Die Räumung des Braunkohleorts Lützerath ist nach Angaben von Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach weit fortgeschritten. „Die Räumung der überirdischen Strukturen ist weitgehend abgeschlossen“, sagte er am Donnerstagabend im WDR. „Wir haben fast alle Häuser geräumt bis auf eins. Es ist die Wiese geräumt, ein Großteil der Baumhäuser ist geräumt.
Insofern bleibt gar nicht mehr so viel über“, sagte er.
Wie lange der Einsatz nun noch dauern werde, könne man trotzdem nicht sagen. Verzögert werden könnte die Räumung durch unterirdische Gänge, die am Donnerstag entdeckt wurden. Dort halten sich nach Erkenntnissen der Polizei noch Aktivisten auf. „Wie lange jetzt die Räumung aus den unterirdischen Bodenstrukturen dauern wird, das ist nicht abzusehen. Da wird es auch darauf ankommen, ganz vorsichtig vorzugehen und keine Risiken einzugehen“, sagte der Polizeipräsident.
Auch die ersten symbolträchtigen Häuser der einstigen Bewohner von Lützerath wurden am Donnerstag geräumt. Dort leisteten die Besetzer teilweise stärkeren Widerstand. Es flogen Feuerwerkskörper in Richtung der Einsatzkräfte, wie eine dpa-Reporterin berichtete. Auf der politischen Bühne stellt die Räumung von Lützerath die Grünen weiter vor eine Zerreißprobe.
Der Energiekonzern RWE, dem Lützerath inzwischen gehört und der die Braunkohle unter dem Ort für die Stromerzeugung gewinnen will, baute einen massiven Zaun rund um den kompletten Ort. So sollte die Anreise weiterer Demonstranten verhindert werden. Trotzdem machte sich vom Nachbarort Keyenberg aus ein Demonstrationszug auf den Weg nach Lützerath. Die Polizei sprach von etwa 800 Teilnehmern. Einige Demonstranten wurden von der Polizei gestoppt und eingekreist, darunter Klima-Aktivistin Luisa Neubauer und Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser. Die Demonstranten wollen den Abbau der Kohle unter Lützerath verhindern und warnen vor schwerwiegenden Folgen für das Klima durch die Kohle-Verbrennung.
Am Donnerstagmorgen mussten die Besetzer bereits den symbolträchtigen Duisserner Hof aufgeben, den der als „letzter Bauer von Lützerath“ bekannt gewordene Besitzer bis zuletzt gegen die Enteignung verteidigt hatte. Das Gebäude war zu einem bildstarken Symbol des Widerstands gegen den Braunkohle-Tagebau Garzweiler geworden.
Auch in einem zweiten Gebäude, dem sogenannten Paulahof mit einer aufgemalten Regenbogen-Flagge auf der Fassade, begann die Räumung. Als die Polizei vorrückte, flogen Rauchbomben und Raketen in Richtung der Beamten. Außerdem ging die Polizei Hinweisen nach, dass Aktivisten unter der Erde eine Tunnelanlage gebaut haben könnten, um die Räumung zu behindern.
Doch Angriffe auf Polizeibeamte bleiben nach Einschätzung von Beobachtern die Ausnahme. Im Großen und Ganzen war der Protest gewaltfrei. Einige Aktivisten hatten sich mit Kleber in ihren Holzhütten festgeklebt, um der Polizei die Räumung zu erschweren. Beamte konnten sie aber schnell lösen. Eine Aktivistin hatte mit einem Autowrack einen Zufahrtsweg versperrt und ihre Füße durch das Bodenblech in die Straße einzementiert. „Wir haben Erfahrung mit Lock-ons aller Art“, sagte ein Polizeisprecher.
Auch aus den in bis zu zehn Meter Höhe errichteten Baumhäusern ließen sich Besetzer von Höhenrettern ohne große Gegenwehr nach unten holen. Anschließend schnitten Polizisten die Halteseile durch, so dass Baumhäuser krachend in die Tiefe stürzten und dort in viele Einzelteile zerbrachen, wie ein dpa-Reporter berichtete.
Ein Klimaaktivist, der in einem Baumhaus ausharrte, postete ein Video auf Twitter, in dem er seine Enttäuschung über die Baumfällarbeiten zum Ausdruck brachte. „Es ist bitter, bitter, bitter, dass während der Klimakrise Bäume gefällt werden, damit Braunkohle verbrannt werden kann, was den Planeten zerstört.“
Das stürmische und regnerische Wetter machte den Aktivisten zu schaffen. „Wir hoffen, dass der Sturm nicht noch stärker wird“, sagte eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“. Die Situation sei für die Menschen in den Baumhäusern gefährlich. „Im Normalfall kommen sie bei Sturm runter.“ Wie viele Aktivisten noch in Lützerath sind, sagte sie nicht.

In dem Autowrack hatte sich eine Aktivistin durch das Bodenblech in den darunterliegenden Weg mit den Füßen einzementiert.
Für die Grünen wird die Räumung immer mehr zur Belastung: Sowohl im Bund als auch im Land NRW ist die Partei an der Regierungskoalition beteiligt und trägt die Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler mit. Aus Protest besetzten rund 30 Aktivisten am Donnerstag die Parteizentrale der NRW-Grünen in Düsseldorf, wie ein Parteisprecher bestätigte. Die Parteispitze betont, dass im Gegenzug der Kohleausstieg in NRW um acht Jahre auf 2030 vorgezogen wurde.
Wie lange die Räumung von Lützerath noch dauert, ist unklar. Von einem kurzfristigen Ende des Einsatzes ging die Polizei am Donnerstagnachmittag aber nicht aus. „Wir wissen nicht, wann der Einsatz zu Ende ist“, sagte ein Polizeisprecher.
Die Räumung hatte am Vortag begonnen, ein Großaufgebot der Polizei ist im Einsatz. Ein Reporter berichtete von einer weitgehend ruhigen Nacht. Einmal seien am Mittwochabend einige Böller geworfen und Feuerwerksraketen aus einem besetzten Gebäude gezündet worden, verletzt wurde niemand. Währenddessen holte die Polizei nicht weit davon entfernt eine Gruppe von Klimaaktivistinnen und Aktivisten von einem Lagerhallendach.
Lützerath: Frau verschanzt sich in Autowrack
An einer anderen Stelle war die Polizei in der Nacht mehrere Stunden damit beschäftigt, eine Aktivistin aus einem Autowrack zu befreien, das als Hindernis auf einem Weg aufgebaut worden war. Die Frau hatte sich in dem Wrack verschanzt und ihre Füße in den Weg zementiert. In den frühen Morgenstunden konnte sie herausgeholt werden.
Sobald die Polizei einzelne Bereiche für geräumt erklärt hat, sollen Bagger mit dem „geordneten Rückbau“ – also dem Abriss – beginnen. „Wann das sein wird, wissen wir nicht“, sagte der RWE-Sprecher. „Sicherheit für alle Beteiligte hat für uns dabei absoluten Vorrang.“
Vor dem Start der Räumung am Mittwoch war mit massivem Widerstand gerechnet worden. Beobachter sprachen dagegen am ersten Tag von einer zum Teil entspannten Atmosphäre. Zum Auftakt der Räumung war es allerdings auch zu Rangeleien gekommen. Laut Polizei wurden ein Molotow-Cocktail, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen. Eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“ warf der Polizei einen überharten Einsatz vor.
Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach verteidigte derweil das Vorgehen der Polizei. Die Strategie habe Früchte getragen und es sei gelungen, durch Kommunikation über 200 Demonstranten dazu zu bewegen, das Gelände freiwillig zu verlassen, sagte Weinspach am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Einige Situationen bei der Räumung habe man dadurch entschärfen können, dass man miteinander rede. Es sei immer gut, auf das Wort als erstes Einsatzmittel zu setzen. „Das werden wir auch weiterhin tun“, sagte Weinspach.
Zugleich sprach der Polizeipräsident von Gewalt seitens der Aktivisten am Mittwoch, die aber nicht bestimmend gewesen sei. Die gewaltbereite Szene sei in der Minderheit. Die Zahl derer, die zu Gewaltstraftaten bereit seien, liege im „unteren zweistelligen Bereich“.
++ Dieser Artikel wurde am 12. Januar um 20.55 Uhr aktualisiert. ++