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100 Jahre Disney Bei Micky Maus rollt der Dollar

100 Jahre Disney, und in den Themenparks wird es immer anstrengender. In Orlando/Florida ist vor dem Spaß das lange Warten angesagt. Und unter 150 Dollar Eintritt am Tag geht gar nichts.
17.07.2023, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Für "Peter Pans Flug" steht man sich erst mal die Beine in den Bauch. Gemächlich windet sich die Schlange ins Haus. Im Gang, der mehrfach um Ecken führt, hängen Szenenbilder aus dem legendären Zeichentrickfilm von 1953. Es folgen Porträts der Familie Darling: Vater, Mutter, die drei Kinder, der Hund. Das Schlafzimmer der Kinder, in dem der Schatten von Peter Pan am Fenster tanzt und die Sternenfee in der Nachttischschublade leuchtet. Noch ein paar Kurven weiter sitzt man endlich in einer Gondel mit Segel und kreist über dem nächtlichen London.

Noch nie waren sich Big Ben und Tower Bridge so nah. Rasend schnell saust man weiter über das Nimmerland, die Meermädchen, das Piratenschiff, die verwunschenen Kinder, die Indianer, Käpt'n Hook und das tickende Krokodil. Im Halbdunkel wird fast jedes Handyfoto unscharf. Noch ein Schlussgag, schon sind zwei Minuten Spaß vorbei. Hat es sich gelohnt, dafür mehr als eine Stunde anzustehen?

Ja, finden die Besucher seit gut 50 Jahren. 21 Millionen waren es 2019, im Coronajahr 2021 immerhin noch 12,7 Millionen. Damit ist Walt Disneys Magic Kingdom in Orlando/Florida, 1971 als Kopie des kalifornischen Disneylands eröffnet, der meistbesuchte Vergnügungspark der Welt. Drei weitere Disney-Parks im Bespaßungs-Ballungsraum der USA zählen ebenfalls zu den Top Ten. Der Tierpark Animal Kingdom lockte 2019 knapp 14 (2021: 7,1) Millionen, die wissenschaftliche Themenwelt Epcot 12,5 (2021: 7,8) und die filmgeschichtlichen Hollywood Studios 11,5 (2021: 8,6) Millionen Besucher. Dabei schläft die nahe Konkurrenz der Universal Studios und Islands of Adventure mit je 11 (2021: je 9) Millionen Gästen jährlich auch nicht.

Walt Disneys Kunst, Geschichten originell zu inszenieren, steht außer Zweifel. Die Disney Company hat die sinnliche Überwältigung bis zur Perfektion getrieben. Ihr großes Plus: Sie kann ihr Angebot an eine kaum überschaubare Zahl bekannter Figuren von Donald Duck bis Arielle, von Dumbo bis Coco anbinden. Wer das zum ersten Mal erlebt, ist unweigerlich bezaubert. Von der Ideenfülle der Fahrgeschäfte wie von den eigenen Erinnerungen. Wenn man mit der Achterbahn durch die Diamantenmine von Schneewittchens Zwergen braust, mit Ratte Rémy unter dem spürbar heißen Herd der Pariser Sterneküche herumjagt oder sich bei "Alice im Wunderland" im Teetassen-Karussell am Handrad selber schwindelig dreht, werden auch Erwachsene wieder zu Kindern. Jeder hat sofort Filmszenen im Hinterkopf, nostalgische Gefühle sind schnell geweckt.

Besucht man den riesigen Abenteuer-Spielplatz zum wiederholten Mal, merkt man indes auch, wie stark auf Mickys Achterbahnen der Dollar rollt – seit der Disneyland-Gründung 1955 gibt es mittlerweile 14 Themenparks weltweit. In Florida ist ein Tagesbesuch unter 150 "Greenbacks" (137 Euro) pro Person ist ein Tagesbesuch nicht zu machen, Kinder ab zehn Jahren zahlen den vollen Preis, für kleinere gibt es einen Nachlass von wenigen Dollar. Mehrtagestickets bringen kaum eine Ersparnis. Wer mehrere Parks sehen will (Wechsel erst ab 14 Uhr möglich), zahlt um die 80 Dollar drauf. Dazu täglich 25 Dollar Parkgebühr und die Kosten für die Verpflegung – eine vierköpfige Familie kann hier in kurzer Zeit ihr ganzes Urlaubsbudget auf den Kopf hauen. Im Gegensatz zur Konkurrenz gibt Disney auch keine Rabattcoupons aus.

Wie sehr der Kommerz bis in die letzte Ritze dringt, zeigt ein Detail. Jahrzehntelang konnte man an vielen Attraktionen kostenlos ein Ticket erhalten, das ein Zeitfenster angab. Kehrte man in der angegebenen Zeit zurück, kam man ohne große Warterei an die Reihe. Seit 2021 muss man nun für einen Schnellpass per App bis zu 17 Dollar extra zahlen – und die besonders gefragten Angebote sind nicht enthalten. So heißt die Hauptbeschäftigung eben doch sehr oft: Warten. Zwei Stunden bei Schneewittchen, zweieinhalb bei "Ratatouille".

Wie gut, denkt man da, dass es für die jüngsten Attraktionen wie "Tron", eine wilde Achterbahn im Motorradsitz, virtuelle Warteschlangen gibt, für die man sich um 7 und 13 Uhr per Handy anmelden kann. Doch zu früh gefreut: Für einen Treffer braucht es viel Glück, nach einer Minute schon sind alle Plätze vergeben. So hat man zur Mittagszeit gerade zwei, drei Fahrgeschäfte besucht und wundert sich nicht mehr über die vielen Rollstühle – auch manch junger Besucher mietet sich erschöpft solch ein Gefährt.

Disneys Traumwelten können zur Strapaze werden. Natürlich gibt es hinreißende Glanzstücke. In den Hollywood-Studios, abends heimelig beleuchtet, bieten die Fahrt in einem durchgedrehten Hotelfahrstuhl, der über acht Stockwerke abstürzt, und der "Star Wars"-Flug durchs Weltall echte Nervenkitzel. Goofys Eisenbahn, die die Leinwand durchbricht, und Zeichentrickwelten lebendig macht, ist ebenfalls ein Knüller. Die perfekte Interaktion mit dem Publikum im Theaterstück zur "Monster AG" verblüfft. In Epcot lässt einen die Mars-Mission in einer Zentrifuge immer noch schwindliger zurück als die Space-Shuttle-Fahrt in Cape Canaveral (dafür ist dort die originale Raumfähre "Atlantis" der gigantische Blickfang).

Doch andernorts spürt man Ermüdungserscheinungen. Die Fahrt per Muschel durch Arielles Meereswelt kopiert das Peter-Pan-Konzept, die große Abendshow in Epcot bietet zwar Wahnsinns-Schaueffekte mit Wasserspielen, wenn Aladdin über die Felsen turnt und Micky gegen einen Drachen und Schneewittchens Stiefmutter kämpft, aber eine echte Geschichte kommt nicht zustande. Es werden bloß Häppchen aus einem Dutzend Filme aneinandergereiht. Symptomatisch scheint auch, dass die Wissenschaftswelt Epcot aktuell zum reinen Unterhaltungspark umgebaut wird. Die zehn Länder, die sich dort um einen See herum in Miniaturstädten vorstellen, waren schon immer reine Klischeebilder: Mexiko besteht aus Totenkult und Sombrero, Deutschland aus Oktoberfest und Lederhose. Made in China. Jetzt kommen wohl noch ein paar Achterbahnen obendrauf.

Wie sehr Disney von der Fassade lebt, zeigt ein Ausflug in die nähere Umgebung der Parks, etwa nach Celebration, einer 1994 erbauten Planstadt mit aktuell 11.000 Einwohnern, davon 90 Prozent Weiße. In dieser  "perfekten Kleinstadt", einem Nostalgie-Idyll, regelt ein 70-Seiten-"Musterbuch" das öffentliche Leben – bis hin zu Gartenpflege und Fahnenhissen. Noch steriler wirkt die als Ausgleichsfläche angelegte Wald- und Heidelandschaft Disney Wilderness Preserve. Eine Wanderung in den Monokulturen dort ist an Langeweile kaum zu überbieten.    

Zurück in die Disneyworld: Fußmüde kommt man dort zu dem Schluss, dass die alte Kunst des Märchenerzählens eben doch am besten in den 3-D-Kinos funktioniert. Etwa in einer Kurzfilmschau, in der Pixars Geschichte eines kleinen Strandläufers den Vogel abschießt. Oder bei Mickys Orchesterkonzert, bei dem man – die Amerikaner lieben das – angepustet und nassgespritzt wird. Hingegen führt der Graben unter Cinderellas Kunststoffschloss kein Wasser, dafür bröckelt sichtlich der Beton. Hoffentlich kein böses Omen nach 100 Jahren Disney.

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