Stuhr-Heiligenrode. Kleiderständer voll mit Blusen, Jacken und Pullovern drängen sich zur rechten Seite, links davon befindet sich der Tresen und am Fenster steht ein Tisch mit Geschirrgarnituren, einzelnen Tassen und Porzellanvasen. Emmahilde Binienda zeigt stolz ihr Reich auf wenigen, aber gut ausgenutzten Quadratmetern in der ehemaligen Lehrerwohnung neben der Grundschule Heiligenrode. Weiteres Geschirr nimmt kleine Tische im Flur des Gebäudes am Klosterplatz in Beschlag. Die Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Heiligenrode ist seit jeher das Herzensprojekt der 85-Jährigen. Vor knapp 50 Jahren regte die Kirchseelterin an, eine Kleiderkammer für Bedürftige, insbesondere für ausreisende Bürger der DDR, einzurichten. Damals bekamen sie in der Klosterapotheke ihr Willkommensgeld ausgezahlt.
Noch immer geht sie gut dreimal die Woche ihrem Ehrenamt nach. Dann wird der Kleidercontainer vor dem Gebäude geleert und neue Kleidung in die Kammer einsortiert. Vieles stammt aus Haushaltsauflösungen, die Kleiderkammer hat aber auch treue Spender, die sie seit Jahrzehnten versorgen. "Wir sind sozusagen miteinander alt geworden", sagt Emmahilde Binienda und lacht. Um die Kleiderkammer zu bewerkstelligen, bekommt sie auch Unterstützung von ihrer Familie. So helfen überwiegend eine ihrer Töchter und die Enkelkinder. Für ihren langen Atem hat die Preisträgerin des Stuhrer Wolfes im vergangenen Jahr nun auch das Bundesverdienstkreuz erhalten (wir berichteten).
Freude steht über allem
Es ist die höchste Auszeichnung überhaupt, Emmahilde Binienda bedeutet sie aber gar nicht so viel. Das mag für einige seltsam klingen, für die Frau mit dem breiten Lächeln ist ihr Engagement jedoch eine Selbstverständlichkeit. "Ich mache das gerne, das macht mir Spaß. Es ist auch kein Opfer für mich." Überhaupt wusste sie stets, wie sie ihre Kleiderkammer führen möchte. Der DRK-Ortsverein zahlt die Miete, die Kleidung wird kostenlos ausgegeben. Die Ausgabemenge ist aber monatlich reglementiert. "Ich habe bisher alle zufriedengestellt oder hoffe es jedenfalls. Ich wollte nie, dass das Geld kostet." Die Spendenbereitschaft sei immer hoch gewesen, die Kleidersäcke werden gar "immer schwerer". Richtige Schätze seien schon in der Kleiderkammer abgegeben worden. So etwa ein Kostüm von Prada oder ein Rosenthal-Geschirrservice. Manchmal fand Emmahilde Binienda auch wertvollen Schmuck in einer Jackentasche, den sie dann den Spendern zurückgab.
Aufgewachsen ist sie in Bremen-Aumund, mit ihrem Mann lebte sie lange in Hannover, da er dort als Fluglotse arbeitete. Später kehrte das Paar in die Heimat zurück. Inzwischen hat die vierfache Mutter sechs Enkelkinder und ein Urenkelkind.
Der Kontakt zu den Menschen, die teilweise unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben, ist für Emmahilde Binienda stets eine erfüllende Aufgabe. Es hat auch negative Begegnungen gegeben, einigen Kunden sprach sie ein Hausverbot aus. Es überwiegen aber ganz klar die positiven Momente, sagt Binienda. Sonst hätte sie sicher nicht 50 Jahre durchgehalten. Zum Ortsverein Heiligenrode war sie über gute Kontakte in den Ort gekommen. Ihr Mann war lange Organist in der Heiligenroder Kirche. Die Kleiderkammer war zunächst in einer Garage bei der Volksbank-Filiale zu finden, später zog sie in den Keller der Grundschule. Seit mindestens 15 Jahren ist die Kleiderkammer an ihrem jetzigen Standort beheimatet.
Monatlicher Hilfstransport
Die Kleiderkammer beteiligt sich auch an einem Hilfstransport, den eine Kirchengemeinde in der Vahr einmal monatlich entsendet. Die Tour führt über das Baltikum, die Ukraine, Moldawien und bis zum Ural. Viele Gegenden dort sind nicht von Armut geprägt, weiß Binienda. Auf dem Dorf sieht es gerade bei den Rentnern jedoch zum Teil ganz anders aus.
Viele Flüchtlingsbewegungen hat Emmahilde Binienda in ihrer Kleiderkammer mitbekommen. Die Dankbarkeit der Menschen sei ihr größter Motivator. Zuletzt nahmen verstärkt Ukrainerinnen das Angebot der Kleiderkammer in Anspruch. "Sie sind oft sehr gebildet, sehr freundlich und sehr dankbar. Sie freuen sich über schöne Sachen." Die Kleiderkammer ist derzeit gut ausgestattet, jedoch werden Kindersachen immer benötigt.
In ihrer Kladde mit einem roten Kreuz auf der Vorderseite führt Emmahilde Binienda Buch über die Anzahl der Kunden. Denn sie muss auf der Jahreshauptversammlung stets berichten. Die Nachfrage schwankt zuweilen. Im vergangenen Oktober belief sich die Zahl auf 24 Kunden, im November waren es zwölf. Und im Juni, als viele Geflüchtete aus der Ukraine ankamen, lag die Zahl bei 32. Als die Kleiderkammer ihre Arbeit aufnahm, waren es sogar 358 Kunden in einem Monat. Wie viel Kleidung bereits die Kammer verlassen hat, kann Binienda gar nicht zählen, "zentnerweise sicher." Bei den Ur-Stuhrern merkt sie eine gewisse Zurückhaltung, was die Inanspruchnahme der Kleiderkammer angeht. Niemand müsse sich jedoch schämen.
Anfangs war sie etwas zu freigiebig mit den gespendeten Sachen und wollte bloß jeden glücklich machen, sagt Binienda. Also eignete sie sich an, freundlich, aber bestimmt aufzutreten. Oft läuft die Verständigung mit Händen und Füßen. Irgendwie finden die Spenden aber doch jedes Mal einen neuen Eigentümer.
Die Kleiderkammer des DRK-Ortsvereins Heiligenrode am Klosterplatz 6a hat immer am letzten Donnerstag im Monat von 17 bis 18 Uhr geöffnet. Spenden können am ersten Mittwoch im Monat von 15 bis 17 Uhr vorbei gebracht werden.