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Dresdens Muntermacher

Es ist nur eine kurze Szene im Film. Die Musiker sind im Bus unterwegs durch Sachsen.
06.01.2018, 00:00 Uhr
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Dresdens Muntermacher
Von Bernhard Honnigfort

Es ist nur eine kurze Szene im Film. Die Musiker sind im Bus unterwegs durch Sachsen. Während der Fahrt eine wilde Diskussion über den Nahen Osten, Religion und Gewalt. Thabet Azzawi erzählt die kleine Geschichte seiner Gewissensentscheidung. Sie spielt 2012 in einem provisorischen Krankenhaus in Deir ez-Zor, seiner Heimatstadt im Osten Syriens. Es ist Krieg, es herrscht Morden, die Fronten gehen hin und her, es ist unübersichtlich und gefährlich. Thabet Azzawi ist Medizinstudent, er ist 22, hilft seinem Vater und seinem Bruder beim Operieren. Auf seinem Behandlungstisch liegt ein bärtiger Kämpfer mit einem Granatsplitter in der Schulter. Ein Pfleger spricht Azzawi vorsichtig an. „Du weißt wohl nicht, wer das ist?“

Azzawi weiß es nicht. Der Verletzte, flüstert ihm der Pfleger zu, sei der Al-Kaida-Kommandant, der in der Woche zuvor ein Auto mit einem Selbstmordbomber vor eine Bäckerei geschickt hatte, um dort Soldaten zu töten, die für Brot anstanden. Am Ende starben bei der Explosion fast 300 Menschen. „Was sollte ich tun?“, fragt Azzawi im Film. „Ihn töten? Ich bin Arzt, ich habe einen Eid geleistet.“ Ein iranischer Musiker, der eine Reihe vor ihm sitzt, fällt ihm erregt ins Wort: „Mein Freund, das war die absolut falsche Entscheidung.“

Thabet Azzawi ist heute 27, er lebt in Dresden, macht seinen Doktor in Medizin, arbeitet rund um die Uhr als Musiker und Student. Er schläft wenig, er spricht längst perfekt Deutsch, er träumt auf Deutsch, er spielt die Oud, seine Laute, in der munteren Dresdner Vielvölkerkapelle Banda Internationale, von der der beeindruckende anderthalbstündige Film der Dresdner Hechtfilm-Macher handelt, Titel: „Wann wird es endlich wieder Sommer?“ Seit 2015 ist Azzawi in Dresden, geflohen über die Türkei. Sein Name stand irgendwann auf einer schwarzen Liste. Seine Mutter fürchtete, er werde umgebracht.

Dresden ist eine zerrissene Stadt. Es hat Pegida, das Wutmenschenbündnis, das sich seit 2014 montags in der Altstadt versammelt, angeführt von Lutz Bachmann, einem mehrfach vorbestraften Mann, der mittlerweile in Teneriffa lebt und das wehleidige Treiben steuert. Heute ist Pegida auf 1500 Teilnehmer geschrumpft, aber als es begann, kamen 10 000 Menschen und manchmal auch sehr viel mehr. Eine kleine Band war montags auch immer dabei, genauer: dagegen, auf dem Theaterplatz, vor der Frauenkirche, eine Band, mal zehn, mal zwanzig Musiker, die bei Wind und Wetter mit ihrem Blech-, Balkan- und Weltsound kräftig dagegen an tröteten. Die dahin swingenden Musiker waren das Gegenprogramm zum bebenden ostsächsischen „Wir sind das Volk“-Zorn. Musiker aus Dresden, Musiker aus Flüchtlingsheimen, die zusammen spielten und zeigten: kein Untergang des Abendlandes. Man kann miteinander auskommen, man kann sogar etwas hinbekommen. Banda Internationale, hervorgegangen aus der 2001 gegründeten Banda Communale, einer kleinen Kapelle, die gegen die regelmäßigen Neonaziaufmärsche am 13. Februar, dem Dresdner Bombardierungstag, anspielte. Für viele Dresdner beruhigt die fleißige Vielvölkerband gerne auch nebenbei ein bisschen das eigene Gewissen: Immer aktiv, immer vor ein paar Hundert Gegendemonstranten für Stimmung und Haltung sorgend, während Pegida stets ein zehnfaches Publikum mobilisierte. Gott sei Dank gab es in Dresden Banda Internationale und damit ein bisschen vorzeigbaren Protest.

Eine Ausnahme-Kapelle, wie es sie kein zweites Mal gibt im nervös-gereizten Deutschland, das fiel auch sofort der Politik auf, die Hände ringend nach etwas Positivem aus Sachsen suchte, etwas Vorzeigbarem und Anständigem, das man irgendwie dem Pegida-Geschrei, den Anschlägen in Bautzen oder Freital, Krawallen wie in Heidenau, Dresden oder Clausnitz entgegenhalten konnte. Es regnete Anerkennung und Auszeichnungen: 2015 den Sächsischen Förderpreis für Demokratie, im Jahr darauf den Sonderpreis „Kultur eröffnet Welten“ von Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur, 2017 den Weltmusikpreis Ruth des Rudolstadt-Festivals. Es gab Fördergeld und Auftritte im Dresdner Regierungsviertel, in Oberammergau, in Polen, in Berlin, im Zeithainer Gefängnis, wo Straftäter einsitzen, die vor dem Heidenauer Flüchtlingsheim randalierten und die Polizei angriffen. „Wir müssen einfach etwas tun“, sagt Thabet Azzawi. „Dresden ist meine neue Heimat.“

Julian Loehr erzählt. 47 Jahre alt, Alt-Saxophon, Instrumentenbauer, aus Leverkusen nach Dresden gezogen, wo er sein Geschäft hat, die Triole. 2001 hat er mit dem Tuba-Spieler und Bayern Alfred Haberkorn Banda Communale gegründet. Nur gegen Pegida? „Das hat es auf Dauer nicht gebracht, dieses ewige Hochschaukeln und sich Abarbeiten an denen. Man muss für etwas sein, das ist ein viel besseres Ventil“, findet er. „Die Flüchtlinge sind da, das Anzünden von Heimen ist keine Lösung.“ Also Integration, was Konkretes und Konstruktives. Also spielten sie irgendwann in Flüchtlingsheimen, in Freital, dann mit Musikern unter den Flüchtlingen. Einige spielen mit Jugendlichen, bringen ihnen Instrumente bei, wer Zeit hat, tritt in Schulen auf, macht Musik, erzählt die Banda-Geschichte. „Empörungskultur allein hilft niemandem“, meint Loehr. Das Interesse an Banda wächst und wächst. Vor Anfragen und Einladungen aus Schulen können sich die Musiker gerade nicht retten.

Bad Lausick, eine hübsche Kleinstadt bei Grimma zwischen Dresden und Leipzig, ein kalter strahlender Morgen, evangelische Schule für Sozialwesen „Luise Höpfner“. Banda Internationale ist angerückt, jedenfalls die Musiker, die Zeit haben und nicht gerade im Studium stecken oder auf Arbeit sind. Thabet Azzawi muss lernen, ebenso Ezè Wendtoin, der stets gut gelaunte Girtarrist aus Burkina Faso, Germanistikstudent an der TU Dresden und Sänger des Rudi Carrell-Hits: „Wann wird‘s mal wieder richtig Sommer?“ Keine Zeit heute.

Sabine Vogt, eine Lehrerin, hat die Musiker eingeladen. Sie erzählt, es gebe so gut wie keine Flüchtlinge in der Stadt, so gut wie keine Ausländer, aber ein sachsentypisches fettes AfD-Wahlergebnis. „Ich möchte, dass alle das hier mal erleben“, sagt die Lehrerin über den Tag mit Banda. Anschauungsunterricht, wenn man so will. „Heute kriegen alle mal Dinge mit, die ich als Lehrerin gar nicht vermitteln kann.

Die Band baut auf, sie ist überpünktlich, ein großes Publikum, 200 Jugendliche – auch von der nahen Oberschule sind welche gekommen. Einige haben ihre Gitarren, Trompeten und Saxofone mitgebracht. Richard Ebert erklärt, was passieren soll. Er spielt Bariton-Saxofon und Querflöte, ist Jazz-Musiker aus Dresden, leitet dort sein eigenes Quartett. „Den Protest gegen Pegida laut und bunt machen“, das war mal das Ziel, erzählt er. Heute mache man mehr, deshalb dieser bereits zehnte Schulbesuch. Er stellt kurz vor, was gleich passieren soll: Workshop, Instrumente, Chor, Trommeln, ein bisschen Instrumentenbau. Am Nachmittag dann ein gemeinsames Konzert.

Aber vorher legt die Band los. Sie steht im hellen Foyer der Schule und spielt ihren wilden Gute-Laune-Sound. Dann erzählen sie ihre kleinen Geschichten, stellen sich vor: Akram Younus Ramadhan Al-Sira, Iraker, der Cellist. Musik studiert, in einem Orchester in Bagdad gespielt. Dann kam der Krieg, er hatte Kontakt zu Franzosen und Amerikanern, er landete auf einer schwarzen Liste, Morddrohungen, sein Auto wurde demoliert, er konnte nicht mehr gefahrlos mit seinem Cello durch die Stadt gehen. Er hat das Instrument verkauft, ist mit dem Geld geflohen, sein im Irak gebliebener Vater muss den Sohn verleugnen. Nun ein Musikstudium in Deutschland – und Banda Internationale: „Eine wunderbare Sache“, sagt er.

Sascha stellt sich vor. Aus Russland, seit 2007 in Dresden, Trompete, Musik studiert. „Dresden ist schön, ich will dortbleiben“, sagt er. Dann Qutaiba, er ist Palästinenser, kam als Flüchtling in Damaskus zur Welt. Schlagzeug, aber eigentlich kein Musiker, sondern Diplom-Informatiker. Er floh, weil er in Syrien kein Soldat werden wollte. „Der Krieg hat alles kaputtgemacht,“ erzählt er. „Und ein Grund für das alles war Rassismus.“ Er macht eine kleine Pause. „Ihr seid die Zukunft“, sagt er zu den Jugendlichen. „Ihr könnt den Unterschied machen. Es braucht nur einen, dann fängt es an.“ Felix, Posaune: „Ich bin im Moment der einzige echte Sachse hier“, sagt er. Großes Gelächter. „Ich genieße es“, sagt er über die Band, in der ein Kommen und Gehen herrscht. Arystan Petzold, Trompete, offensichtlich ein Weltenbummler: Kasachstan, Greifswald, das Vogtland, drei Jahre Italien, sechs Jahre Spanien. „Alles ist relativ“, sagt er. „Identität? Schnuppe. Was zählt, ist: Komme ich mit jemandem klar oder nicht?“

Dann üben sie mit den Jugendlichen von Bad Lausick. Chor und Instrumente, die kleinen Schüler trommeln auf orangenen Obi-Eimern, die Richard Ebert am Tag zuvor noch schnell besorgt hat, damit auch alle was zu tun haben. Am Nachmittag ein gemeinsames Konzert, das ein lauter und höllischer Spaß wird. „Coole Leute“, sagt Eric, 15. „Echt sympathisch“, findet Nelly, 16. „So etwas müsste doch Erwachsenen auch die Augen öffnen.“ Und? Lohnt es den Aufwand? Kurzes Treffen mit dem Mediziner Azzawi. Er hat gerade eine Prüfung hinter sich. Er sagt, man dürfe bei allem auch nicht übersehen, dass Flüchtlinge wie er und seine Musikerkollegen bei Banda besser ausgebildet seien als andere, besser und schneller lernen könnten, nichts mit religiösem Radikalismus am Hut hätten und deshalb auch einfacher zu integrieren seien.

Er sagt, er habe keine Angst in Dresden. Er habe auch schon mit AfD-Leuten geredet, warum denn nicht. „Dresden braucht Gespräche. Ich hasse niemanden.“ Er erzählt von einem Auftritt in einer Dresdner Schule vor einigen Monaten. Ein Junge fragt, wie Pegidaleute gerne fragen: Warum Flüchtlinge Handys haben? Woher die Jeans? Wann er Sachsen wieder verlassen wird? Es dauert, aber es wird ein Gespräch daraus. Nach einer Stunde fragt der Junge, was Bürgerkrieg bedeutet. Azzawi erzählt von seinem Leben in Syrien und im Jemen. Er erzählt vom Morden und von seiner Flucht. Eine Woche später ruft ihn die Lehrerin an und berichtet von einem kleinen Familienkrach. Der Junge habe erzählt, er habe zu Hause seinem Vater widersprochen, als der über Flüchtlinge hergezogen sei.

Es braucht nur einen. Einer macht den Unterschied. „Es nützt was“, sagt Azzawi über Banda, über Dresden, über Sachsen. „Ich lebe hier, ich arbeite hier, ich zahle Steuern, ich mache Musik. Ich will dazu beitragen, dass die Dinge besser werden.“

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