Frau Eick, Sie haben im Deutschen Auswandererhaus die kulinarische Veranstaltungsreihe „Speisen auf Reisen“ eingeführt. Seit wann gibt es diese?
Simone Eick: Mit einer kleinen Unterbrechung mittlerweile seit 2014. Wir hatten die Idee, dass Einwanderer ja immer auch ihre Kultur – und dazu gehört das Essen – in ihre neue Heimat mitbringen. Also haben wir uns verschiedene Speisen und Zutaten angeschaut, die nach Deutschland gekommen sind oder die Deutsche mit in die Neue Welt gebracht, beziehungsweise dort erst bekannt gemacht haben, wie das Bier zum Beispiel.
Bier ist ein gutes Stichwort. Es ist neben Dirndl und Sauerkraut wohl das erste, was im Ausland genannt wird, wenn es um das Thema „typisch deutsch“ geht. Warum gerade Bier?Weil die Braukunst etwas war, was sich in allen deutschen Ländern schon lange vor 1871, bevor es das Kaiserreich gab, durchgesetzt hat. In vielen Orten gab es einen Braumeister, gab es ein Brauhaus. Dieses Wissen und diese Tradition haben die Deutschen unter anderem nach Amerika, aber auch nach Australien gebracht.
Ein Mann, der bei deutscher Braukunst im Ausland eine wichtige Pionierrolle gespielt hat, ist Adolphus Busch. Wer war das, und was hat ihn 1857 nach Amerika verschlagen?Busch war schon im Alter von 18 Jahren in Köln ein sehr etablierter Kaufmann und gehörte zu den jungen Männern, die mit dem Gefühl, dass sie drüben mehr schaffen können als hier, in die USA gegangen sind. Dazu gehörten eine gewisse Abenteuerlust und die Lust, etwas auszuprobieren. Und Ausprobieren ging in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts nicht so gut. Es gab unglaublich viele Regularien, es gab feudalistische Strukturen. Da lockte das freie Land Amerika. Busch ist mit 18 Jahren über Bremerhaven ausgewandert und nach New Orleans gesegelt. Von da ist er mit einem Schnelldampfer den Mississippi bis nach Missouri hochgefahren und hat sich in St. Louis niedergelassen.

Simone Eick, Direktorin Deutsches Auswandererhaus
Er war nicht unvermögend. Von einem Erbe kaufte er sich seine erste Firma in St. Louis, in der er Teile verkaufte, die man in einem Brauhaus für die Bierherstellung brauchte. Durch seine Firma lernte er Lilly Anheuser kennen, die Tochter von Eberhard Anheuser, der eine Brauerei in St. Louis gekauft hatte. Adolphus Busch hat Lilly Anheuser 1861 geheiratet und ist 1864 richtig in die Firma seines Schwiegervaters eingestiegen. Aus dieser Brauerei ging dann die Brauerei-Dynastie Anheuser-Busch hervor. Sie brauten ihr berühmtes Bier mit dem Namen Budweiser.
Und wie hat Busch es geschafft, dass Budweiser Amerikas größte Biermarke wurde?Er hatte immer ein offenes Ohr für die neuesten technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften. Bis in die 1870er-Jahre musste Bier relativ schnell getrunken werden, weil es sonst schlecht wurde. Busch wandte als erster das Verfahren der Pasteurisierung auf Bier an, damit es länger haltbar war. Außerdem hat Busch auf Kühlhäuser gesetzt, eine Erfindung aus den 1860er-Jahren. Er nutzte die Eisenbahn und Kühlräume, damit sich das Bier in ganz Amerika und später auch weltweit verbreiten konnte.
Es gibt im Bereich Bier aber auch Verbindungen zwischen Bremen und den USA, richtig?Genau. Der Bremer Baumeister Lüder Rutenberg wandelte 1853 das ehemalige Bremer St. Pauli Kloster in eine Bierbrauerei um. Er bekam Unterstützung von dem Brauer Helmut Beck – dem Gründer von Becks. Sie verkauften ihr St. Pauli- Bier an den Norddeutschen Lloyd, der mit seinen Hunderten von Schiffen auf dem Atlantik hin und her gefahren ist. Dadurch wurde das Bier auch in Amerika bekannt und ist es bis heute.
Und hier gibt es das Bier gar nicht mehr?Nein, hier gibt es das Bier nicht mehr. Interessant ist auch, dass das Etikett sich später geändert hat. Auf dem Original-Flaschenetikett war eine Frau mit einem Flatterkleid abgebildet. Seit den 1970er-Jahren hat sie ein Dirndl an.
Gibt es noch andere Beispiele von Dingen, von denen im Ausland angenommen wird, dass sie typisch deutsch sind, obwohl das nicht stimmt?Haben sie in Amerika schon einmal eine Bratwurst gegessen? Das ist schon ziemlich weit weg von dem, was wir kennen. Meistens sind es grobe Würste, manchmal ist Brot mit drin und sie sind völlig anders gewürzt. In Texas gibt es das Wurstfest, ein riesiges Volksfest, das einmal im Jahr gefeiert wird. Da werden die Würste wie Stockbrot auf Holzspieße gesteckt, alle laufen im Dirndl rum, und das wird als deutsch verkauft. Wir haben mal eine Fotoausstellung über das Fest gemacht.
Und andersherum? Gibt es Dinge, die für uns selbstverständlich traditionell deutsch sind, aber eigentlich ganz woanders herkommen?Dazu fällt mir spontan nichts ein, aber es gibt Sachen, die Einwanderer hier in Deutschland erfunden haben, zum Beispiel das Spaghetti-Eis. Einen richtigen italienischen Eismacher schüttelt es bei der Vorstellung, Eis durch eine Nudelpresse zu drücken. Wir kennen eine italienische Eismacherfamilie, die Familie Olivier, die jetzt eine Eisdiele in Wolfsburg hat und in den 1890ern nach Deutschland kam, um ihr Eis zu verkaufen. Nino Olivier erzählte, dass sie anfangs in ihrer Eisdiele noch blickdichte Vorhänge haben mussten, weil es als unschicklich galt, in einer italienischen Eisdiele gesehen zu werden. Das war ein Zeichen von Faulheit. Auch hier gibt es wieder einen Brückenschlag zum Bier. Denn die deutschen Biergärten, die die Auswanderer natürlich auch mit nach Amerika gebracht haben, waren bei den Puritanern völlig verpönt und haben in Chicago Anfang der 1850er-Jahre sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt.
Welche Deutschen Spezialitäten sind noch ins Ausland ausgewandert?Zum Beispiel der Wein. In Australien gibt es zum Beispiel viele deutschstämmige Weinbauern, die auf ihre Herkunft sehr stolz sind. In Brasilien gibt es in einigen Kolonien deutsche Architektur. Zum Beispiel hat Erich Koch-Weser, gebürtiger Bremerhavener und einst Oberbürgermeister von Delmenhorst, mit seiner Familie 1933 Deutschland verlassen und ist nach Brasilien gegangen, wo er die Kolonie Rolandia gegründet hat. Es gibt Siedlungen in Brasilien, in denen alte deutsche Fachwerkhäuser nachgebaut worden sind. Und: Ende der 1890er-Jahre hat man in New York auch noch zu deutscher Blasmusik getanzt. Das kann man sich heute auch nicht mehr vorstellen.
Das Gespräch führte Alexandra Knief.Simone Eick
ist Historikerin und Migrationsforscherin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Deutsche Amerikaauswanderung. Seit 2006 ist sie Direktorin des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven.
Weitere Informationen
Zum Tag des Bieres am 2. August findet im Deutschen Auswandererhaus (Columbusstraße 65, Bremerhaven) unter dem Motto „Speisen auf Reisen“ um 18 Uhr eine thematische Führung mit anschließender Bierverkostung statt, bei der die Bremer Bier-Sommelierin Vera Becker verschiedene Biersorten vorstellt. Preis: 23 Euro. Mindestalter 18 Jahre, Anmeldung erforderlich, Tel.: 0471 / 90 22 0 0 oder an der Kasse.