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Pleiten, Pech und Pracht Die Elbphilharmonie ist endlich fertig

Zehn Jahre Pleiten, Pech und Pannen. Nun steht sie da. 110 Meter hoch, auf 1745 Pfeilern, drei Konzertsäle, die auf 428 Stahlfedern ruhen: Hamburgs prächtige Elbphilharmonie.
23.12.2016, 09:24 Uhr
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Von Bernhard Honningfort

Zehn Jahre Pleiten, Pech und Pannen. Nun steht sie da. 110 Meter hoch, auf 1745 Pfeilern, drei Konzertsäle, die auf 428 Stahlfedern ruhen: Hamburgs prächtige Elbphilharmonie.

Sie war immer dagegen, sie ist es heute noch, aber nun reicht es auch. Jahrelang hat Christine Ebeling gegen die Elbphilharmonie protestiert und demonstriert und geschimpft und mit vielem, was sie auszusetzen hatte, auch Recht gehabt. Nun ist das Jahrhundertbauwerk fertig, es thront über dem Hafen, es funkelt in der Abendsonne und „der ganze Wahnsinn“, wie sie sagt, ist endlich vorbei.

„Ein irrsinniges und großmannssüchtiges Projekt“, findet die 50-jährige Künstlerin. Aber ihr Zorn ist mit der Zeit verflogen. Sie sitzt in ihrem von Handwerkern und Möbelpackern verwüsteten Büro am Valentinskamp. „Ich bin froh, dass das Drama endlich ein Ende hat.“

Er war immer dafür, er ist es heute noch, er ist stolz und freut sich wie ein kleiner Junge, wenn er das erste Mal im großen Konzertsaal sitzt. Am 18. Januar wird es sein, 20 Uhr: Klavierabend mit Mitsuko Uchida, Stücke von Mozart und Schumann. „ Es ist jetzt schon das neue Wahrzeichen Hamburgs“, schwärmt Achim Seeland. Dreimal hat er sich die Baustelle angesehen. Er hat mitgezittert und mitgelitten in den Jahren, als alles schiefgehen wollte.

Projekt galt als Spinnerei außer Kontrolle

Seeland, 66, Maschinenbauingenieur, ist Hamburger, wohnt in seinem Elternhaus im nördlichen Stadtteil Alsterdorf. Er sitzt im Bistro „Carls“ und freut sich auf sein erstes Konzert, auf den Abend, auf das 320 Euro teure Hotelzimmer im „Westin“ in der Elbphilharmonie, das er für sich und seine Frau gebucht hat. „Wenn schon, denn schon.“

Das Bauwerk ist für ihn auch Familiengeschichte. „Wer hätte das alles gedacht“, sagt Seeland und blickt nach draußen auf die mächtigen Ziegelwände das alten Kaispeichers, den die Maurer der Baufirma seines Vaters Rudolf zwischen 1962 und 1966 hochzogen. Der Speicher für Kakao und Kaffee ist heute der Unterbau aus Ziegelstein, auf dem gerade das Konzerthaus zu leben und atmen beginnt, das die Welt neidisch machen soll. „Die neue Philharmonie ist ein sehr, sehr wichtiges Gebäude für Hamburg“, sagt Seeland. „Da gibt es nichts, da bin ich hanseatischer Patriot.“

Ja, wer hätte das alles gedacht? Zwischen den Jahren 2003 und 2012 vermutlich niemand in Hamburg. In jener Zeit war das Projekt entweder ein teures Ärgernis oder eine Spinnerei außer Kontrolle. Die Geschichte des Konzerthausbaus ist eine Achterbahnfahrt, bei der den beteiligten Verantwortlichen mehrmals hundeelend geworden sein dürfte.

Prominenter Platz direkt an der Elbe

Am Anfang standen zwei Dinge: die geplatzte Dotcom-Blase und der Einfall des Hamburger Architekten Alexander Gérard. Der rapide Niedergang der New Economy im Frühjahr 2000 machte hochfliegenden Plänen für noch ein Media-Bürogebäude in der Hafencity den Garaus. Der Boom war dahin, die Kohle verbrannt. Was tun mit dem prominenten Platz mehr in als an der Elbe?

Gérard hatte die rettende Idee: Kultur – aber Hamburg wollte nicht. Gérard weihte seine alten Studienfreunde Jacques Herzog und Pierre de Meuron ein. Die beiden Schweizer Stararchitekten fanden Gefallen, es gab erste Entwürfe: die „Gläserne Welle“. Im Juni 2003 zeigten die drei den Hamburgern, was sie ausgetüftelt hatten – und plötzlich war die Stadt begeistert. Von da an ging es los, die wilde Achterbahnfahrt begann.

Man machte Pläne, man machte sich vor allem keine Sorgen. Man dachte an alles, nur nicht an Geld. Anfangs sollte das ­Gebäude die Stadt Hamburg nichts kosten. Ein Investor sollte ein schickes Hotel bauen. Aus den Erlösen sollte sich dann der kulturvolle Rest finanzieren. Aber der Plan verpuffte ­sofort. Dann kettete sich Hamburg mit den ­beiden Stararchitekten und dem Essener Baukonzern Hochtief in einem unübersichtlichen Vertragswerk zusammen, das fortan nur noch Rechtsanwälte glücklich machte.

Hamburg verlor vollkommen den Überblick

Alle Baubeteiligten verkrachten sich und redeten nicht mehr miteinander, Hamburg verlor vollkommen den Überblick. Die Kosten sausten in den Himmel wie Möwen im Wintersturm, Hochtief legte zeitweise die Baustelle still. Gérards Traum wurde zum Albtraum des damaligen CDU-Bürgermeisters Ole von Beust. „Oles Millionengrab“, spotteten die Hamburger zu jener Zeit, als mehr Juristen als Betonbauer an dem Projekt arbeiteten. Die Kosten verzehnfachten sich schließlich auf 789 Millionen Euro, die Eröffnung, für 2010 geplant, rückte immer weiter in die Ferne.

Ende 2011 kam es zum ganz großen Krach. Hochtief weigerte sich, das Dach des­ Großen Konzertsaals abzusenken und stellte die Arbeiten komplett ein. Hamburg hatte im Februar zuvor gewählt, der neue Erste Bürgermeister hieß nun Olaf Scholz und war aus anderem Holz geschnitzt als von Beust. Scholz drohte dem bockigen Konzern, Hamburg werde das Konzerthaus notfalls alleine zu Ende bauen und Hochtief lenkte tatsächlich ein, denn der Streit hatte mittlerweile „aktienrelevante“ Ausmaße für den Konzern angenommen.

Scholz und der neue Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes sortierten bei mehreren Mittagessen das vermaledeite Projekt neu: Alte Verträge wurden aufgelöst, Hamburg mischte sich nicht mehr ein, Hochtief bekam 200 Millionen Euro Nachschlag und versprach, das Haus auf eigenes Risiko zu Ende zu bauen, maximale Kosten: 789 Millionen Euro.

Hamburger sind stolz auf ihr Bauwerk

Plötzlich ging, was jahrelang klemmte. Ab 2013 bauten die einen und die anderen störten sie nicht mehr dabei. Die Anwälte hatten nichts mehr zu tun. Friede, Freude, Olaf Scholz. Die Stimmung drehte sich: Aus Missmut und Verärgerung wurden Neugierde und gute Laune. Und je mehr die Hamburger über den funkelnden Wunderbau erfuhren, verwandelten sich Neugierde und Vorfreude schließlich in Stolz. Zehn Jahre Pleiten, Pech und Pannen: Plötzlich war alles weggewischt von der Pracht, die zum Vorschein kam, von dem Gefühl, etwas Besonderes für die Stadt bekommen zu haben, etwas Schickes und Einmaliges.

Nun steht es da. 110 Meter hoch, auf 1745 in den Elbgrund gerammten Pfeilern, drei Konzertsäle, die auf 428 Stahlfedern ruhen, vom Restgebäude entkoppelt, um ungestört zu sein. Ein Hotel mit 244 Zimmern, im alten Speicher unten 520 Parkplätze, 45 superteure Wohnungen, die Hälfte verkauft, eine „Plaza“ rund um das Gebäude in 37 Metern Höhe mit fantastischem Blick über den Hafen, am 6. November eröffnet und für jedermann zugänglich.

Alt und neu: unten der Speicher, darauf der Stahlglaskandis: 2200 Scheiben, davon 595 gebogen, die meisten mit eingearbeiteter bedruckter Folie, um Licht abzuhalten, weil sich das Gebäude sonst zu sehr aufheizen würde. Nun blitzt und funkelt es aus jedem Winkel im Sonnenlicht. Eine 82 Meter lange Rolltreppe führt in viereinhalb Minuten mitten ins Haus.

Offizielle Eröffnung ist am 11. Januar

Noch ist nicht alles fertig. Die offizielle Eröffnung ist ja auch erst am 11. Januar 2017 mit großem Zeremoniell. Danach drei Wochen Feiern: die Wiener Philharmoniker, das Chicago Symphony Orchestra, die „Einstürzenden Neubauten“. Alle Konzerte angeblich ausverkauft. 200 000 Menschen haben sich um die 1000 Freikarten für die beiden Eröffnungskonzerte beworben. Angeblich sogar Leute aus der Antarktis.

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Im kleinen Konzertsaal sind mehrere Tischler gerade damit beschäftigt, die ­gefrästen und gewölbten Bretter einer Wand jeweils um eine Winzigkeit zu drehen. Tom R. Schulz, Sprecher der Elbphilharmonie ­Betriebsgesellschaft, erzählt während einer Führung, dass Meister Yasuhisa Toyota, der große Akustiker aus dem fernen Japan, im Oktober den Raum inspizierte, ein paar Messungen machte, nachdenklich mit dem Kopf wackelte und dann befand, die aus dem Loiretal stammenden Eichenhölzer müssten ein Ideechen, nämlich um zehn Grad, verdreht werden.

Im Großen Saal, 2100 Sitzplätze, war er schon. Es ist ein Weinbergsaal, wie die Musikfreunde sagen: Die Bühne in der Mitte, die Publikumsränge terrassenförmig drum herum. Kein Platz weiter als 30 Meter vom Dirigentenpult entfernt. Die Wände heißen „weiße Haut“: etwa 10 000 nach Meister Toyotas Vorstellungen dreidimensional gefräste Gipsfaserplatten, jede ein Unikat und 30 bis 125 Kilo schwer. Als er diesen Raum inspizierte, ließ er die als Dämmung gedachten vier Kilometer Fäden zwischen den Platten wieder entfernen und durch Silikon ersetzen. Auch die Rückenlehnen der 2100 grauen dicken Polsterstühle gefielen ihm nicht und wurden ausgetauscht.

Familien dürfen in den Studios musizieren

Zwei Geigerinnen des NDR Elbphilharmonie Orchesters, das hier zukünftig spielen wird, stimmen gerade ihre Instrumente ein. Der Klang ist überall, er ist klar, gerade, rein, fast trocken, kein Hall, kein Nichts. „Man hört sehr, sehr gut“, sagt Schulz. Dann geht es weiter über Eichenparkett, vorbei an schiefen Säulen, die genau so schief sein müssen, um das hohe Gewicht des Daches abzuleiten, unter unzähligen Röhrenleuchten hinweg, die alle gemein haben, dass sie, wo auch immer im Gebäude, auf das Dirigentenpult ausgerichtet sind.

Unten ist alles gepflastert, mit Tausenden roten Steinen, die aussehen wie die Ziegel des alten Speichers darunter. Sie alle haben kleine Brandschäden wie die Originale, die vor fast 60 Jahren fabriziert wurden. Wie so vieles, war es auch hier nicht einfach, den Willen der Stararchitekten zu erfüllen: Es musste eine Ziegelei gefunden werden, die keine makellosen, sondern Ziegel mit kleinen dunklen Macken brennen kann. Als sie dann geliefert wurden, erklärten Herzog und Pierre de Meuron den Pflasterern haarklein, wie sie sie verlegen sollten.

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Es musste perfekter als perfekt sein. „Geld und Zeit waren ein Problem“, sagt Schulz. „Die Qualität durfte es nie werden. Klingt zu schön, um wahr zu sein“, wirbt das Haus nun für sich. Die Werbeleute dichten wie in Sektlaune: „Hering meets Hochkultur“. Damit das Ganze nicht zu elitär daher kommt, können die Hamburger mitmachen, wenn sie wollen. Familien dürfen in den Studios im „Elphi“ musizieren, es gibt Mitmach- und Publikumsorchester, es gibt Jedermann-Musizieren, die Lange Nacht des Singens.

Kinder sollen erleben, wie Musik entsteht

Und wer sich traut, tritt dann irgendwann in Meister Toyotas Großem oder Kleinem Saal vor Publikum auf. Bürgermeister Scholz, der 2011 den Vertragsknoten zerschlug und noch einmal 200 Millionen Euro nachschoss, um das Chaos zum Guten zu wenden, hat kürzlich verkündet, jeder kleine Hamburger, jede kleine Hamburgerin solle einmal während der Schulzeit in die Elbphilharmonie kommen und erleben, wie Musik entsteht.

„Ja, der sammelt jetzt die Rosinen ein“, sagt Christine Ebeling, die Künstlerin, die immer dagegen war, weil sie meint, Hamburg hätte die fast 800 Millionen Euro auch gut für etwas anderes ausgeben können. „72 000 Euro für ein einziges gebogenes Glasfenster“, sagt sie. „Ist doch nicht zu glauben.“ Aber hingehen will sie demnächst auch.

Achim Seeland aus Hamburg-Alsterdorf, Sohn des Kaispeicher-Bauunternehmers, der immer dafür war, grübelt gerade, wie er an mehr Konzertkarten kommen kann. Alles ist ausgebucht auf Monate. Vielleicht gibt es demnächst ja irgendwo im Umland, in Schleswig-Holstein, noch die begehrten Eintrittskarten. Seinen liebsten Traum habe er aber begraben, so tief wie die Rammpfähle der Elbphilharmonie im Elbeboden, erzählt er. Achim Seeland träumte von einer der 45 Wohnungen mit dem fantastischen Blick über Hamburg. „Dann schossen die Preise aber in die Millionen, und ich war schnell weg vom Fenster“, sagt Achim Seeland und lacht. Nicht schlimm, seine Frau hätte eh nicht mitgemacht: Es gäbe dort nämlich keinen Garten.

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