Professor Gottwald, Deutschland hat seit 1990 seinen CO2-Ausstoß um fast 40 Prozent reduziert. Einige Branchen wie die Abfall- und Energiewirtschaft oder auch die Industrie haben ihren Anteil an den Emissionen dabei deutlich stärker senken können als die Landwirtschaft. Warum fällt es der Landwirtschaft so schwer?
Franz-Theo Gottwald: Die Nachkriegslandwirtschaft hat sich auf die Maximierung des Ertrages ausgerichtet. Es sind Anbau- und Tierhaltungssysteme entstanden, die sehr intensiv sind. Die Landwirte haben über Jahrzehnte mit politisch gesetzten Anreizen und unter wissenschaftlicher Begleitung ihre Abläufe optimiert. Dieses System zu verändern, stellt eine doppelte Herausforderung dar. Praktisch, weil die Betriebe weiterhin in der Lage sein müssen, ihr Auskommen zu haben. Und psychologisch, weil die Landwirte sich fragen: Haben wir denn bisher alles falsch gemacht?
Und? Haben sie?
Nein. Es ist ein System entstanden in den letzten 70 Jahren, das entscheidend zur Ernährungssicherung in diesem Land beigetragen hat. Es hat aber Kollateralschäden in Bezug auf die Umwelt mit sich gebracht. Deshalb stehen wir jetzt an einem Punkt, den manche als Agrarwende oder Systemwechsel bezeichnen. Jetzt steht ein neues Lernen an, das Antworten auf die beiden großen Fragen Klimaschutz und Biodiversität geben muss.
Wie ist es um das Bewusstsein dafür bei den Landwirten bestellt?
In den guten Betrieben ist die Botschaft längst angekommen. Die politischen Vorgaben zeigen sehr klar die Richtung an: Bis 2030 soll 50 Prozent weniger Stickstoff beim Düngen eingesetzt werden. Beim Pestizideinsatz geht es um einen Abbau von 30 Prozent in diesem Zeitraum. Das sind gewaltige Ziele. Aber es gibt Fördermittel, die helfen, diese Vorgaben schrittweise zu erreichen. Allein die Bundesregierung gibt bis 2025 für den Moorschutz bis zu 330 Millionen Euro.
Was halten Sie von der Forderung: Es muss einfach weniger Tiere geben. Das würde für weniger Emissionen sorgen, würde die Futtermittelproduktion reduzieren, würde weniger intensive Bewirtschaftung der Felder bedeuten?
Das ist zu einfach gedacht. Rechnerisch würde das aufgehen, und darauf basiert ja auch ein Teil der Maßnahmen, die von der derzeitigen Bundesregierung auf den Weg gebracht werden. Die Rede ist davon, den Tierbestand um 30 Prozent abzustocken. Der Konflikt dabei ist aber: Die Verbraucher haben nach wie vor ein Ernährungsverhalten, das sehr an tierischen Produkten interessiert ist. Eine Agrarwende setzt voraus, dass auch Konsumenten ihr Verhalten ändern. Diese Ernährungswende geht aber nur sehr langsam voran.
An welchen Zeitraum denken Sie, wenn wir über einen Wandel der Landwirtschaft sprechen?
Für die Landwirtschaft bis 2060. Die Ernährungswende wird ähnlich lange dauern. Daran sehen Sie: Das sind sehr dicke Bretter. Da muss man sich als Gesellschaft auch ehrlich machen. Ein Glas Kuhmilch entspricht der CO2-Bilanz von sechs Minuten Online-Streaming. Daran sieht man, wo auch wir als Haushalte oder Einzelkonsumenten Probleme erzeugen. Wir dürfen nicht nur auf die Energie-, Bau- oder Landwirtschaft schauen und Veränderungen einfordern. Wir Konsumenten sind selber gefragt.
Manche vergleichen den Umbau der Landwirtschaft mit dem Umbau der Energiewirtschaft.
Das ist nicht zu vergleichen. Bei der sogenannten Energiewende haben wir eine Handvoll große Unternehmen auf der Versorger- und Netzbetreiberseite in Deutschland. In der Landwirtschaft dagegen haben wir es mit 200.000 Betrieben zu tun, die vom Tier leben. Der Wandel der Landwirtschaft setzt ein sehr behutsames Entwickeln und Umsteuern voraus. Meine Botschaft an die Politik ist: Bedenkt, dass der Wandel in der Fläche gemanagt werden muss. 200.000 Betriebe, das ist nicht nichts. Wir müssen eine stabile Flächenbewirtschaftung sicherstellen, damit auch in Notzeiten der Selbstversorgungsgrad in Deutschland erhalten bleibt. Schließlich geht es auch darum, Wissen zu erhalten. Dass die Drohne über die Felder fliegt und es automatisch besser macht als der Landwirt, ist eine falsche Vorstellung.
Die Landwirtschaft fühlt sich stark unter Druck gesetzt. Die Zahl der Betriebe geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Haben wir bis 2060 überhaupt noch genug Landwirte?
Wenn ich mir die Junglandwirte ansehe, mit denen ich zusammenarbeite, kann ich sagen: Das sind hochkompetente Betriebsleiter. Es gibt kaum eine Berufsgruppe, die anpassungsfähiger ist als Landwirte – vorausgesetzt, es ist klar, in welche Richtung es gehen soll, und dass Planungs- und Rechtssicherheit herrscht. Unter diesen Annahmen ist mir nicht bange, dass Flächen brachliegen werden.
Das Gespräch führte Marc Hagedorn.