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Uni Dresden erforscht Geschichte der Schmähungen Unterste Schublade

Dresden. Natürlich Dresden, wo sonst. Die Stadt, in der seit Jahren vieles heftiger aufeinander prallt als andernorts in Deutschland.
15.04.2018, 00:00 Uhr
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Unterste Schublade
Von Bernhard Honnigfort

Dresden. Natürlich Dresden, wo sonst. Die Stadt, in der seit Jahren vieles heftiger aufeinander prallt als andernorts in Deutschland. Wo montags bei Pegida-Versammlungen heftig geschimpft, gehetzt und hemmungslos beleidigt wird. Natürlich Dresden, auch wenn die sächsische Landeshauptstadt vermutlich tatsächlich nur ein Brennglas ist, unter dem sich neue deutsche Zustände schärfer und vielleicht auch etwas früher erkennen lassen als anderswo.

In Dresden also soll das weite Feld der Beschimpfungen, Beleidigungen und Schmähungen erstmals ausführlich erforscht werden. Am Donnerstagabend stellten Wissenschaftler der TU Dresden öffentlich vor, worum es gehen soll in dem erst einmal auf vier Jahre angesetzten Vorhaben, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit 7,5 Millionen Euro unterstützt.

„Pegida als zeithistorischer Hintergrund war schon auch entscheidend“, erzählt Professor Gerd Schwerhoff, der Sprecher der Forschungsgruppe. „Dresden ist eine Bühne geworden. Ich selbst habe Pegida als Zäsur empfunden, als etwas, mit dem man sich vertieft auseinandersetzen muss.“ Dazu kommt, dass das weite Feld der Schmähung auch etwas ist, das Wissenschaftlern beim Beackern durchaus Vergnügen bereiten kann. Schwerhoff selbst ist Historiker, befasste sich mit Hexenwahn und Inquisition, mit Ehrverletzungen, Duellen, Kriminalität und Gewalt. Gerade sitzt er an einem Buch über Gotteslästerung, das vermutlich in zwei Jahren zu lesen sein wird. „Es ist ein Thema, das Spaß macht“, sagt er über das Dresdner Sonderforschungsprojekt. „Mehr als Massenmord.“

Beleidigen als staatliches Handeln

Außerdem schreit das Thema nach Bearbeitung durch kluge Köpfe. Wie es scheint, boomen ja Beleidigungen. Im Netz sind Hassreden so verbreitet wie Sand am Strand. Und seit Donald Trump als US-Präsident twittert, Einwanderer aus Haiti und El Salvador als Menschen aus „Drecksloch“-Staaten beschimpft, ist das Beleidigen und Schmähen in den Rang staatlichen Handelns aufgestiegen. Die Satire ist auch nicht zimperlich, bedenkt man, wie der Komiker Jan Böhmermann mit seinem „Ziegenficker“-Gedicht die deutsch-türkischen Beziehungen durchrüttelte. Wer sich in Dresden an den Sommer und Herbst 2015 erinnert, der könnte an Beispielen noch die junge Frau beisteuern, die in Heidenau am Flüchtlingsheim stand und Kanzlerin Angela Merkel wie am Spieß schreiend als „Fotze“ verunglimpfte. Und natürlich Sigmar Gabriel, damals Vizekanzler, der an gleicher Stelle zurückhaute und die Pegida-Demonstranten als „Pack“ beschimpfte.

Dem Unsachlichen zu Leibe rücken

Beleidigungen und Beschimpfungen scheinen also zu wuchern, die Gotteslästerung ist seit den „Mohammed-Karikaturen“ plötzlich wieder ein Thema in Mitteleuropa, und mit den „dramatischen gesellschaftlichen Folgen“ all dessen, so der Historiker Schwerhoff, will man sich nun in Dresden ausein-andersetzen und dem Unsachlichen sachlich zu Leibe rücken.

Wie Grundlagenforscher so sind, darf man nicht mit allzu schnellen Resultaten rechnen. Auch nicht am Ende mit einem flotten Handbuch oder einem griffigen Werkzeugkasten, dem beispielsweise ein Ministerpräsident Michael Kretschmer kluge Ratschläge entnehmen könnte, wie er fortan mit all dem Unmut und Geschimpfe umgehen soll, dem er (auch) auf seinen Reisen durchs Land begegnet.

Ein wenig tröstlich mag erscheinen, dass Schmähen, Schimpfen und Beleidigen nichts Neues sind. Der große Martin Luther sei ein derber Schimpfer gewesen, von dem auch ein Donald Trump noch etwas abgucken könnte, meint der Historiker Schwerhoff.

Nun wird alles erforscht und zusammengetragen. Das Beleidigen bei den Römern, das Beleidigen im Netz, in Malerei, Literatur und Film. Die „Spießer“-Schmähung seit Beginn des 19. Jahrhunderts ebenso wie das Beleidigen als „emotionale Mobilisierung“ zu Beginn des Dritten Reichs. Mindestens 30 Forscher werden in 13 Einzelthemen der „Invektivität“ – so nennen sie ihr Terrain – auf den Grund gehen. Am Ende aller Bemühungen, so Schwerhoff, könnte dann „eine allgemeine Theorie der Invektivität“ stehen, etwas, das besser erklärt, wie und warum Streit eskaliert, wie sich Gruppen verhalten, wie Beschimpfungen und Beleidigungen wirken, zu was sie vielleicht auch gut sein können.

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