Frau Heitmann, es gibt wieder Theater, wenn auch in etwas kleinerem Rahmen. Wie glücklich macht Sie das?
Renate Heitmann: Sehr! Ich bin zwar auch einigermaßen erschöpft, weil die Planung doch recht fordernd ist, aber die Kultur musste eben an die frische Luft. Wir mussten uns anpassen, und ich finde die Form, die wir gefunden haben, sehr gelungen: kleine, kurze Angebote, dafür aber über einen langen Zeitraum. Viele Kollegen waren zu Beginn des Projekts aufgeregt wie vor einer Premiere: endlich wieder spielen!
Sie sprechen vom Projekt Sommer Summarum, das Sie initiiert haben. Seit dem 1. Juli gibt es Shows unterschiedlicher Kulturakteure an Orten verteilt über das gesamte Stadtgebiet...
Genau. Es ist ein unglaublich großes und vielfältiges Programm geworden. Wir sind mittlerweile bei 140 Veranstaltungen. Das Projekt wird sehr positiv aufgenommen und ist viel größer geworden, als ich am Anfang gedacht hätte. Es gibt auch den Bremern die Gelegenheit, ihre Stadt neu zu entdecken. Nicht jeder kennt den Park Gut Hodenberg, nicht jeder weiß, was das Licht-Luft-Bad ist, und vielleicht weiß auch nicht jeder, dass man auch auf dem Fußballplatz beim ATS Buntentor wunderbar Theater spielen kann. Es gibt Vorstellungen in den Gärten der Museen, des Institut Francais, und wir spielen auch im Umland. Insgesamt bespielen wir 20 verschiedene Orte.
Das heißt, die Bremer Kulturszene ist durch Corona und den Sommer Summarum noch ein bisschen enger zusammengerückt?
Ja, alles ist sehr solidarisch. Ich weiß noch, als wir Ende April ein internes Zoom-Meeting hatten und ich die anderen gefragt habe: Was machen wir denn jetzt? Irgendwann geht einem die Puste aus, wenn man ein Theater plant, in dem kein Theater stattfinden kann. In den ersten Wochen denkt man noch, das geht alles vorbei. Aber irgendwann kommt der Moment, in dem einem auch in den Sinn kommt, dass das alles vielleicht nicht vorbeigeht. Dass man sich vielleicht anpassen muss. Ich habe also mit verschiedensten Kollegen telefoniert, und sie alle fanden, dass der Sommer Summarum die richtige Idee zur richtigen Zeit ist. Es ist ein neues Format, das Bremen so noch nicht kannte. Lokale Künstler, die lokal verreisen und Kleinodien bespielen.
Der Sommer Summarum ist also ein Konzept, das Sie sich auch langfristig – mit oder ohne Corona – vorstellen könnten?
Wir wissen alle nicht, was im kommenden Jahr passiert. Es gibt noch keinen Impfstoff, noch kein Medikament. Wir haben aber auf jeden Fall etwas geschaffen, worauf wir aufbauen können.
Trotz Corona konnten Sie auch in diesem Jahr eine etwas andere Version von Shakespeare im Park auf die Beine stellen – mit kürzeren Vorführungen und weniger Zuschauern. Die Veranstaltung geht 2020 in ihr 25. Jahr. Wie wird gefeiert?
Am Sonnabend wird es eine kleine, feine Geburtstags-Gala mit drei Vorstellungen geben, die allerdings schon ausverkauft sind. Es wird darum gehen, wie Shakespeare das Publikum aufgefordert hat mitzudenken und auch darum, was Shakespeare sich einst von seinen Schauspielern gewünscht hat. Insgesamt preisen wir sowohl das Publikum als auch William Shakespeare. Es wird eine Bob-Dylan-Band spielen, und das Ensemble Lauter Blech sorgt für die Ouvertüre und den Epilog. Und natürlich gibt es Sekt. Sicher verpackt in kleinen Flaschen.
Erinnern Sie sich noch, wie vor 25 Jahren alles anfing?
Als wir das erste Mal Shakespeare im Park durchgeführt haben, wollten wir eigentlich – so wie dieses Jahr – ein riesiges, internationales Festival machen. Damals wurden die Pläne dann nicht wegen einer Pandemie, sondern wegen Geldknappheit verworfen. Wenn man das Ganze augenzwinkernd sehen will, kann man also sagen, es ist Teil des Konzepts, aus der Not eine Tugend zu machen.
Gibt es Highlights oder Katastrophen, die unvergessen bleiben?
Es gab schlechtes Wetter und ausgekugelte Schultern. Es gab ein Jahr, in dem eine unserer Schauspielerinnen schon hochschwanger war. In einer Szene sollte sie auf dem Rücken liegen, sodass nur ihre Füße zu sehen sind. Das ging aber nicht mehr, also ist der Regisseur eingesprungen und hat ihre Damenschuhe irgendwie über seine großen Zehen gequetscht. Intern war das natürlich ein großer Lacher. Die Zuschauer haben es vielleicht nicht mal gesehen. Gerade, wenn man sich anpassen und vom Gewohnten abweichen muss, entstehen oft sehr charmante Situationen.
Im September gibt es die erste Premiere in der Shakespeare Company. Was wird gespielt?
"Der Nibelungen Wut" von Johanna Schall und Grit van Dyk. Das Stück hätte bereits am 9. April Premiere haben sollen und startet jetzt am 3. September. Im August fangen wir an zu proben.
Was ändert sich für Schauspieler und Besucher?
Wir werden bis zum Jahresende kein Shakespeare-Drama zur Premiere bringen, sondern eher auf dramatische Literatur setzen, die mit den Shakespeare-Stoffen umgeht. Wir überlegen gerade, wie wir Shakespeare mit einer modernen Dramatik umkreisen können, sodass wir kürzere Stücke und kleinere Besetzungen haben. Wahrscheinlich werden die Abstandsregeln ja bleiben, wie sie jetzt sind. Wir werden also ein paar Reihen ausbauen und weniger Plätze haben, rund 80 bis 90 statt 300. Auch bestimmte Stücke aus dem Repertoire müssen wir leicht anpassen, wenn sie zu sehr auf körperliche Nähe gebaut sind. Was die weiteren Produktionen angeht, sind wir gerade noch sehr vorsichtig. Im Moment planen wir nur bis Ende dieses Jahres. Wir lassen uns noch Spielräume, auch spontan zu reagieren.
Zur Person
Renate Heitmann gehört seit 1994 zur Leitung der Bremer Shakespeare Company. In diesem Jahr hat sie zudem den Sommer Summarum initiiert, an dem sich diverse Kultureinrichtungen beteiligen.