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Neue Studie zur Verschmutzung Was die Mikroplastikdetektive an deutschen Küsten finden

Mikroplastikdetektive finden Plastik an 52 von 71 deutschen Küstenstränden. Die Belastung ist geringer als erwartet, doch die Unterschiede zwischen den Stränden sind groß.
19.10.2024, 05:00 Uhr
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Von Björn Lohmann

Sieben mal sieben ergibt ganz feinen Sand. Diesen alten Witz könnte man in den vergangenen drei Jahren am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven wiederholt gehört haben. Denn dort hat ein Team um Bruno Walther und Melanie Bergmann 2,2 Tonnen Sand von Deutschlands Stränden gesiebt. Die Forscher wollten sämtliches Mikroplastik herausfiltern, das einen Durchmesser einem und fünf Millimetern hat. So konnten sie bestimmen, wie verbreitet diese Form der Umweltbelastung ist. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt im Fachjournal „Frontiers in Environmental Sciences“ publiziert.

Lange Zeit hatte es für Deutschland nur Untersuchungen einzelner Strände an Nord- und Ostsee gegeben, wie viel Mikroplastik sich dort angelagert hat. Dabei haben die beteiligten Forscher oft Bereiche analysiert, an denen mit besonders viel Kunststoffmüll zu rechnen war, etwa im Bereich des Spülsaums, wo der Wellenschlag bei Hochwasser seine Fracht ablegt. Diese Ergebnisse waren alarmierend.

1139 Proben von 71 Stränden

„Diese unumkehrbare Plastikverschmutzung beeinträchtigt Arten, Populationen und Ökosysteme, auch an deutschen Küsten“, berichtet Walther, der inzwischen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf arbeitet. „Deshalb haben wir das Bürgerforschungsprojekt ‚Mikroplastikdetektive‘ ins Leben gerufen, um Daten über die großräumige Verteilung der Mikroplastikverschmutzung an deutschen Küsten zu bekommen, die vergleichbar sind.“

Die Forscher warben in der Bevölkerung darum, nach einem vorgegebenen Konzept stets 20 Sandproben von den jeweiligen Stränden einzusenden. Zahlreiche Einzelpersonen, aber auch Mitglieder von Gruppen wie Naturschutzorganisationen oder dem Lions Club sammelten daraufhin als „Mikroplastikdetektive“ an 71 Standorten entlang von Nord- und Ostsee jeweils 30 bis 70 Kilogramm Sand, insgesamt 1139 Proben. Neben der Menge bestimmten die Forscher mittels einer bestimmten Form der Infrarotspektroskopie zudem die Art des Plastiks. Dabei bestätigte sich, dass jene Kunststoffe besonders häufig vorkamen, die auch in besonders großen Mengen produziert werden.

Gesamtbild weniger negativ

Überraschender war eher ein anderer Befund: „Obwohl wir an 52 von 71 Stränden Plastik gefunden haben, war die Belastung durch großes Mikroplastik an der Nord- und Ostsee mengenmäßig geringer im Vergleich zu anderen Studien“, erklärt Walther – wohl deshalb, weil sich das Projekt nicht auf Extremfunde, sondern einen möglichst repräsentativen Durchschnitt der Strände konzentriert hat. „Darum nehmen wir an, dass unsere Studie aussagekräftiger beziehungsweise genauer ist als viele der 17 vorherigen Studien“, erläutert Walther. Frühere Studien hatten teilweise 40-fach höhere Belastungen mit Mikroplastik gefunden, dürften die Gesamtrealität an deutschen Küsten jedoch schlechter widerspiegeln.

„Hätten wir auch kleinere Mikroplastikteilchen untersucht, wären wir sicherlich auf deutlich höhere Konzentrationen gekommen“, ergänzt Kollegin Bergmann. In früheren Untersuchungen des AWI in der Nordsee und Arktis machte Mikroplastik, das kleiner als einen Millimeter ist, über 90 Prozent des gefundenen Mikroplastiks in Sedimenten aus. Allerdings werden diese winzigen Teilchen auch über die Luft transportiert, etwa als Reifenabrieb. Das hätte die Ergebnisse verzerrt.

Auch so ist das Ergebnis alles andere als beruhigend: In 177 Proben fanden die Forscher Mikroplastik, insgesamt 260 Plastikteilchen. Rechnet man das auf einen zehn Hektar großen Strand hoch, wäre dieser demnach mit 400.000 Plastikfragmenten verschmutzt. Allerdings zeigten sich zwischen den Stränden große Unterschiede. Besonders viele Teilchen konnten die Forscher für Norderney nachweisen. „Warum das so ist, ist schwer zu bestimmen, aber die hohen Touristenzahlen von Norderney spielen vermutlich eine Rolle“, sagt Walther.

Strengere Vorgaben gefordert

Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Menge des Mikroplastiks in den Meeren bis zum Ende des Jahrhunderts verfünfzigfachen könnte. Dass das jedoch nicht so kommen muss, belegt das Beispiel der Plastiktüte: Infolge von Gesetzesänderungen zeigen Forschungsdaten, dass über die vergangenen 25 Jahre die Zahl der Plastiktüten am Meeresgrund zurückgegangen ist.

„Wir brauchen strengere Vorgaben, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und verbindlich regeln, wie wir Plastik vermeiden, verringern und verwerten“, fordert Bergmann. Konkret gehe es um Maßnahmen, welche die Herstellung und Verwendung von Plastik auf unverzichtbare Anwendungen beschränkten, gefährliche Inhaltsstoffe verböten, die Abbaubarkeit in der Natur erhöhten und so einen echten Kreislauf ermöglichten.

Zur Sache

Die Folgen des Plastikmülls

Großer Plastikmüll kann für Vögel, Fische oder auch Wale problematisch sein, weil er ihr Verdauungssystem verstopft oder sie sich darin verheddern. Auch Korallen und Schwämme nehmen durch Plastikmüll wie alte Fischernetze Schaden. Weniger offensichtlich sind die Folgen von Mikro- und dem noch winzigeren Nanoplastik. Sie betreffen große Tiere ebenso wie Fadenwürmer oder Algen. Die winzigen Partikel können in Zellen eindringen und dort als Giftstoffe wirken oder das Hormonsystem durcheinanderbringen. Über die Nahrungskette gelangen sie letztlich in den menschlichen Körper, wo sie ebenfalls die Gesundheit beeinträchtigen können.

„Inwieweit die individuellen Beeinträchtigungen von Tieren oder Pflanzen dann Folgen für das gesamte Ökosystem haben, wird noch aktiv erforscht, aber auch da gibt es Ergebnisse, dass bei hoher Plastikverschmutzung negative bis sehr negative Auswirkungen durchaus zu beobachten sind“, berichtet Bruno Walther. Wie bei den meisten Umweltproblemen spiele die Menge eine entscheidende Rolle. „Die Plastikverschmutzung steigt im Moment exponentiell an, und darum wird sie irgendwann katastrophale Folgen haben. In einigen tropischen Mangrovenwäldern hat sie es schon jetzt.“

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