Franziska Keller, Karin-Hollweg-Preisträgerin des vergangenen Jahres, stellt im Paula-Modersohn-Becker-Museum aus. Ihre bemerkenswerten Arbeiten haben viel mit Vergänglichkeit zu tun.
Früher hat Franziska Keller gezeichnet. Auf ihren Blättern ist des Öfteren eine Figur zu sehen, die gerade in ein Objekt hineinkriecht, sich in ihm versenkt. Dieses Erforschen bereits vorgefundener, alltäglicher Dinge ist kennzeichnend für Franziska Keller. Ebenso ihr Interesse für Linien. Beides findet sich auch in ihren neuen Arbeiten, ihren Rauminstallationen und Objekten, die man als dreidimensionale Zeichnungen begreifen kann. Franziska Keller hat im vergangenen Jahr den Karin-Hollweg-Preis erhalten, der jährlich an eine Meisterschülerin oder einen Meisterschüler der Hochschule für Künste Bremen vergeben wird und mit 15 000 Euro der höchstdotierte Förderpreis aller Kunsthochschulen Deutschlands ist. Jetzt darf Franziska Keller, die die Meisterklasse von Jean-François Guiton besucht hat, zwei Räume im Paula-Modersohn-Becker Museum bespielen. „Hier steh’ ich nun. . .“ hat sie ihre Ausstellung betitelt.
Franziska Keller irritiert die Besucher gern, allein schon durch das von ihr benutzte Material, das sie dann auch noch zweckentfremdet. Im ersten Saal ihrer Ausstellung lässt sie ein Fallrohr waagerecht über alle Wände laufen. Es hat keine Funktion, weil nirgendwo Wasser hinein- oder herausfließen kann. Vielmehr läuft es wie eine grafitgraue plastische Linie über die Wände, mit mehreren Ausbuchtungen versehen, die nach oben oder unten zeigen. Diese erinnern an die Haltevorrichtungen von Wandkalendern und geben einen ersten Hinweis darauf, dass sich Franziska Kellers Arbeiten immer auch mit dem Verrinnen der Zeit beschäftigen.
Ein Stockwerk höher hat sie einen mehrere Meter hohen Stapel aus alten Wandkalendern zwischen zwei Wände geklemmt. Wie eine Amplitude schlägt die Linie noch oben und unten aus, abhängig von der Größe der Seiten. Tatsächlich zeichnet der Verlauf eine Audiospur nach. Aus Theodor Storms Gedicht „Die Zeit ist hin“ hat Franziska Keller die zwei Zeilen „Hier steh’ ich nun und schaue bang zurück; Vorüberrinnt auch dieser Augenblick“ gesprochen und aufgezeichnet. Das Sprechen über den verrinnenden Moment wird so dauerhaft festgehalten, und auch die im Altpapier gelandeten Kalender bekommen eine neue Funktion, obwohl ihre Zeit schon längst abgelaufen schien. Selbst für die Drähte dieser Wandkalender hat Keller noch eine neue Aufgabe gefunden. Sie hat sie zu einem Kubus gepresst und diesen auf das ausrangierte Untergestell eines Schaukelpferdes montiert.
Ihre Freude an der Umdeutung und Zweckentfremdung der Dinge zeigt sich auch in einer Rauminstallation, der sie keinen Titel gab. Früher hingen vor den Gardinen mit Stoff umwickelte Stangen, sogenannte Schleuderquasten, die unten in einer breiteren Kordel endeten. Mit ihnen wurden die Gardinen zur Seite geschoben. Diverse Modelle aus den 50er-Jahren hat Keller zusammengetragen und aus ihnen eine Installation geschaffen, die an den früheren Zweck der Stangen erinnert. Schräg ragen sie in den Raum, als würden unsichtbare Hände sie zur Seite ziehen. Irritierend nur, dass sie jetzt auf dem Boden zu stehen scheinen, obwohl sie früher doch hingen.
Franziska Keller hat die Chance, ihre Arbeit in einer Einzelausstellung präsentieren zu dürfen, optimal genutzt. Alles wirkt durchdacht, konzentriert und ist aufeinander bezogen – und gewährt dem Besucher zudem ein sinnliches Kunsterlebnis.
Franziska Kellers Ausstellung „Hier steh ich nun. . .“ wird heute, Sonnabend, um 15 Uhr eröffnet und ist bis zum 1. Februar zu sehen.