Seit einigen Tagen bin ich auf Lesereise und werde von meiner Literaturagentur angehalten, meinen Roman mehr auf Instagram zu posten. Es ist eigentlich ein ziemlicher Wahnsinn, dass man vor seinem Smartphone sitzt, das Werk auf ein paar Schlagwörter herunterbricht oder am besten nur noch Bilder postet, mit meinem Buch wurde sogar ein Social-Media-Shooting auf Lanzarote veranstaltet.
Vor einiger Zeit sah ich auf Lanzarote immer wieder Postboten in Bars sitzen. Trinkend, schweigend. Manche sah ich auch in der Vulkanlandschaft neben ihren gelben Postmotorrädern schlafen. Einmal saß ich sogar neben einem Postboten im Kino in Arrecife. Er trug seine Uniform mit der spanischen Krone und schaute James Bond, „Ein Quantum Trost“.
Bei den Postboten in Berlin habe ich immer das Gefühl, dass sie unter der Last der Internetbestellungen zusammenbrechen, aber auf den Kanaren beschränken sich die Zustellungen auf den reinen Briefverkehr, und den gibt es offenbar immer weniger.
Was bedeutet eine Zeit, in der überhaupt kaum noch persönliche Briefe existieren? In der wir täglich viele schnelle Mitteilungen verschicken, aber die Zeit, Geduld und Zuwendung für einen einzelnen Empfänger immer geringer wird? Oder man gleich nicht mehr den Einzelnen anspricht, sondern ihn und alle über die sozialen Kanäle? Mit Postings, Instagram-Reels, Tiktok. Facebook erscheint dabei schon fast wie oldschool.
Irgendwann war mir klar, dass es bestimmt einmal sinnvoll wäre, einen Postboten ins Zentrum eines Romans zu stellen, gerade an einem Ort mit der politischen Geografie Lanzarotes, wo so viel Welt zusammenkommt: durch die Nähe zu Afrika und die Flucht auf die Kanaren, durch den globalen Tourismus und den dadurch aus der Welt gefallenen Fischern und alten Inselmenschen.
Es gibt berühmte Postboten-Romane oder -Filme. „Der Mann mit der Ledertasche“ von Charles Bukowski, der selbst Postbote war. Oder „Il Postino“, die Geschichte vom Postboten des Dichters Pablo Neruda, da wurde der Film fast berühmter als das Buch von Antonio Skármeta. In meinem Roman versucht Pedro, den berühmten Film nachzuspielen und an den Nobelpreisträger José Saramago heranzukommen, der auf der Insel lebt und noch am meisten Post erhält. Es gibt sogar einen richtigen Kampf der Postboten um die „Nobelpreisroute“, und Pedro versucht sich dem Schriftsteller auch als Figur anzudienen, weil er glaubt, dass Buchmenschen und Postboten viel miteinander zu tun hätten.
Pedro kommt aus einer Postbotenfamilie, schon der Großvater trug Briefe auf der Insel aus. Sein Vater ebenso, der hatte auch besondere Theorien, dass manche Briefe vor lauter darin aufgeschriebener Leidenschaften in der Hand pulsieren und nachschwingen würden unter den Umschlägen. Er kippte die Briefe sogar im Wohnzimmer auf einen Haufen, es waren vor allem Frauenbriefe, und sein Vater war so eine Art 68er-Postbote, er lebte mit den Briefen wie in einer Kommune.
Pedros Kulturkampf gipfelt in den Beziehungskämpfen mit seiner Freundin Carlota, die in einem großen Hotel der schnellen Welt angeschlossen ist und immer mehr an der verlangsamten Welt ihres Freundes verzweifelt. Und ihr Sohn, Miguel, steht mitten in diesem Kulturkampf zwischen Smileys, Herzwinkhüpf-Männchen und einer handgeschriebenen Welt.
Er ist aber überzeugt, dass wir irgendwann, in der weiten Zukunft, nicht mehr wissen werden, wie die Menschen heute gelebt haben. Briefe existieren zwar noch von den ersten spanischen Königen, aber wer hebt heute noch eine E-Mail auf oder eine SMS? In welchen Clouds muss man suchen, wenn andere Generationen wissen wollen, wie wir einmal gefühlt und gedacht haben?
Es gibt einen schönen Satz von Anaïs Nin: „Allein schon die Berührung des Briefes war, als hättest du mich in die Arme genommen.“