Für die meisten Arbeitnehmer dürfte die Vorstellung paradiesisch klingen: Die wöchentliche Arbeitszeit schrumpft, doch das Gehalt bleibt gleich. In Island hat es genau dazu jetzt die weltweit größte Feldstudie gegeben, anstelle einer Fünf- wurde die Vier-Tage-Woche getestet. Und die ersten Ergebnisse sind durchaus vielversprechend.
Das Projekt begann bereits vor einigen Jahren. Im Auftrag der Regierung startete 2015 der erste Teil des Versuchs, das zweite Experiment folgte ab 2017. Bis zu 2500 Beschäftigte nahmen daran teil. Was zunächst recht kleinteilig klingt, gewinnt an Bedeutung beim Blick auf die Gesamtbevölkerung. Etwa 200.000 Menschen gehören auf Island zur arbeitenden Schicht, folglich nahmen mehr als ein Prozent der Beschäftigten aus Betrieben wie Kindergärten, der Sozialdienstleistung oder Krankenhäusern an der Studie teil. Dass die Wahl auf Island für diese Erhebung fiel, ist ebenfalls wenig überraschend, denn laut Industrieländer-Organisation OECD ist die Wochenarbeitszeit auf dem Inselstaat weltweit mit am höchsten.
Das Besondere des Versuchs: Während die Arbeitszeit pro Woche von 40 oder mehr auf zumeist 35 bis 36 Stunden sank, litt das Unternehmen keineswegs unter den zeitlichen Kürzungen. "Die Produktivität und die erbrachte Leistung blieben gleich oder verbesserten sich sogar bei den meisten Versuchsarbeitsplätzen", heißt es in der Auswertung der Studie. Dies gelang, indem parallel zur veränderten Arbeitszeit auch die täglichen Routinen der Angestellten optimiert wurden. So fielen etwa Besprechungen kürzer aus oder wurden gänzlich durch E-Mails ersetzt, einige Aufgaben konnten sogar komplett gestrichen werden.
Will Stronge, Leiter der Forschungsabteilung des Thinktanks Autonomy, bezeichnete den Feldversuch gegenüber der BBC als "überwältigenden Erfolg". Gudmundur Haraldsson vom isländischen Verband für nachhaltige Demokratie Alda erklärte: „Die kürzere Arbeitswoche in Island zeigt uns, dass es in modernen Zeiten nicht nur möglich ist, kürzer zu arbeiten, sondern dass auch Veränderung möglich ist.“ Die Probanden der Studie waren ebenfalls angetan, viele meldeten zurück, dass sich ihre Gesundheit deutlich verbessert habe, sie nicht mehr so gestresst oder von einem Burn-out bedroht seien. Auch die neu gewonnene Zeit für Familie und Freizeit wurde lobend hervorgehoben.
Doch ist eine Studie wie diese überhaupt auf den internationalen Alltag übertragbar? Politikwissenschaftler Jack Kellam, der das Experiment wissenschaftlich ausgewertet hat, ist davon überzeugt. "Die Vier-Tage-Woche könnte genauso gut in größeren Ländern wie Deutschland funktionieren", sagte er gegenüber "Zeit Online". "In Großbritannien, wo ich lebe, ist die Zahl der Krankheitstage wegen psychischer Belastung extrem hoch – der Bedarf, etwas an der Arbeitskultur und -zeit zu ändern, wäre also allemal da." Mut macht ihm der Blick in die Vergangenheit: "Historisch gesehen wurde an der Arbeitszeit ohnehin schon häufiger gedreht: Wir sind von der Sechstagewoche auf die Fünftagewoche umgestiegen", sagte Kellam. "Warum sollte es nicht auch noch weitergehen?"