Echt ist ein Film nur, wenn ihn die machen, um die es geht. Die Filmbranche spiegelt die echte Welt nicht wider. Das hat sie noch nie, das tut sie heute noch immer nicht. Denn der Großteil der Entscheider, der kreativen Köpfe, die Geschichten erzählen, die Charaktere formen, die Blickwinkel lenken und Denkweisen transportieren, sind Männer. Damit klammert die Darstellung auf der Leinwand einen großen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit aus. Sie nimmt sich damit eine große Chance. Sie beraubt sich selbst ihrer Echtheit und großer Vielfalt.
Dass die Filmbranche der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkt, zeigt sich nicht immer auf den ersten Blick. Das Heimchen am Herd grinst schon lange nicht mehr mit Kittelschürze und Föhnfrisur von der Leinwand. Es gibt tatsächlich auch starke Frauen in einem Film. Und eine filmische Darstellung ist immer Kunst, also per se nicht echt. Also ist ja alles gut? Nein, ist es nicht.
Prozentual sind mehr männliche Rollen zu sehen, die starken Charaktere stellen in der Mehrzahl Männer dar. Die Zwischentöne, durch Kameraeinstellungen und Wortwahl in Dialogen, komponieren Männer. Auch wenn der Zuschauer das nur unterbewusst wahrnimmt, reduziert die filmische Darstellung Frauen immer noch in vielen Fällen auf ihr Aussehen oder eine untergeordnete Rolle.
Die Frauen sind jung und hübsch. Die Männer verkörpern häufiger die Strategen, die Denker und dürfen auch älter als 35 Jahre sein. Ja, es gibt Gegenbeispiele. In der Masse werden abweichende Darstellungen aber zu wenig geboten. Und das Gesehene wiederum prägt das Denken und Handeln der Zuschauer. Auch wenn männliche Regisseure noch so sehr versuchen, sich in die Gefühlswelt der Frauen zu versetzen: Das Ergebnis wird anders sein, wenn Frauen die Kamera lenken, den Ton aufnehmen und die Charaktere formen.
Männliche Filmschaffende können sich wie Naturforscher auf die Lauer legen und beobachten. Sie werden die gesellschaftliche Wirklichkeit nie in ihrem gesamten Spektrum darstellen. Eine Studie im Auftrag von ARD und ZDF aus dem vergangenen Jahr und ein Bericht des Bundesverbandes Regie führen die Ungleichheit in Zahlen auf.
Sie zeigen: Die Hälfte der Frauen, die eine Filmhochschule abschließen, arbeitet in ihrem Beruf. Nur bei jedem fünften Kino- und bei einem Viertel der Fernsehfilme führt eine Frau Regie, noch weniger sind für Kamera und Ton verantwortlich. Wohlgemerkt bei Filmen, in die öffentliche Gelder fließen. Das ist nicht nur ungerecht. Es ist ein Verlust.
Forderung muss noch weiter gehen
Wir verpassen eine große Chance, Wirklichkeit und gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Wenn mehr Frauen Filme machen, Regie führen, Rollen besetzen, dann gehen sie nicht nur effizienter und erfolgreicher mit dem Budget um, wie Medienforscherin Elizabeth Prommer von der Universität Rostock in einer Studie belegte, sie machen auch mehr Frauen auf der Leinwand sichtbar.
Das bereichert nicht nur die Frauen selbst, sondern auch die Männer vor und hinter der Kamera und vor allem alle Zuschauer. Es geht nicht nur darum, die Bedingungen für filmschaffende Frauen zu verbessern. Es geht auch darum, dass ein großer Schatz in den Tiefen der Filmbranche schlummert. Den Schatz gilt es zu heben, um den Horizont der Filmzuschauer zu erweitern.
Die Forderung muss noch weiter gehen. Die Diversität bei den kreativen Entscheidern in der Filmbranche muss sich nicht nur bezogen auf das Geschlecht erweitern, sondern auch auf Hautfarbe, Herkunft und Religion. Nur so kann die Filmbranche weiter glaubwürdig sein. Dass bei der diesjährigen Berlinale mit „Touch me not“ der Film der jungen rumänischen Filmemacherin Adina Pintilie mit dem goldenen Bären prämiert wurde, zeigt: Es geht.
Die Qualität von Filmen, bei denen Frauen Regie führen, ist unumstritten. Ein solcher Preis ist aber nur ein Anfang, das Ungleichgewicht damit noch nicht geheilt. Als Katalysator der gesellschaftlichen Realität müssen Filme authentische Charaktere schaffen. Das verdient der Kinozuschauer. Er verdient die ehrliche, echte Darstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Die rein männliche Projektion der Lebenswelt in Filmen wird nie echt sein. Genauso wie es eine rein weibliche nicht sein wird. Es braucht beides. Großartige Regisseure, tolle kreative Köpfe gibt es unter Frauen und Männern. Dieses Potenzial zu nutzen, das wird die Medienbranche, die Filme, die wir sehen, echter machen und damit den Blick auf die Welt bereichern.
lieselotte.scheewe@weser-kurier.de