Die Oldenburger trauen sich was. Obwohl alle Welt ja zu wissen glaubt, dass nur das Tanztheater für innovativen, zeitgemäßen Tanz steht, kehrt das Staatstheater unter seinem neuen Intendanten Christian Firmbach nun zum Ballett zurück. Der erste Abend, den Oldenburgs Chefchoreograf Antoine Jully präsentierte, bestätigt eindrucksvoll, wie richtig diese Entscheidung ist. Wenn Jully und seine Compagnie dieses Niveau halten oder sogar noch steigern, wird Oldenburg auch über die Region hinaus eine interessante Adresse für den Tanz sein.
Antoine Jully hat in den besten Ballett-Compagnien getanzt, an der Pariser Oper, im Royal Ballet in London und dann bei Martin Schläpfer in Mainz und Düsseldorf. Er ist mit der Tanzsprache eines avantgardistischen Balletts vertraut und entwickelt seit 2000 eigene Choreografien. Für seinen ersten Abend in Oldenburg hat er zwei Stücke kreiert. Mit „Deca-Deci“ stellt er, der Titel verrät es, seine zehnköpfige Compagnie vor. Zu der 5. Symphonie von Andrei Eschpai, die als deutsche Erstaufführung zu erleben war, lässt er seine Tänzerinnen und Tänzer in diversen Duetten und Gruppenszenen zusammenkommen, in denen sie das sehr abwechslungsreiche Bewegungsmaterial ihres Choreografen entfalten. Die Compagnie ist klassisch ausgebildet, beherrscht aber auch Streetdance und Modern Dance. Jully setzt die anfangs sehr anheimelnde, Strawinsky, Mahler und Bizet zitierende Musik Eschpais exakt in Bewegung um. Vor allem für die dissonanteren, flirrenden Momente findet er entsprechende Ausdrucksformen – zuckende Füße, krampfende Beinmuskeln – die das Erregungspotenzial mitteilen. Auf diese Musik- und Bewegungsstudie folgte mit „L’Arlésienne“ ein Stück, das Züge eines Handlungsballetts aufweist. Zu der Musik von Bizet wird die unglückliche Liebe eines jungen Paares erzählt. Jully erweitert sein Bewegungsspektrum hier noch einmal, zur Charakterisierung der unglücklichen Vivette setzt er Mittel des Ausdruckstanzes ein. Vor allem die innigen Duette der Liebenden überzeugen hier, Floriado Komino und Marié Shimada harmonieren bereits sehr gut miteinander. Überhaupt hat Jully eine sehenswerte Compagnie zusammengestellt, daran ändern auch die paar Wackler der Damen nichts. Besonders hervorzuheben ist Lester René González Álvarez, der von Streetdance bis Ballett alles beherrscht und jetzt schon eine große Bühnenpräsenz besitzt.
Ein Doppelprogramm wie das jetzt präsentierte wird mit seiner Mischung aus Bewegungsstudie und Handlungsballett viele Menschen für den Tanz einnehmen können. Der Neustart am Oldenburgischen Staatstheater ist in der Tanzsparte mehr als gelungen.