Es ist ein Stoff, der nach einer Verfilmung zu schreien scheint: Im Mittelpunkt steht eine junge deutsch-russische Hochstaplerin, die sich den Zugang zu Manhattans Geldadel zu bahnen wusste – bis sie aufflog und 2019 wegen schweren Betrugs zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Die US-amerikanische Erfolgsproduzentin Shonda Rhimes ("Grey's Anatomy", "Bridgerton"), hat sich die Geschichte der jungen Frau für Netflix künstlerisch zu eigen gemacht. "Inventing Anna" (zu Deutsch: erfinderische Anna) erzählt ihr Leben in neun Teilen nach – mit dem Zusatz versehen: "Diese Geschichte ist vollkommen wahr. Außer die Teile, die total erfunden sind."
Anna Delvey (Julia Garner) ist jung und ansehnlich. Ihr ist bekannt, wie man sich unter Schönen und Reichen bewegt. Sie ist gebildet, weiß sich auszudrücken, sich zu kleiden und vor allem weiß sie, wie man Kontakte zu wichtigen Menschen knüpft – zu Kunstsammlern, Immobilien-Maklern und Bankern. Sie stammt aus gutem Haus: Die Eltern sind schwer reich, sie erwartet ein Millionenvermögen, sobald ihr Treuhandfonds ausgezahlt wird. Ihr Lebensstil ist entsprechend luxuriös – fünf Sterne aufwärts – und wird auf Instagram zur Schau gestellt.
Anbahnung eines Millionen-Geschäfts
Mit diesem Hintergrund gelang es Anna Delvey, die in Russland geboren und in Deutschland aufgewachsen ist, die Elite in Manhattan über Jahre zu täuschen, sich rund 200.000 Dollar zu erschleichen und ein 22-Millionen-Geschäft anzubahnen. Die junge Frau, die tatsächlich Sorokin heißt, hat aber weder Geld zu erwarten, noch kann sie sich ihren kostspieligen Lebensstil leisten. Als ihre Betrügereien auffliegen, kommt sie ins Gefängnis.
Erfunden sind vermutlich zumindest Teile des Lebens der zweiten Hauptperson: Einer Journalistin (dargestellt von Anna Chlumsky), die sich in die Lebensgeschichte von Anna Delvey verbeißt, nachdem ihre Betrügereien aufgeflogen sind. Auch sie gibt es wirklich: Jessica Pressler, deren Artikel "Wie Anna Delvey New Yorks Partyszene austrickste" große Aufmerksamkeit auf sich zog.
Herausragend: Julia Garner
Die Produktionsfirma Shondaland hat diverse Autoren und Regisseure engagiert, um die Lebensgeschichten dieser beiden Frauen geschickt miteinander zu verknüpfen. Auch die Beziehungen mehrerer Freundinnen, wahre Vertraute und falsche Profiteurinnen, zur Hauptfigur verleihen dem Drama Tiefe. Es lebt aber zweifellos vor allem von der Leistung Julia Garners, die der komplexen Persönlichkeit einer Hochstaplerin zwischen Genie und Wahnsinn Raum gibt.
"Inventing Anna" ist ein zeitgenössisches und sehenswertes Sittengemälde aus der Welt der Superreichen, die sich von Menschen blenden lassen, sofern sie nur die entsprechenden Schickeria-Attribute vorzuweisen haben. Anna Sorokin verdient mit ihrer Lebensgeschichte derweil Summen wie nie zuvor. Laut "Spiegel" arbeitet sie unter anderem an einem Buch.