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Folgen des Klimawandels Was kostet der Verlust der Heimat?

Seit 20 Jahren drängen Entwicklungsländer auf finanzielle Entschädigungen für Verluste und Schäden, die ihnen infolge des Klimawandels entstehen. Doch wie genau könnten Summen festgelegt und begründet werden?
04.12.2022, 20:22 Uhr
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Von Björn Lohmann
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Es war eine Premiere beim Weltklimagipfel im November: Nach gut zwanzigjährigem Drängen der Entwicklungsländer befasste sich die Staatengemeinschaft erstmals mit dem Thema „Loss and Damage“. Gemeint waren damit Verluste und Schäden, die Entwicklungs- und Schwellenländer infolge des Klimawandels erlitten haben und erleiden werden. Sollten die Industriestaaten aufgrund ihrer Treibhausgasemissionen für diese Schäden haftbar sein und finanzielle Entschädigung leisten – in Billionenhöhe?

Warum Juristen Entschädigung befürworten

„Ethisch ja, weil sie sich früher entwickeln konnten und deshalb Hauptverursacher des Klimawandels sind“, findet Gerd Winter, der an der Universität Bremen zu internationalem Umweltrecht forscht. Doch auch aus juristischer Sicht sagt Winter: „Ja, weil dies die rechtlichen Grundlagen ermöglichen.“ Zwischen Staaten gebe es dazu die Norm des Völkergewohnheitsrechts. Aus Sicht des Juristen greift sie, weil drei Bedingungen erfüllt sind: Private Emissionen können dem haftenden Staat zugerechnet werden, da dieser regulatorisch eingreifen kann; die Emissionen richten im klagenden Staat erhebliche Schäden an; der beklagte Staat verhält sich rechtswidrig – was durch die Schadensverursachung, spätestens jedoch durch Überschreitung zugesagter Emissionsgrenzen begründet ist.

Welche Faktoren zählen

„Im Völkerrecht wird meist angenommen, dass jeder Schädiger nur für den von ihm verursachten Teil haftet“, erläutert Winter den Gegensatz zu einer gesamtschuldnerische Haftung. Daher zählen aus Sicht des Juristen allein die kumulierten Treibhausgasemissionen, um den Anteil an der Haftung zu ermitteln. Irrelevant seien die wirtschaftliche Stärke und die Höhe der eigenen Vorteile aus den Prozessen, die zu den Emissionen führten. Die staatlichen Entschädigungsansprüche könnten dabei weit zurückreichen, denn im Völkerrecht gibt es keine Verjährung. Deutschland hätte basierend auf den kumulierten Emissionen die viertgrößte Verantwortung, hinter den USA, China und Russland, gefolgt vom Vereinigten Königreich und Japan.

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Wie Privatleute sich gegen Konzerne wehren können

Zwischen privaten Akteuren gibt es ebenfalls eine Haftung für Klimaschäden, die sich aus nationalem Recht ableitet und auch grenzübergreifend gilt. Beispiele dafür sind die Klagen des peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya gegen den deutschen Kohlekonzern RWE und niederländischer Nichtregierungsorganisationen gegen den Ölkonzern Royal Dutch Shell. Bei Ersterem läuft die Beweisaufnahme. In Letzterem wurde Shell verurteilt, die eigenen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 45 Prozent zu reduzieren, ging aber im März 2022 in Berufung.

Wie Staaten sich gegen Konzerne wehren können

Verklagte Staaten könnten sich die Entschädigungskosten von den privaten Verursachern wie den Kohle- und Ölkonzernen zurückholen, „aber das ist eine Frage der innerstaatlichen politischen Willensbildung und entsprechender Gesetzgebung“, erklärt Winter. Private Schadensansprüche verjähren drei Jahre nachdem Geschädigte von ihnen Kenntnis nehmen, und häufig ist bei Klimafolgen die Kausalität schwer zu beweisen. „Daher empfiehlt es sich, aktuelle Fälle zu nehmen, zum Beispiel deutlich klimawandelbedingte Extremereignisse und ihre Folgen“, rät der Juraprofessor.

Was mit „Schäden und Verluste" gemeint ist

Christian Baatz, Klimaethiker an der Universität Kiel, sieht schon in der Begrifflichkeit Schwierigkeiten: „Häufig versteht man unter Schäden das, was wieder hergestellt werden kann, also zum Beispiel ein Haus. Ein Verlust ist etwas nicht Wiederherstellbares beziehungsweise nicht vollständig Kompensierbares.“ Schäden seien daher besser zu ermitteln als Verluste. Als Beispiel dafür nennt Baatz die diesjährigen Überschwemmungen in Pakistan: „Den Verlust meiner Heimat kann ich benennen, aber nicht in Geld beziffern, den Verlust meiner Wohnung kann ich zumindest in einigen wichtigen Hinsichten monetarisieren.“ Solche Erhebungen seien komplex und wenn viele Menschen betroffenen sind, häufig eher grobe volkswirtschaftliche Abschätzungen.

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Wie man die finanzielle Höhe eines Verlusts festlegt

Wie ist der ökonomische Verlust eines Menschenlebens zu bewerten, wie verlorene Jahre mittlerer Lebensqualität? „Ein noch größeres Problem ist, dass die rein monetären Bewertungen selbst bei ökonomischen Gütern aus ethischer Sicht völlig verzerrt sind“, erläutert Christoph Lumer, Moralphilosoph an der Universität Siena. „Ein ökonomisch gleichwertiger Einkommensverlust von 1000 Dollar für Elon Musk oder für einen indischen Tagelöhner haben aus ethischer Sicht einen sehr unterschiedlichen Wert, weil sie das Wohlsein dieser Menschen in sehr unterschiedlichem Ausmaß verringern.“

Welche Staaten entschädigt werden müssten

Nicht zuletzt müsste darüber entschieden werden, welche Länder Entschädigungen erhalten, denn der Klimawandel schädigt alle Nationen. „Der übliche Lösungsvorschlag dazu ist, einen Fonds zu bilden, der die Entschädigungen nach der Größe der Schädigung, aber auch nach der Wirtschaftskraft des geschädigten Landes verteilt", erklärt Lumer. So in etwa haben auch die Staaten beim diesjährigen Weltklimagipfel entschieden: 2024 soll ein Entschädigungsfonds gestartet werden, den die Industrienationen füllen. „Eigentlich sind die Ansprüche der geschädigten Staaten bereits nach bestehendem Völkergewohnheitsrecht gegeben“, resümiert Winter. „Aber die geschädigten Länder scheuen sich bisher, Klagen zu erheben, weil sie auf ‚freiwillige‘ Zahlungen der Industrieländer hoffen und die politischen Beziehungen nicht belasten wollen.“ Zudem hätten sich nicht alle Verursacherstaaten der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unterworfen. Der Fonds sei daher eine einfache und ohne Gerichte handhabbare Lösung – „wenn er denn überhaupt bestückt wird“, wie der Jurist skeptisch anmerkt.

Zur Sache

Loss and Damage Fund

Beim nächsten Weltklimagipfel in Dubai 2023 will die Staatengemeinschaft ausarbeiten, wie der Fonds ausgestaltet wird, der ab 2024 Schäden und Verluste durch Klimafolgen kompensieren soll. Aktuell jedoch noch vollkommen offen, wer wann wie viel einzahlen wird. Um überhaupt Einstimmigkeit herzustellen und den Fonds zu beschließen, sollen die Einzahlungen freiwillig erfolgen. Beim Green Climate Fund, aus dessen Mitteln Klimaanpassungen und Schutzmaßnahmen in Entwicklungsländern finanziert werden sollen, ist das gescheitert: Seit 2020 sollen dort jährlich 100 Milliarden US-Dollar hineinfließen, doch bislang verfügt der Fonds über weniger als 20 Milliarden Dollar.

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