Seit Wladimir Putin am 15. Januar eine Verfassungsänderung angekündigt hat, rätseln Russland und die Welt, was er genau plant. Dabei ist klar, welchen gordischen Knoten er durchtrennen will: das in Russland sogenannte „Problem 2024“. Dann kann Putin nicht mehr Präsident sein. Dabei ist er bereits 20 Jahre und vier Amtszeiten (2000-2008; 2012-2024) an der Macht, die er sich nur durch einen Trick sicherte, indem er 2008 das Amt mit Ministerpräsident Dmitri Medwedew tauschte und vor seiner Wiederwahl 2012 schnell die Legislaturperiode von vier auf sechs Jahre verlängern ließ. Daher steht spätestens seit der Wiederwahl 2018 die Frage im Raum, wie Putin seine Macht über das Jahr 2024 hinaus retten wird. Insofern war die Ankündigung der Verfassungsreform der erste Teil einer Antwort, auf die seit langem gewartet wird.
In Russland fällt der Rücktritt traditionell schwer: Als gottgesandt hielten die Zaren an ihrem Amt fest, auch wenn sie ihr Reich in den Abgrund steuerten (Nikolaus II.); die Kommunisten entwickelten einen solchen Führerkult, dass auch sie im Amt starben – nur Nikita Chruschtschow, der die Rotation vorschlug, wurde vorher abgesetzt. Nun sollte man nicht fahrlässig drei verschiedene Staatssysteme gleichsetzen. Jedoch hat Russland bislang nicht die Erfahrung gemacht, dass ein Machtwechsel normal ist.
Auch hält sich hartnäckig die Idee der Herrschenden, dass der Staat dem Machterhalt dient und kein Spielball im willkürlichen Meinungswirrwarr des Volkes sein darf. Den sowjetischen Parteiführern blieb immer ein Rätsel, warum westliche Staatsführer so „dumm“ waren und sich abwählen „ließen“. Und eine dritte Parallele gibt es: Neue Verfassungen dienten bislang dem Zweck, die Macht eines Mannes festzuschreiben. Das galt für Stalin 1936, Leonid Breschnew 1977 und Boris Jelzin 1993.
Es dürfte daher kein Zufall sein, dass Putin ausgerechnet jetzt eine Verfassungsreform ankündigt. Noch ist unklar, welches Amt er für sich maßschneidern lässt. Aber es sieht ganz danach aus, als wolle er als Vorsitzender des dann aufgewerteten, in die Verfassung aufgenommenen Staatsrats eine Art Aufsichtsrat über Duma, Föderationsrat, Präsident und den Sicherheitsorganen werden. Dazu passt auch, dass er mit Michail Mischustin eine Regierung von unpolitischen Technokraten ernannt hat. Ihre Aufgabe ist es, die angekündigten sozialen Wohltaten umzusetzen, damit das Volk wohl gestimmt ist, wenn Putin im September zu seinem großen Verfassungs-Coup ansetzt.
Unsere Gastautorin ist Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa und Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas an der Universität Bremen.