun. Mit einiger Evidenz gehörte die Parteimitgliedschaft dazu, die er bis Kriegsende nie aufgab. Denn nur als Parteimitglied konnte er sich für eine diplomatische Position bewerben.

In der Berliner Parteizentrale erinnerte man sich seiner Kündigung und lehnte seine Bewerbung als Schifffahrtssachverständiger für Kopenhagen ab. Ein Freund aus der Berliner Zeit, ein Major in Diensten des Abwehrdienstes des Admirals Canaris, half. Aufgrund von „Sicherheitsinteressen“ wurde Duckwitz nun doch als Schifffahrtssachverständiger nach Kopenhagen bestellt. „Dies brach den Parteiwiderstand“, schrieb er nach dem Krieg und bestätigte, dass er damit „formal“ Spion gewesen sei, „zur Tarnung“. Wie auch seine kurzweilige Tätigkeit für die „Deutsche Informationsstelle III“, einen nie realisierten Nachrichtendienst des Auswärtigen Amtes, „Mummenschanz“ gewesen sei.

Diese wie alle anderen Angaben von Georg Ferdinand Duckwitz stammen aus seinem persönlichen Nachlass. In drei großen Boxen ist dieser seit diesem Jahr im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin einsehbar. Sämtliche Angaben zu seiner „erbitterten Gegnerschaft zum System“ wurden darin von der dänischen Seite bestätigt. In der aktuellen, druckfrischen Broschüre des Auswärtigen Amtes zu Georg Ferdinand Duckwitz schreibt sein Biograf Hans Kirchhoff: „Wie andere Nazi-Gegner, die nicht nur in der Hitlerdiktatur überleben, sondern auch deren Verbrechen aktiv bekämpfen wollten, musste Duckwitz seine Rolle in der Besatzungsbürokratie überzeugend spielen.

Der deutsche Historiker Thomas Sandkühler stellt die Frage, ob nicht gerade diese „Ambivalenz“ eine entscheidende Voraussetzung dafür war, um überhaupt der „Endlösung“ entgegentreten zu können.

Die „fantastische Offenheit“, die den Dänen sogleich bei ihrem ersten Kennenlernen am Deutschen beeindruckt hatte, korrelierte mit dessen Rolle als führendem Repräsentanten des Besatzungsregimes. Dass nur diese Rolle Duckwitz den Spielraum gab, „gute Taten“ nach seiner „felsenfesten Überzeugung“ zu tun, machte ihn nach dem Krieg zum einzigen Deutschen, der sich in Dänemark vollkommen frei und geachtet bewegen durfte.

Bei seinem offiziellen Antritt als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland zehn Jahre später empfingen Duckwitz die warmherzigen Worte: „Majestät, hier ist er wieder.“ Im gleichen Jahr verstarb Hans Hedtoft. Über Duckwitz hatte der geschrieben: „Das Gewissen darf niemals neutral sein.“

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