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Serie "Schön gemacht" Wie sich Jugendliche von Schönheitsidealen unter Druck gesetzt fühlen

Schönheitsideale in den sozialen Medien werden für Jugendliche zunehmend zur Belastung. Eine Studie zeigt die Auswirkungen auf das Selbstbild der Heranwachsenden. Das Thema ist auch in Bremen nicht fremd.
04.07.2024, 05:00 Uhr
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Wie sich Jugendliche von Schönheitsidealen unter Druck gesetzt fühlen
Von Kristin Hermann

Ihr rosafarbenes Haar umspielt die nahezu perfekten Gesichtszüge. Sie hat einen Körper, auf den viele Frauen neidisch sein dürften. Und sie setzt diesen gerne leicht bekleidet in Szene. Das spanische Model Aitana Lopez teilt täglich ihr Leben mit mehreren Hunderttausend Abonnenten auf Instagram. In bester Influencer-Manier zeigt sie sich beim Sport, beim Reisen, beim Essen – ihre Fans wünschen ihr in den Kommentaren viel Spaß und bewundern ihre Schönheit. Problematisch daran: Aitana Lopez ist nicht aus Fleisch und Blut. Sie gehört zu der Gruppe von jenen Models, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) geschaffen wurden. Ihre Schöpfer verdienen damit viel Geld, denn KI-Models werden immer gefragter und werben mitunter für namhafte Marken. Sogar eine eigene Misswahl wurde kürzlich für sie aufgerufen.

Um zu erkennen, dass es sich bei den KI-Models um keine echten Personen handelt, muss man genau hinschauen. In ihren Profilen heißt es in der Beschreibung dann etwa "Virtual Soul" (virtuelle Seele) – ein kleiner Hinweis darauf, dass das hochgeladene Mittagessen gar nicht wirklich verzehrt werden kann. Bei den künstlich erstellten Influencerinnen wird deutlich, was Experten schon lange im Internet, insbesondere in den sozialen Netzwerken, kritisieren. Bearbeitete Bilder, Filter und Selbstinszenierung vermitteln ein verzerrtes Bild der Realität, das besonders Kinder und Jugendliche in Bezug auf ihr eigenes Aussehen verunsichern kann.

Mehr als ein Viertel denkt über Schönheitsoperation nach

Wie präsent das Thema für Heranwachsende ist, bestätigt eine Befragung der EU-Initiative "Saferinternet.at", die kürzlich in Wien vorgestellt wurde. Die Studie hat untersucht, welche Auswirkungen die Nutzung von digitalen Medien auf das körperbezogene Selbstbild von jungen Menschen hat. Dazu wurden mehrere Hundert Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren befragt. Mehr als die Hälfte von ihnen würde demnach gerne etwas am eigenen Aussehen ändern, mehr als ein Viertel hat schon einmal über eine Schönheitsoperation nachgedacht. Dabei wird Social Media und insbesondere Influencerinnen und Influencern ein großer Einfluss auf die Selbstwahrnehmung zugeschrieben.

Ein ähnliches Bild zeichneten in der Vergangenheit Befragungen in Deutschland. Demnach steigt der Druck auf Jugendliche, unrealistischen Körperbildern zu entsprechen. Das kann gerade in einem Alter, in dem das eigene Selbstwertgefühl oftmals nur schwach ausgeprägt ist, eine große Belastung werden. Es brauche deshalb mehr Realität statt Fake-Fotos in den sozialen Medien, um das Selbstbewusstsein junger Menschen zu stärken, sagte die österreichische Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm bei der Vorstellung der Ergebnisse im Februar. "Ob Pickel, Cellulite oder Speck an den Hüften – alle sind gefordert, ehrlicher mit dem eigenen Aussehen umzugehen." Von künstlicher Intelligenz hergestellte Fotos junger Menschen seien kontraproduktiv. "KI-Bilder von Menschen, die nicht einmal existieren, halte ich für eine Gefahr", so Plakolm.

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Obwohl es mehr weibliche Influencerinnen gibt, ist das Aussehen der Befragung zufolge für beide Geschlechter von großer Bedeutung – sowohl offline als auch online. Wichtig ist den Jugendlichen demnach vor allem, schön (68 Prozent), gestylt (64 Prozent) und schlank (54 Prozent) auszusehen. Sich sexy darzustellen ist für 34 Prozent von Bedeutung, wobei Jungen (40 Prozent) darauf deutlich mehr Wert legen als Mädchen (27 Prozent). Hier zeigt sich, dass der Fokus auf das eigene Aussehen entgegen der weitverbreiteten Annahme längst kein reines Mädchenthema mehr ist. Um möglichst gut auszusehen, nutzen die Jugendlichen Licht, Posen und Handywinkel und bearbeiten die Fotos und Videos.

Im Bremer Mädchenhaus spielt das Thema schon lange eine Rolle, bestätigt Psychologin Bianca Gerdes. Wenn Jugendliche unter Essstörungen oder anderen Krankheiten leiden, verstärke sich der Einfluss sozialer Medien meist. "Da geht es dann mitunter darum, sich an vermeintliche Ideale anzupassen, um sich sicherer zu fühlen", sagt Gerdes. Auch an Bremer Schulen wird zunehmend über das Thema diskutiert, sagen Britta Düsterhoff und Oliver Bouwer, die bei der Bildungsbehörde im Referat Medien und Bildung in der digitalen Welt arbeiten. Sie versuchen, Lehrkräften mit Fortbildungen die Medienrealitäten von Jugendlichen nahezubringen. "Das Problem kommt zu vielen anderen Herausforderungen im Schulalltag dazu", sagt Bouwer. "Dennoch ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Die Lehrer müssen nicht alle zu TikTok-Experten werden, aber sie sollten erfassen, was die Faszination für die Jugendlichen ausmacht und diese Themen ansprechen." Die Schulungen würden vor allem von weiterführenden Schulen nachgefragt, grundsätzlich sei der ganze Bereich Medienwelten aber auch bereits im Grundschulbereich Thema.

Völlig unreflektiert hinsichtlich der Gefahr Social Media sind die Jugendlichen oftmals nicht. Rund zwei Drittel der Befragten meinen zu merken, dass sich die Selbstwahrnehmung durch die Nutzung sozialer Netzwerke verändert. Eine Mehrheit gibt an, sich dennoch mit dem online gesehenen Idealbild zu vergleichen. Alarmierend ist laut Studie, dass ein Viertel der Jugendlichen sich nach dem Konsum schlecht fühlt. Und das Businessmodell der Influencer funktioniert: Die Jugendlichen geben an, vorgestellte Produkte zu kaufen oder aufgrund entsprechender Bilder schon einmal etwas an ihrem Aussehen geändert zu haben.

Möglichkeiten, um Filter und KI-Bilder zu erkennen

Erfolgreiche Strategien gegen den Schönheitswahn zu entwickeln, ist nicht leicht. Experten fordern schon lange einen kritischeren Umgang mit dem Thema und eine Kennzeichnungspflicht von KI-Bildern, doch das geht nur schleppend voran. Für die Studie aus Österreich haben einige Jugendliche angegeben, wie sie sich versuchen, vor einem negativen Einfluss zu schützen. Manche reduzieren dafür aktiv ihren Social-Media-Konsum oder legen gezielte Pausen ein. Andere entfolgen Influencern, die unrealistische Schönheitsideale propagieren. Auch gegenseitige Unterstützung im Freundeskreis wird als relevant empfunden. "Wir empfehlen den Mädchen unter anderem, im Sommer einfach mal an den See zu gehen und sich echte Menschen anzuschauen, um den Realitätsbezug wieder herzustellen", sagt Bianca Gerdes vom Mädchenhaus.

Angebote für Jugendliche bieten auch Julia Kehr-Ritz vom Bremer Servicebureau Jugendinformation und ihre Kollegen an. So veranstalten sie regelmäßig den Workshop "No Filter", bei dem es darum geht, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und ihnen Techniken zu vermitteln, wie sie beispielsweise bestimmte Filter oder KI-erzeugte Fotos erkennen können. "Wir zeigen ihnen, wie man solche Sachen decodiert und dass man die Wahrnehmung auf seinen Social-Media-Kanälen mitsteuern kann, wenn man zum Beispiel den Algorithmus versteht und selbst gestaltet", sagt Kehr-Ritz. So könnten die Jugendlichen dafür sorgen, dass weniger bearbeitete Bilder in ihrer Übersicht auftauchen. Kehr-Ritz ist es jedoch wichtig zu betonen, dass Social Media nicht grundsätzlich verteufelt wird, sondern Chancen bieten kann. "Es gibt durchaus Bewegungen und Influencer, die eine Vorbildfunktion einnehmen. Wichtig ist, den kompetenten Umgang damit zu vermitteln", sagt die Bildungsreferentin.

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Das gelte nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für ihr familiäres Umfeld. Das Servicebureau veranstaltet deshalb für Eltern Informationsabende zum Thema Medienkompetenz. Auch Britta Düsterhoff von der Bildungsbehörde hält es für wichtig, dass Eltern sensibilisiert sind. "Eltern nehmen eine Vorbildfunktion ein. Es macht darüber hinaus Sinn, sich regelmäßig zu hinterfragen, welche Kommentare man eigentlich zum Aussehen seiner Kinder abgibt und was für einen Effekt diese Worte haben können."

Schönheitseingriffe boomen. Viele Menschen sind bereit, sich unters Messer zu legen oder versuchen ihren Alterungsprozess mit Botox und Co. zu verlangsamen. Warum entscheidet man sich für eine solche Behandlung? Was sollte man im Vorfeld beachten und wie sehr fühlen sich junge Menschen von Schönheitsidealen unter Druck gesetzt? Diesen und weiteren Fragen gehen wir in unserer Serie „Schön gemacht“ nach.

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Im nächsten Serienteil: zu Besuch im Klinikum Bremen-Mitte. Warum zur Plastischen Chirurgie weit mehr als reine Schönheitsoperationen gehören.

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Forderung nach Kennzeichnungspflicht

Die EU-Staaten haben Ende Mai schärfere Regeln für Künstliche Intelligenz (KI) in der Europäischen Union beschlossen. Damit sollen bestimmte KI-Anwendungen ganz verboten werden, wie die Länder mitteilten. Es sei das weltweit erste Gesetz dieser Art und könne einen globalen Standard für die Regulierung von KI setzen. Ziel ist es, die Nutzung von KI in der Europäischen Union sicherer zu machen.

Das Gesetz soll ab 2026 gelten und unter anderem die einheitliche Nutzung der Technologien etwa in der Videoüberwachung, Spracherkennung oder bei der Auswertung von Finanzdaten regeln. Ein wichtiger Aspekt ist, dass die KI-Systeme von Menschen überwacht werden und nicht nur von anderen Technologien. Vorgesehen ist auch eine Kennzeichnungspflicht: So sollen Entwickler mit Künstlicher Intelligenz erzeugte Texte, Töne und Bilder markieren müssen, um Menschen nicht in die Irre zu führen. Experten halten das wegen der Fülle des Materials allerdings für schwer kontrollierbar.

Einigen gehen die Pläne zudem nicht weit genug. So kritisiert etwa die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC), dass das Gesetz keine Kennzeichnungspflicht außerhalb KI-gesteuerter Tools und Technologien enthalte, wie etwa für Filterapps und Photoshop. Die DGÄPC versucht deshalb bereits seit Längerem gemeinsam mit den anderen beiden großen Fachgesellschaften für Plastische und Ästhetische Chirurgie, der DGPRÄC und der VDÄPC, eine entsprechende Petition zu realisieren. Vor einigen Tagen wurde das Anliegen nun im Deutschen Bundestag beraten und beschlossen, die Petition den Bundesministerien für Justiz und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen. Geschützt werden sollen mit der Kennzeichnungspflicht vor allem junge, leicht zu beeinflussende Menschen, deren Selbstwertgefühl darunter leiden könnte. 

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