Wenn Stein Olav Henrichsen, Direktor des Munch Museums, den Namen Bremen hört, fällt ihm sofort der Fund ein, der Kunstgeschichte schrieb. „Ich erinnere mich noch genau an die Ausstellung in der Kunsthalle ,Rätsel hinter der Leinwand‘“, sagt er. 2005 war hinter dem Gemälde „Das Kind und der Tod“ ein bisher unbekanntes Werk Edvard Munchs (1863 -1944) entdeckt worden. Kurzeitig schauten Kunstexperten aus aller Welt auf die deutsche Hansestadt, jetzt liegt der Fokus wieder auf Oslo – dem damaligen Lebensmittelpunkt des Norwegers: Ein hochrangiger Gast weilt im Munch Museum.
Derzeit hängen Werke zweier Väter des Expressionismus nebeneinander, die von Edvard Munch und Vincent van Gogh (1853-1890). Bis zum 6. September ist die Schau „Van Gogh + Munch“ in Oslo zu sehen, die vom Munch Museum und dem Van Gogh Museum in Amsterdam organisiert wurde. In direkter Nachbarschaft und arrangiert wie noch nie vorher hängen Schätze wie „Sternennacht“ von Munch und „Sternennacht über der Rhône“ von Van Gogh. Die Ausstellung ist ein Spaziergang durch die Entwicklungsphasen, eine Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden in Stil sowie Lebensweise. So viel sei verraten: Der zehn Jahre jüngere Norweger war dem Niederländer zunächst in Sachen Erfolg voraus. Die Stunde Null ihres Schaffens ist das Jahr 1880, damals entschieden beide, die Kunst auf professioneller Ebene zu betreiben.
Der Avantgardisten-Zusammenführung ging eine Umfrage im Van Gogh Museum voraus. „Einige Besucher dachten, dass ,Der Schrei‘ von Van Gogh wäre. Das zeigte uns, dass die Menschen die beiden Künstler miteinander verbinden, Ähnlichkeiten sehen“, erklärt der Kurator Magne Bruteig vom Munch Museum. Warum nicht also den bekannten Schrei und Van Goghs „Die Brücke von Trinquetaille“ nebeneinander platzieren? „Es ist ein großer Schritt in der Geschichte unseres Hauses, noch nie waren weitere Künstler in dieser Art ausgestellt“, sagt der Museumsdirektor Henrichsen. Nur einmal, 1912, wurden Munch und Van Gogh mit noch weiteren führenden Persönlichkeiten der Moderne zusammen präsentiert.
Fast fünf Jahre trugen die Kuratoren namhafte Arbeiten zusammen. Obwohl die Häuser in Amsterdam und Oslo von einem sehr guten Bestand profitierten, war es teilweise schwierig, Raritäten zu bekommen. Der Nachlass des unermüdlich tätigen Malers stapelt sich fast in dem Osloer Museum. „Munch starb friedlich 1944 und war kinderlos. Seinen Besitz vermachte er der Stadt. Im Museum ist sein gesamter Nachlass, dazu gehören viele tausend Drucke, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Skizzenbücher“, zählt Bruteig auf. Weil Munch ein besessener Sammler war, füllen dieses Repertoire noch Pinsel, Farbreste und allerlei Malutensilien auf. Der idyllische Flachbau inmitten eines Parks birst aus allen Nähten.
Dem Engagement von Magne Bruteig und seiner Kollegin Maite van Dijk aus Amsterdam ist es zu verdanken, dass nun auch im beschaulichen Munch Museum eine spannungsreiche und dramaturgisch sehr gut umgesetzte Präsentation gelungen ist. Ein luftiger Lamellentunnel im hellen Blau führt direkt ins Herz des Hauses vor die Protagonisten. Im ersten Raum stehen sich Besucher und Künstler Auge in Auge gegenüber. Zwei Selbstporträts stellen die Herren dar und lenken sofort den Blick auf den sehr unterschiedlichen Stil – Van Gogh trug die Farbe dick und in kurzen Pinselstrichen auf. Munch bevorzuge lange geschwungene Züge, ließ die Farben ineinander verlaufen. In einem Raum befanden sich Munch und Van Gogh zu Lebzeiten nie, zumindest fand sich bisher kein Beweis für ein persönliches Treffen.
Ein Streifzug durch die Schaffensphasen beginnt im zweiten Raum, in dem frühe Werke gezeigt werden. Ein Hingucker ist das Landschaftsmotiv „Akerselva by Slåmotgangen“ von Munch. „Keiner malte Wasser so authentisch wie er“, findet Bruteig. Van Goghs frühe Werke sind Blicke in die Natur, wie auf der Zeichnung „Kopfweiden“ deutlich wird. Der Niederländer war ein genauer Beobachter von Szenen des einfachen Lebens. Er glaubte fest daran, dass „Die Kartoffelesser“ sein Durchbruch werden könnten – ein Irrtum. Erst 1901 wurden mehrere seiner Werke in Deutschland verkauft. Munch konnte diesen Erfolg zu Lebzeiten feiern – 1891 erwarb die Nationalgalerie in Kristiania das erste Gemälde.
Aufenthalte in Frankreich, dem damaligen Nabel der Kunstszene, markierten für die Männer ab 1885 einen Wendepunkt im Schaffensprozess. „In Paris passierte etwas Revolutionäres. Beide veränderten ihren Stil“, berichtet der Experte Bruteig. Paletten mit knalligen Farben, kühne Pinselstriche, unkonventionelle Kompositionen und lebhafte Ausdrucksweisen machten den Weg frei für die expressionistischen Darstellungen. Diese und der Einfluss Van Goghs auf Munch lassen sich in den Highlight-Motiven „Sternennacht“ und „Sternennacht über der Rhône“ erkennen. In den letzten Räumen ballen sich bekannte Hingucker mit ähnlichen Motiven – so auch „Der Schrei“, der aufgrund spektakulärer Diebstähle wohl zum bestgehüteten Schatz Norwegens wurde. Oft besprochen, meistbietend verkauft, nicht mehr gern ausgeliehen: „Wir haben in der Sammlung eine der ersten Versionen, eine Kreidezeichnung. Warum sie neben Van Goghs „Die Brücke von Trinquetaille“ hängt, überlasse ich der Fantasie des Betrachters“, so Bruteig.