Der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, hat den umstrittenen Aufnahmestopp für Migranten verteidigt. "Ich stehe dazu", sagte Sartor am Freitag in Essen. Mit dem Schritt zieht die Hilfsorganisation für Bedürftige nach eigenen Angaben die Konsequenzen aus einem steigenden Migrantenanteil beim Andrang von Bedürftigen. Von Wohlfahrtsverbänden, anderen Tafeln und aus der Politik hatte es Kritik gegeben. Sartor sagte dagegen, die Reaktionen, die er erhalte, seien zu 80 Prozent positiv.
Es sei im Tafel-Vorstand lange diskutiert worden über den Entschluss, abgesehen von den bisherigen Kunden vorerst keine weiteren Migranten neu aufzunehmen. "Wir wollten erreichen, dass der Weg in die Tafel für alle wieder offen ist", sagte Sartor. Zuletzt seien aber weniger Alleinerziehende und Rentner gekommen. Der Aufnahmestopp sei nur eine vorübergehende Maßnahme, "wahrscheinlich nicht über den Sommer hinaus".
Bundesweite Kritik
Die Entscheidung der Essener Tafel, vorerst keine neuen Migranten mehr als Bedürftige aufzunehmen, war bundesweit auf Kritik und Unverständnis gestoßen. Nach den Grundsätzen des Dachverbandes "Tafel Deutschland e.V." sei die Hilfe der gemeinnützigen Essensausgaben für alle gedacht, die dieser Unterstützung bedürften, sagte die Vorsitzende der Berliner Tafel, Sabine Werth, der Deutschen Presse-Agentur. "Für die Berliner Tafel gibt es keine Bedürftigen erster oder zweiter Klasse."
Ähnlich äußerten sich auch andere Landesverbände der Tafeln, etwa in Niedersachsen, Bremen und Hessen. "Wir sind für alle Bedürftigen da, egal welche Hautfarbe oder Nationalität sie haben", sagte auch der Thüringer Landesvorsitzende Nico Schäfer der dpa am Freitag. Der Paritätische Wohlfahrtsverband in NRW kritisierte die Entscheidung ebenfalls. "Natürlich kann ich nachvollziehen, dass Tafeln unter großem Druck stehen und ihre Ressourcen im Blick haben müssen", sagte Landesgeschäftsführer Christian Woltering am Freitag. "Aber Maßnahmen wie ein Aufnahmestopp sind Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten".
Es widerspreche den Grundsätzen der Tafeln in Deutschland, die Essensvergabe an die Staatsangehörigkeit zu koppeln, teilte der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) mit.
Was war geschehen?
Die Essener Tafel nimmt vorerst nur noch Bedürftige mit deutschem Pass neu in ihre Kartei auf. Grund sei, dass der Anteil der Migranten zuletzt auf drei Viertel gestiegen sei, sagte am Donnerstag der Vereinsvorsitzende Jörg Sartor. Die Hilfsorganisation bewahrt Lebensmittel vor der Vernichtung und verteilt sie an Bedürftige. Die Empfänger müssen Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen und dies der Tafel nachweisen.
Zuerst hatte die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ) über die Beschränkung berichtet. Auf der Internetseite des Vereins heißt es dazu: "Da aufgrund der Flüchtlingszunahme in den letzten Jahren der Anteil ausländischer Mitbürger bei unseren Kunden auf 75 Prozent angestiegen ist, sehen wir uns gezwungen, um eine vernünftige Integration zu gewährleisten, zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen."
Der Vorsitzende Sartor sagte der "WAZ": "Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt." In den vergangenen zwei Jahren hätten sich gerade ältere Tafel-Nutzerinnen sowie alleinerziehende Mütter von den vielen fremdsprachigen jungen Männern in der Wartschlange abgeschreckt gefühlt, bei denen er teilweise auch "mangelnden Respekt gegenüber Frauen" beobachtet habe. "Wenn wir morgens die Tür aufgeschlossen haben, gab es Geschubse und Gedrängel ohne Rücksicht auf die Oma in der Schlange", sagte Sartor dem Blatt.
Umgesetzt wird die im Dezember beschlossene Beschränkung auf Deutsche bereits seit Mitte Januar, wie Sartor dem Blatt sagte - "so lange, bis die Waage wieder ausgeglichen ist". Er habe mit Unruhe gerechnet. Aber: "Seltsamerweise gab es noch keinen Krach, kein Theater."
Rund 1800 Nutzerkarten im Jahr
Die Essener Tafel gibt nach seinen Angaben rund 1800 Nutzerkarten aus, die nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch von Familien verwendet werden. 61 Prozent der Karteninhaber waren laut Sartor zuletzt Nicht-Deutsche. Das entspreche aber einem realen Anteil von 75 Prozent aller rund 6000 Nutzer, weil die nicht-deutschen Familien oft kinderreich seien. Vor dem starken Zuzug von Migranten 2015 habe der Anteil nur bei 35 Prozent gelegen.
Der Landesverband der Tafeln bestätigte einen starken Andrang von Migranten in den vergangenen beiden Jahren. Davon seien alle Tafeln in Nordrhein-Westfalen betroffen, sagte die stellvertretende Vorsitzende Claudia Manousek. Ähnliche Beschränkungen wie in Essen seien aber nicht bekannt. So nehmen etwa Düsseldorfer und die Dortmunder Tafel ohne Einschränkungen auf.
Aus Sicht des Landesverbandes gibt es durchaus Unmut bei den Bedürftigen. Migranten hätten gelegentlich falsche Erwartungshaltungen. Es gebe Regeln, die manchmal schon aus sprachlichen Gründen schwer zu erklären seien. Bei manch anderen Kunden rege sich da Unmut.
Hierzulande gibt es mehr als 930 Tafeln, die über rund 2000 Ausgabestellen Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Auch bundesweit sind nach Angaben des Vereins Tafel Deutschland etwa 60 Prozent der Tafel-Kunden nicht-deutscher Herkunft.
Situation in Niedersachsen und Bremen
Der Chef der Tafeln in Niedersachsen und Bremen hat die Entscheidung seiner Essener Kollegen kritisiert, nur noch Deutsche neu für die Essensausgabe zu registrieren. "Man diskriminiert ja eine Gruppe", sagte Manfred Jabs am Freitag. "Das widerspricht eigentlich den Grundsätzen der Tafeln. Da muss man andere Wege finden."
Die Essener Tafel hatte mitgeteilt, nur noch Bedürftige mit deutschem Pass neu in ihre Kartei aufzunehmen. Der Anteil der Migranten sei zuletzt auf drei Viertel gestiegen sei, sagte der Vereinsvorsitzende Jörg Sartor zur Begründung.
"Wir haben keine Tafeln in Niedersachsen und Bremen, die sagen: Wir geben nur an Deutsche aus", sagte Jabs. Alle Kunden würden gleich behandelt. Die Tafeln bewahren Lebensmittel vor der Vernichtung und verteilen sie an Bedürftige. Die Empfänger müssen Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen und dies nachweisen. (dpa)
(Dieser Artikel wurde um 11.55 Uhr aktualisiert.)