Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Experten sind wachsam Vogelgrippe bei Rindern: Wie groß ist das Risiko für Menschen?

Das Grippevirus H5N1 zeigt in Nordamerika eine besorgniserregende Anpassungsfähigkeit. Es infiziert Rinder und vereinzelt Menschen, doch Experten sehen derzeit keine Pandemiegefahr.
28.12.2024, 17:13 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Björn Lohmann

Vogelgrippe bei Rindern – das klingt schon reichlich schräg. Genau das aber beobachten Landwirte vor allem in den US-Bundesstaaten Texas, Kansas und New Mexico seit März 2024. Ihre Kühe bekommen Fieber, die Euter entzünden sich, und die Milchproduktion sinkt. Schuld ist ein Grippevirus vom Typ H5N1, das vereinzelt sogar in der Milch der erkrankten Kühe nachgewiesen werden konnte. Weil das Virus den Sprung vom Vogel zum Säugetier vollzogen hat, haben Fachleute weltweit die Entwicklung kritisch verfolgt.

Dann fielen im November zwei Ereignisse zusammen, die aufhorchen ließen: In Kanada erkrankte ein Jugendlicher schwer an H5N1, der weder Kontakt mit Rindern noch mit Geflügel hatte. Und im Wissenschaftsjournal Science berichteten US-Forscher, dass nur eine einzige Mutation des Erregers ausreichen würde, um an menschliche Zellen zu binden und diese zu infizieren.

Fachleute kategorisieren Grippeviren des häufigsten Typs, der Influenza-A, nach zwei Kriterien. Zum einen nach dem sogenannten Hämaglutinin, einem Protein an der Hülle des Virus. Seine Form entscheidet darüber, welches Strukturelement die Oberfläche einer Zelle aufweisen muss, damit das Virus dort andocken und eindringen kann. Die unterschiedlichen Typen von Hämaglutinin sind durchnummeriert von H1 bis H18.

Das zweite Kriterium ist eine sogenannte Neuroaminidase. Das Protein befindet sich ebenfalls an der Hülle des Virus und hilft ihm, nach der Vermehrung die Wirtszelle zu verlassen, um sich weiter auszubreiten. Die unterschiedlichen Neuroaminidasen heißen N1 bis N11. H5N1 bezeichnet ein Grippevirus, das an Zellen von Geflügel angepasst, hochansteckend und für Geflügel ziemlich tödlich ist.

Pandemie nicht zwingend dramatisch

Die Anpassung bedeutet nicht, dass H5N1 auf keinen Fall andere Tiere als Geflügel befallen kann. Eine entsprechend hohe Virenlast oder ein schwaches Immunsystem können dem Erreger ermöglichen, auch Säugetiere zu infizieren. Allerdings handelt es sich dabei um Einzelfälle, denn das Virus ist nicht dafür ausgerüstet, sich in Säugetieren zu vermehren. Übertragungen von Säugetier zu Säugetier kommen eigentlich nicht vor.

Nun haben Viren die Eigenschaft, häufig zu mutieren und bestimmte Merkmale zu verändern. Könnte das H5N1-Virus dadurch gut an menschliche Zellen binden und sich darin vermehren, wäre plötzlich ein hochansteckendes Grippevirus im Umlauf, das schwere Erkrankungen auslösen kann. Eine Pandemie wäre nicht unwahrscheinlich – aber auch nicht zwingend dramatisch.

Das zeigte 2009 die Schweinegrippe H1N1. Sie löste zwar eine Pandemie aus, doch trotz der gleichen Kategorie wie der Erreger der Spanischen Grippe verursachte dieses Virus eher milde Symptome. Hinzu kam, dass es wichtige Ähnlichkeiten mit Erregern der saisonalen Grippe hatte und viele Menschen deshalb eine Teilimmunität aufwiesen. Glück und effektive Gegenmaßnahmen verhinderten 2009 ein mögliches Katastrophenszenario.

Doch wie verhält es sich mit dem aktuellen H5N1-Virus? Der Erreger in der aggressiven Form Klade 2.3.4.4b. trat erstmals 2021 in Nordamerika auf. Schon bald zeigte sich, dass diese Variante Vögel, Meeressäuger, Rinder und Menschen infizieren kann. Schwere Verläufe bei Rindern oder Menschen wurden jedoch ebenso wenig berichtet wie Übertragungen von Mensch zu Mensch.

Lesen Sie auch

Nur eine Mutation genügt

Um auf eine mögliche Verbreitung vorbereitet zu sein, untersuchten Forscher, was nötig wäre, damit dieser Erreger seine Anpassung auf Menschen umstellen würde. Dazu veränderten sie ein H5N1-Virus, das im Frühjahr 2024 bei einem Menschen in Texas nachgewiesen worden war. Die Experimente ergaben, dass es schon ausreicht, einen bestimmten Baustein des Hämaglutinin-Proteins auszutauschen, damit der Erreger bevorzugt an menschliche Zellen andockt – und das deutlich stärker, als es 2009 dem Schweinegrippenvirus gelungen war. Bereits der Tausch eines zweiten Bausteins verstärkte die Bindung an menschliche Zellen weiter.

Nun können genau diese Veränderungen durch natürliche Mutationen erfolgen. Allerdings hat es für einen Erreger, der eigentlich unter Vögeln grassiert, keinen Vorteil, an menschliche Zellen binden zu können. Wahrscheinlich würde eine solche Mutation wieder verlorengehen und durch andere Virentypen verdrängt, bevor die Mutante mit Menschen in Kontakt käme. Andererseits fanden sich bei dem Erreger, an dem der Junge in Kanada so schwer erkrankt war, ganz ähnliche Anpassungen des Hämaglutinins wie in diesem Laborexperiment. Zu weiteren Übertragungen kam es in Kanada dennoch nicht.

Das überrascht Fachleute nicht: Damit es für den Menschen gefährlich würde, müsste das Virus zunächst auch sein Neuramidase-Protein an den Menschen anpassen, um sich erfolgreich verbreiten zu können – denn die Zellen zu befallen, genügt noch nicht. Weiterhin müsste das Hämaglutinin seinen pH-Wert verändern, bevor das Virus zwischen Menschen übertragen werden kann.

Wintergrippe als Beschleuniger

Akut dürfte daher von den H5N1-Erregern in Nordamerika keine Gefahr für Menschen ausgehen. Doch gerade die jetzt beginnende saisonale Grippewelle könnte bei Menschen, die auf Rinderfarmen arbeiten, menschliche Grippeviren und H5N1 in einem Organismus zusammenführen. Das würde den Viren ermöglichen, genetische Informationen auszutauschen, wodurch sich H5N1 sprungartig an Menschen anpassen könnte.

Fachleute drängen deshalb darauf, bereits die Infektionsketten unter den Milchkühen zu unterbrechen und engmaschig zu überwachen, wie die H5N1-Viren beschaffen sind, die in den USA Menschen infizieren.

Lesen Sie auch

Zur Sache

Bessere Grippeimpfstoffe

Jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen 5000 und 25.000 Menschen infolge einer Grippeinfektion. Die saisonalen Impfstoffe bilden daher vor allem für ältere und immungeschwächte Menschen einen wichtigen Schutz. Die Impfstoffe werden jährlich an drei Subtypen angepasst, die voraussichtlich in der kommenden Saison dominant sein werden. Studien ergaben allerdings, dass das Immunsystem nach der Impfung nicht gegen alle drei Subtypen gleich gut gestärkt ist.

Lange Zeit dachte man, dass der Impfschutz womöglich besonders stark gegen jenen Subtyp wirkt, mit dem das Immunsystem im Verlauf des Lebens als erstes in Kontakt gekommen ist. Jetzt konnten Forscher zeigen, dass die unterschiedliche Reaktion wohl angeboren ist. Sie entwickelten zudem einen neuen Impfansatz, bei dem die Merkmale zweier Subtypen in einem Molekül verkettet sind. Das führte im Tierversuch dazu, dass das Immunsystem gegen beide Subtypen gleichermaßen stark aufgerüstet wurde. Sollte sich dieser Ansatz weiter bewähren, könnten Grippeimpfstoffe in einigen Jahren noch besseren Schutz bieten als heute.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)