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Gewässer und Klima Naturbelassene Flüsse speichern Kohlenstoff besser als begradigte

Flüsse, die sich durch die Landschaft schlängeln und von Auen umgeben sind, bieten nicht nur einen reizvollen Anblick, sondern weisen auch vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung Vorteile auf.
09.11.2021, 00:00 Uhr
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Naturbelassene Flüsse speichern Kohlenstoff besser als begradigte
Von Jürgen Wendler

Weser, Ochtum, Lesum, Wümme, Hamme, Hunte: Allein in Bremen und seinem niedersächsischen Umland gibt es eine Reihe von Flüssen. Wie sehr sie sich unterscheiden, lässt sich besonders gut am Vergleich von Weser und Wümme ablesen. Während Letztere sich durch zahlreiche Windungen auszeichnet, handelt es sich bei der Weser um einen begradigten Strom, der vielerorts an einen Kanal erinnert. Dass solche menschlichen Eingriffe vielfältige Folgen für den Naturhaushalt haben, ist seit Langem bekannt. Aktuelle Forschungsergebnisse lenken das Augenmerk auf die Bedeutung der Flüsse der Erde für die Speicherung von Kohlenstoff, das heißt auf die Rolle, die die Gewässer im Zusammenhang mit der Entwicklung des Klimas spielen.

Typisch für natürliche Flussläufe sind sogenannte Mäander, Windungen, deren Abfolge das Erscheinungsbild der Gewässer bestimmt. Der Fachbegriff Mäander geht auf einen Fluss in der westlichen Türkei zurück, der bereits in der Antike für seine sich schlängelnde Gestalt bekannt war. Schon kleine Unregelmäßigkeiten im Untergrund führen dazu, dass das Wasser nicht völlig gleichmäßig fließt. Zu den Folgen gehört, dass in bestimmten Bereichen Material abgetragen und fortgespült, in anderen Material angelagert wird – Vorgänge, die Fachleute mit den Begriffen Erosion und Akkumulation verbinden. Wo die Fließgeschwindigkeit und damit die Kraft des Wassers am größten ist, an der Außenseite der Windung, befindet sich der sogenannte Prallhang. Dort kommt es zur Erosion; Material wird abgetragen. An der Innenseite der Windung ist die Geschwindigkeit besonders gering. Dies führt dazu, dass sich in diesem als Gleithang bezeichneten Bereich besonders gut Material ablagern kann.

Auen bieten Lebensraum für viele Arten

Ein weiteres Merkmal von Flüssen ist das Vorkommen sogenannter Auen, das heißt Uferlandschaften, die von wechselnden Wasserständen geprägt werden. Sie gehören ebenso wie Marschen, Feuchtwiesen, Moore und Sümpfe zu den Feuchtgebieten. Solche Bereiche zeichnen sich dadurch aus, dass dort Wasserpflanzen wie beispielsweise Seerosen, Binsen, Schilfgräser und Seggen gedeihen können. Außerdem bieten sie Lebensräume für zahlreiche Tierarten, darunter Biber, Fischotter, Eisvögel, Uferschwalben und Rohrweihen. Kurzum: Auen fördern die biologische Vielfalt. Darüber hinaus tragen sie mit ihrer Fähigkeit, viel Wasser aufzunehmen, zum Hochwasserschutz bei, halten Pflanzennährstoffe aus der Landwirtschaft zurück, die ansonsten zur Überdüngung von Flüssen und Küstenmeeren beitragen könnten, und binden große Mengen an Kohlenstoff, einem chemischen Element, das zu den Grundbausteinen von Lebewesen gehört. Mit anderen Worten: Flussauen sind auch für den Kohlenstoffkreislauf von Bedeutung.

Hinter dem Ausdruck Kohlenstoffkreislauf steckt die Tatsache, dass laufend kohlenstoffhaltige Verbindungen umgewandelt und zwischen unterschiedlichen Bereichen der Erde wie der Atmosphäre, Meeren und Landmassen ausgetauscht werden. Kohlenstoff ist unter anderem in den Treibhausgasen Kohlendioxid und Methan enthalten. Wird Kohlenstoff über längere Zeit außerhalb der Atmosphäre gebunden, kann er nicht zum Treibhauseffekt und damit zur Erwärmung beitragen. Das heißt: Für Forscher ist unter anderem wichtig zu wissen, welche Mengen dieses Elements im Bereich von Flüssen aufgenommen und abgelagert und letztlich mit anderem abgelagerten Material ins Meer getragen werden. Als Teil der Ablagerungen, sogenannter Sedimente, kann der Kohlenstoff im Ozean unter Umständen über große Zeiträume gebunden bleiben.

Begradigungen bergen Risiken

Tiefere Einblicke in diese Zusammenhänge gibt eine Studie, die kürzlich von einer Forschergruppe um Marisa Repasch und Dirk Sachse vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam im Fachjournal "Nature Geoscience" vorgestellt worden ist. Sie belegt, dass Flussläufe, die sich auf natürliche Weise verlagern können, Kohlenstoff effizienter speichern als begradigte Flüsse. Eine Schlussfolgerung daraus formuliert Sachse so: "Auch Begradigungen von Flüssen könnten zum Anstieg der CO2-Konzentration der Atmosphäre beitragen."

Nach den Angaben der Wissenschaftler werden in mäandrierenden Flussabschnitten Sedimente, also Materialien wie etwa Sand, zusammen mit Kohlenstoff abgelagert, irgendwann wieder aufgenommen und dann weiter ins Meer befördert. In geraden Flussabschnitten hingegen werde die Sedimentfracht einfach durchgeschleust. Das bedeutet: Es wird weniger Kohlenstoff abgelagert, und in den Auen neben dem begradigten Gewässer verwerten Mikroorganismen vorhandenes kohlenstoffhaltiges Material – mit der Folge, dass CO2 freigesetzt wird. "Spannend ist jetzt die Beantwortung der Frage, ob wir dem Klima helfen können, wenn wir den Flüssen wieder mehr Raum geben und die natürlichen Flussschleifen nicht behindern", erklärt Sachse. Ihre Erkenntnisse verdanken der Potsdamer Biogeochemiker und seine Kollegen detaillierten Untersuchungen und Berechnungen am Beispiel des Río Bermejo, eines mehr als tausend Kilometer langen Flusses im Süden Südamerikas.

Auch Salz gelangt ins Meer

Neben Sand und Stoffen wie Pflanzennährstoffen und Kohlenstoff transportieren Flüsse zum Beispiel auch Salz ins Meer. Beim von Menschen verwendeten Kochsalz handelt es sich um Natriumchlorid, eine chemische Verbindung, die aus Natrium- und Chloratomen aufgebaut ist. Natriumchlorid ist in der Natur in großen Mengen vorhanden: als Steinsalz und in gelöster Form im Meerwasser. Schon seit der Frühzeit der Erde, das heißt seit mehreren Milliarden Jahren, wird Salz aus Gestein am Meeresgrund gelöst. Niederschläge an Land spülen zudem Salz aus verwitterndem Gestein in Flüsse, die es dann ins Meer tragen. Dass Flusswasser im Gegensatz zum Meerwasser nicht salzig schmeckt, liegt allein an der niedrigen und deshalb kaum wahrnehmbaren Salzkonzentration. Diese ist eine Folge davon, dass das Wasser schnell abfließt und nur ein relativ kleiner Teil davon verdunstet.

Wie stark sich Flussgebiete auch ohne Zutun des Menschen verändern können, lässt sich unter anderem bei den sogenannten Flussdeltas beobachten, das heißt verzweigten Mündungen, wie sie zum Beispiel beim Amazonas, bei der Donau, dem Nil und der Wolga zu finden sind. Ein Delta kann entstehen, wenn Flüsse, die in einen See oder ins Meer münden, aufgrund der Verringerung der Fließgeschwindigkeit im Mündungsgebiet besonders große Mengen an mitgeführtem Material ablagern. Die Ablagerungen führen unter anderem zur Bildung von Inseln, Sandbänken und Sümpfen. Damit entstehen zugleich Hindernisse, die den Fluss zwingen, sich neue Wege zu suchen oder aufzuspalten. Die Bezeichnung Delta geht auf den gleichnamigen griechischen Buchstaben zurück und drückt aus, dass solche Mündungsgebiete die Form eines Fächers haben.

Zur Sache

Als in der Weser Störe schwammen

Um die Schifffahrt zu erleichtern, ist die Weser seit dem 19. Jahrhundert stark verändert worden. Begradigungen und Vertiefungen haben unübersehbare Spuren hinterlassen. Von flachem Wasser geprägte Bereiche, in denen Fische laichen und Jungtiere ungestört aufwachsen konnten, sind verschwunden; Ufer wurden mit Steinen und Spundwänden befestigt. In der Unterweser, dem von Gezeiten geprägten Bereich zwischen dem Weserwehr und der Mündung in die Nordsee, beträgt der Tidenhub, der Unterschied zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wasserstand, heute mehr als vier Meter. Es gab Zeiten, in denen er bei weniger als einem Meter lag.

Weitreichende Folgen hatten die menschlichen Eingriffe nicht zuletzt für die Artenvielfalt bei den Fischen. Dass Lachse und Meerforellen in früheren Jahrhunderten in der Bremer Region alles andere als selten waren, lässt sich unter anderem einem Fachbeitrag entnehmen, der vor einigen Jahren in der Naturkundlichen Schriftenreihe der Stiftung Naturschutz im Landkreis Rotenburg (Wümme) erschienen ist. Darin schildert der Autor Ralf Gerken, dass die Weser bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu den mitteleuropäischen Flüssen gehörte, in denen besonders viele Lachse zu finden waren. Noch im Jahr 1894 seien mehr als 10.000 Lachse mit einem Gesamtgewicht von über 70 Tonnen gefangen worden. Auch Europäische Störe waren in der Weser im 19. Jahrhundert keine Seltenheit. Dass sie aus deutschen Flüssen verschwunden sind, führen Fachleute nicht nur auf die Umgestaltung der Gewässer, sondern auch auf die Überfischung zurück. Gleiches gelte für die Atlantischen Lachse. Bemühungen, sie erneut anzusiedeln, hat es in den vergangenen Jahren auch im Bereich der Weser gegeben.

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